Ich werde dich umbringen: Zwei Kriminalromane. Alfred Bekker
werd's versuchen“, versprach der Chef. „Aber Erfolg ist nicht garantiert. Tja, wenn keiner mehr ... okay, Freunde, dann Abmarsch. Rudi.“
Herzog und sein Chef Paul Fichte gingen in das kleine Zimmer des Gruppenleiters.
„Also, Rudi. Setzt dich und schieß mal los!“
„Ich bin in eine Gustav-Stresemann-Grundschule in Mainz-Kastel gegangen. In meiner Klasse war auch eine Isa Vandenburg, ein hübsches Mädchen, was mir natürlich erst sehr viel später aufgefallen ist“ - der Chef grinste breit, über Rudis amouröse Eskapaden und Erfolge klatschte und tratschte das ganze Amt - „dann bekam sie eine Empfehlung für's Gymnasium und ich bin bis zum Einjährigen zur Realschule gegangen, wie das damals wohl noch hieß. Danach haben wir uns nur noch selten gesehen, mal in der Stadt, mal im Schwimmbad, mal im Bus, ihre Familie wohnte ja nicht weit von meinen Eltern. Und mit Isas Schwester Ilka konnte man Pferde klauen.“
„Aha“, knurrte Fichte.
„Habt ihr euch auf der Grundschule gut verstanden?“
„Eigentlich schon. Jedenfalls haben wir uns zum Schluss nicht mehr so geprügelt wie in der ersten und zweiten Klasse. Sie hatte damals einen sehr harten Schlag, keine Angst vor niemandem und ließ sich nichts gefallen.“
„Das heißt, sie vertraut dir heute noch?“
„Das will ich doch stark hoffen, warum fragst du?“
„Ich habe heute schon mit ihr telefoniert. Sie hat sich zwar sehr ordentlich erkundigt, wie es Rotter geht, aber sie war auch stinkwütend, dass man sie doch so schnell gefunden hatte.“
„Muss es denn Verrat gewesen sein?“
„Du kennst das Haus?“
„Ja.“
„An dem Bau kommt doch niemand durch Zufall vorbei. Nee, Rudi, diese Bande hat genau gewusst, wen sie dort antreffen würde.“
„Trotzdem ist Isa entkommen.“
Der Chef zog den Kopf ein. „Musst du immer den Finger in die offenen Wunden legen? Selbstverständlich macht mir das Sorge. Der erfahrene Rotter wird ziemlich gleich zu Beginn ausgeschaltet, die unerfahrene Vandenburg kann später fliehen. Und nicht nur das. Sie hat den noch unbekannten Knaben, der gewaltsam zu ihr ins Zimmer kam, wahrscheinlich, um sie umzulegen, mit einem wunderschönen Kopfschuss erledigt.“
„Kopfschuss? Woher hatte sie eine Waffe?“
„Das wollte sie mir am Telefon nicht verraten. Es sei doch gut, dass sie eine Neun-Millimeter-Beretta gehabt habe. So konnte sie türmen, bevor das Treppenhaus in Flammen aufging, und uns noch über Handy alarmieren.“ Rudi verschluckte die Frage, warum man ihr ein Handy gelassen hatte, das doch angepeilt werden konnte.
„Eine gefährliche Frau“, meinte er stattdessen versonnen.
Der Chef betrachtete ihn halb wehmütig, halb grämlich. „Gefährlich und gefährdet. Erzähl' mal weiter!“
„Das letzte Mal habe ich Isa in Mainz vor dem Bahnhof getroffen. Die drei wollten nach München.“
„Die drei?“
„Isa war schwanger und hatten einen so dicken Bauch, dass ich sie sofort gefragt habe. 'Was wird das denn? Ein Elefant oder eine Kinderkompanie für einen afrikanischen Bürgerkrieg?'
„Du solltest dir deinen Charme patentieren lassen, lieber Rudi!“
„Danke für den Tip. Der Antrag läuft schon. Kein Elefant, aber Zwillinge.“
„Ach nee, das wusste ich nicht; dass sie Kinder hat, steht nicht in den Akten. Hat sie was über den Vater gesagt?“
„Keine Silbe.“
„Aber es gab einen?“
„Biologisch wohl unvermeidlich. Aber wenn du wissen möchtest, ob sie verheiratet oder fest liiert war – das hat sie mir nicht gesagt, und ich habe sie nicht gefragt. Erstens hatte ich es eilig und zweitens bin ich ja nicht taktlos, Chef.“ Fichte verkniff sich eine passende Antwort. „Na schön, Rudi, jetzt überleg' noch mal, wann war das?“
Rudi rechnete und erinnerte sich. Wenige Tage später hatte er die bestandene Aufnahmeprüfung gefeiert, und das war jetzt ziemlich genau siebzehn Jahre her.
