Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1. Hannes Wildecker
konfrontiert waren.“
„Und warum das Ganze?“ Overbeck bog hinter dem Stadtteil Höfchen nach links ab in Richtung Schwarzwälder Hochwald.
„Angeblich hat er den Auftrag, mit dem Abstand der 18 Jahre die Story noch einmal aufzuwärmen. Menschengeschichten nennen sie das.“
„Sommerloch nenne ich das“, lachte Overbeck. „Irgendetwas muss ja in den Zeitungen stehen, jetzt, da sowieso nicht allzu viel los ist.“
Lenis Gedanken waren längst wieder bei dem Fall, den sie zu bearbeiten und aufzuklären hatte.
„Ich mache mir die ganze Zeit Gedanken darüber, wer für den Mord an Dellmann in Frage kommen könnte. Auf der Suche nach einem Motiv tue ich mich sehr schwer, denn ich denke, dass nur Überlebende von damals einen solchen Rachegedanken spinnen können.“
„Vielleicht ist es ja auch nur ein Sympathisant, ein Freund der Familie oder so was Ähnliches, was weiß ich. Ein Rachefeldzug nach 18 Jahren, Leni. Da steckt eine Menge Hass dahinter. Das ist nicht nur eine Vergeltungstat.“
„Du meinst wegen der Brutalität der Tatausführung? Das sehe ich auch so. Aber das macht es nicht einfacher. Wenn es tatsächlich ein Racheakt war -und einiges spricht ja dafür- dann wird es weitere Morde geben. Morde, die wir verhindern müssen.“
„Die wir nicht verhindern können.“
Inzwischen hatten sie Forstenau erreicht und Overbeck lenkte den Wagen von der Hunsrückhöhenstraße in den Ort ein.
„Lass uns noch etwas zusammen trinken“, schlug Leni vor. Im Hochwaldstübchen. Dort wohne ich nämlich.“
Auf dem Parkplatz neben der Gaststätte stand Lenis Auto, das sie am Morgen nach der Abfahrt in Trier dort abgestellt hatte. Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung des Fahrzeuges.
„Ich werde hierbleiben und bin morgen früh rechtzeitig auf der Dienststelle.“ Und spitzbübisch fügte sie hinzu: „Ich glaube, ich werde mehr als ein Bier trinken, heute Abend.“
Der Betrieb im Hochwaldstübchen hielt sich in Grenzen. Vieles war nicht mehr so wie früher. Der Stammtisch wies leere Stühle auf. Heiner Spürmann hinterließ eine Lücke, was insbesondere der Kulturbeauftragte Dieter Lauheim zu spüren bekam. Ihm fehlten die Diskussionen auf kommunalpolitischer Ebene und auch die ständigen Fragen im kulturhistorischen Bereich. Wie oft hatte Spürmann ihn zu Rate gezogen. Dann konnte er sich in Referaten über die verschiedensten Themen auslassen und meist hatte Spürmann davon profitiert.
Und Pastor Adalbert Schaeflein? Seine Pensionierung stand kurz bevor und damit auch sein Weggang von Forstenau. Er hatte bereits mehrfach angekündigt, im Falle seiner Emeritierung im Saarland ansässig zu werden. Seine Haushälterin, die nichts Anderes kannte als das Dasein im Pfarrhaus und die Arbeiten für ihren Pfarrer, werde er mitnehmen, als private Haushälterin. Sie sollte eine Bleibe für den Rest ihres oder aber seines Lebens haben.
Florian Glasheber, den Förster des Staatswaldes, hatte man lange Zeit nicht im Hochwaldstübchen gesehen. Ein Verkehrsunfall hatte ihm schwer zugesetzt und das Verheilen der verschiedensten Knochenbrüche, abgesehen von der Heilung der verletzten inneren Organe, brauchte seine Zeit. Wie sehr er auch seinem Berufsstand fehlte, machte sich in der Verwilderung des Hochmoors Weyrichsbroch im Osburger Hochwalds bemerkbar. Die Pflege dieses einmaligen Naturschutzgebietes, dessen 800 Meter langer Knüppeldamm jährlich Tausende von Besuchern anzog, ließ seitdem zu wünschen übrig.
Da waren noch Detlef Hildebrandt, der kommunale Ortsbürgermeister, Siegfried Brandel, der Feuerwehrchef und der bereits erwähnte Dieter Lauheim, die weiter den Stammtisch aufrechterhielten.
Siggi Vollmann, der Wirt, hatte in jeder freien Minute bei seinen Stammtischkollegen gesessen bis zu jenem Tag, als sich seine geliebte Tochter Sandy in Frankfurt aus Verzweiflung den goldenen Schuss gesetzt hatte. Von jenem Tag an ging es auch gesundheitlich bergab und Lissy, seiner Frau, blieb die meiste Arbeit in der Gaststätte. Wenn es Siggi besserging, unterstützte er seine Frau, so gut er es konnte.