Der Chef kratzte sich das Kinn. „Das heißt, wenn sie die Zwillinge vor siebzehn Jahren erwartet und bekommen hat, müssten die jetzt gerade so Teenies sein?“
Beinahe wäre Rudi herausgerutscht: „Sie hat sie bekommen“, aber Paul Fichte hätte dann sofort gefragt: „Woher weißt du das?“
Isa hatte es ihm selbst gesagt, aber das wollte er nicht verraten. Ihre letzte Begegnung vor jetzt fünfzehn Jahren ging niemanden was an, die war nämlich sehr privat gewesen und sehr intim verlaufen. Vor allem hatte sie unter Umständen angefangen, die man kaum glauben konnte.
Rudi lag nämlich in einer Ferienanlage auf Lanzarote im Liegestuhl am Swimmingpool, als eine sehr attraktive Blondine an ihm vorbeigehen wollte, stockte, sich umdrehte, ihn unschlüssig musterte und dann unsicher murmelte: „Rudi? Rudi Herzog aus Mainz-Kastel?“
Er brauchte etwas länger, sie wiederzuerkennen: „Isa Vandenburg aus der Gustav-Stresemann-Grundschule?“
Jahre zuvor, am Mainzer Bahnhof, hatte sie nicht sehr vorteilhaft ausgesehen, dicker Bauch, strähniges Haar und ein verquollenes, bleiches Gesicht, mit Ringen unter den nicht ausgeschlafenen Augen. Das alles hatte sich danach sehr zum Besseren verändert. Ausgesprochen schlank und sportlich, kein Bauch, schmale Hüften, strammer und fester Busen, blonde Locken, blauen Augen und tief gebräunt. Das alles aufreizend verpackt in einem weißen knappen Bikini. Eine sexy Schönheit und, wie sich bald herausstellte, ohne eine ihn störende männliche Begleitung auf der Insel. Schon bei ihrer ersten Verabredung erzählte sie, dass sie gesunde Zwillinge bekommen hatte, Julia und Jonas. Am Abend, als sie nach einem hervorragenden Essen noch einen Wein tranken und dabei auf das abendliche Meer schauten, fragte er nach dem Vater von Julia und Jonas, den Namen wollte sie nicht nennen, nur so viel preisgeben, dass er sie unmittelbar nach der Entbindung aus, wie sie damals schon fand, fadenscheinigen Gründen verlassen hatte. Immerhin habe er die Vaterschaft anerkannt und sich verpflichtet, monatlich sehr anständig Unterhalt zu zahlen – was er tatsächlich noch immer tat. Aber sie musste die Kunstakademie verlassen und sich einen Job suchen. Mit zwei Säuglingen nicht ganz einfach, wie sie klagte. Zum Glück half ihre jüngere Schwester Ilka aus, auch Isas Mutter sprang häufiger ein, und als sie für die Kinder einen verlässlichen Hort gefunden hatte, ging es auch beruflich aufwärts. Ihr damaliger Freund suchte eine zuverlässige Mitarbeiterin und stellte sie zu sehr generösen Bedingungen in seiner Firma Utom Import & Export ein. Jetzt war sie in der Frankfurter Import- und Exportfirma die Sekretärin des einen Chefs und so etwas wie eine Geschäftsführerin mit einem sehr guten Gehalt, einer Gewinnbeteiligung und ziemlich weitreichenden Kompetenzen.
Der Wein war gut, das Meer glitzerte romantisch, der Mond strahlte fast kitschig, und vor dem Eingang ihres Bungalows küssten sie sich lange und heftig, Isa presste sich fest an ihn, nahm ihn aber nicht mit hinein. Die nächsten Tage verbrachten sie vom Morgen bis zum Abend zusammen und schon in der zweiten Nacht ging sie mit ihm ins Bett. Rudi hatte damals keine Freundin, die junge Dame, von der er gehofft hatte, sie würde es werden, hatte sich vier Tag vor dem Abflug kurz und ohne Begründung für immer verabschiedet. Außerdem verstanden Isa und er sich sehr gut, die alte Vertrautheit aus der Grundschulzeit hatte sich, wenn auch in angenehm veränderter Form, erhalten.
Auch, dass er zur Polizei gegangen war, gefiel ihr. Sie drückte ihm die Daumen, dass sein Wunsch, zur Kriminalpolizei zu wechseln, bald in Erfüllung ging. Beamter, das war doch was Solides, und als er begann, sich Hoffnungen zu machen und heimlich Pläne zu schmieden, bekam sie einen Anruf aus Frankfurt und gleich danach veränderte sich ihr Verhalten.
Zwar schliefen sie noch immer jede Nacht miteinander, aber er hatte gleichwohl den festen und unangenehmen Eindruck, dass sie sich zurückzog. Sie musste vor ihm nach Deutschland zurückfliegen, und am Abend, als sie schon gepackt hatte,