Wir werden die Kneipe irgendwann dichtmachen, hatte Lissy mehrmals angekündigt, doch irgendwie brachte sie es nicht übers Herz und so wirtschafteten die beiden mit mäßigem Erfolg, sprich Einnahmen, weiter.
Als Leni und Overbeck das Lokal betraten, verstummte das Gespräch der wenigen Gäste. Leni kannte man in diesem Hause, denn sie wohnte seit geraumer Zeit im Obergeschoss, über der Kneipe in der Wohnung, in der die Tochter der Vollmanns zu ihren glücklichen Zeiten gewohnt hatte. Zudem sah man sie des Öfteren in der Gaststätte bei Lissy, der sie, wann immer es ihr möglich war, zur Hand ging und kellnerte.
„Wen haben wir denn da?“, tönte es aus dem Bereich des Stammtisches. „Frau Schiffmann und … Spürmann hätte ich fast gesagt. Aber der hat uns ja verlassen.“
Dieter Lauheim zwängte seinen inzwischen noch voluminöser erscheinenden Bauch zwischen seinem Stuhl und dem schweren Tisch hindurch und kam auf die beiden zu. Er gab Leni die Hand und schaute auf Overbeck, der ihn um einen Kopf überragte.
„Der Neue?“, fragte er unverhohlen.
„Ja, der Neue“, antwortete Leni. „Und er hat sogar einen Namen.“
„Ich heiße Overbeck“, kam ihr der Kollege zuvor und fügte schnell, um einer weiteren Diskussion über seinen Namen zu entgehen, hinzu: „Netter kleiner Laden hier. Richtig gemütlich.“
„Das freut mich außerordentlich.“ Es war Lissy, die hinter der Theke hervorkam und sich die Hände in ihrer Schürze abwischte. „Sie sind der neue Kollege von Leni. Der Ersatz für Heiner Spürmann. Ach was, Ersatz.“, Lissy schüttelte den Kopf und reichte Overbeck die Hand. „Ersatz für einen Menschen gibt es nicht. Freut mich, Sie kennenzulernen. Wollen Sie sich zu den Herren dort an den Stammtisch setzen?“
Lauheim hatte sich zwischenzeitlich wieder auf seinem Platz niedergelassen und nun erkannte Leni auch Hildebrandt, den Ortsbürgermeister. Sie sah Overbeck fragend an. „Wollen wir?“
Overbeck zuckte die Schultern und erschien irgendwie unbeholfen.
„Komm!“, sagte Leni und zog ihn am Ärmel mit sich. „Darf ich vorstellen: Unser Ortschef, Detlef Hildebrandt. Die meisten Toten mit denen wir es hier in der Gegend zu tun haben, transportiert er anschließend ab. Ihm gehört nämlich ein Beerdigungsinstitut, musst du wissen.“
„Die anderen?“ Leni sah Hildebrandt fragend an.
„Die Zeiten ändern sich, auch die Menschen“, sagte Hildebrandt theatralisch. „Die einen gehen fort, die anderen erkranken und der Rest muss sehen, wie es weitergeht.“
„Aber es kommen immer wieder neue nach.“ Leni machte Lissy Platz, die unaufgefordert zwei Bier vor sie stellte. Overbeck hob abwehrend den Arm, doch Leni winkte ab. „Einer geht. Ist doch nur ein kleines Glas. Er muss noch zurück nach Trier“, wandte sie sich Lissy zu. „Ich bleibe gleich hier.“
„Dann mal prost“, sagte Lissy. „Auf die neuen Zeiten. An die alten wollen wir nicht mehr denken.“
Leni verstand. „Wie geht es Siggi?“
Lissy atmete tief durch. „Er scheint immer mehr in sich eingekehrt. Die Arbeit bleibt fast immer an mir alleine hängen“, sagte sie und es klang traurig. Zu Overbeck gewandt hob sich ihre Stimme wieder. „Aber ich habe ja Leni. Sie ist mir eine große Hilfe, wenn Not am Mann ist.“
„Du kellnerst?“
„Hm. Hättest du mir nicht zugetraut, oder?“ Leni sah Overbeck triumphierend an. Aber im Ernst. Ich helfe Lissy ab und zu. In dieser Zeit sitze ich nicht alleine in meiner Wohnung herum.“
„Ihr habt einen neuen Fall in Hermeskeil. Hab’s in der Zeitung gelesen. Schlimme Sache.“ Lauheim sah die beiden erwartungsvoll an, doch er vernahm keine Antwort.
„Verstehe, Sie können nicht darüber reden. Schwebendes Verfahren, oder wie nennt man so etwas? Müssen wir jetzt auch Angst haben, weil so ein brutaler Mörder in der Gegend umherläuft?“
„Wenn