Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1. Hannes Wildecker
ab heute rund um die Uhr observieren?“
„Ich glaube, diese Gedanken hegt auch unser Täter. Ich halte ihn für so intelligent, dass er sich etwas Anderes einfallen lässt. Hallo, Kollegen!“
Er wandte sich zu den beiden jungen Polizisten der Hermeskeiler Inspektion, die sofort dienstbeflissen näherkamen.
„Ich möchte, dass dieses Haus ab sofort in unregelmäßigen Abständen in eure Streifen einbezogen wird. Sagt das auch den Kollegen der anderen Schichten. Die Anordnung wird auch noch schriftlich erfolgen. Seht dorthin!“
Overbeck deutete auf den Toten, an dem sich Kämmerlein zu schaffen machte. „Wenn ihr eure Arbeit schlechtmacht, treffen wir uns unter Umständen ein weiteres Mal hier. Das allerdings wollen wir tunlichst vermeiden. Wir haben uns verstanden?“
Die beiden nickten. „Verstanden. Wir werden es sofort weitergeben.“
Kämmerlein hatte seine Arbeit beendet und kam mit Peters und Franzen zu der Gruppe.
„Der Tod kann so vor 12 Stunden eingetreten sein, Vielleicht eine halbe Stunde früher oder später“, sagte Kämmerlein.
Peters lächelte zufrieden.
Erst als der Arzt und die Kollegen der Schutzpolizei den Tatort verlassen hatten, kam der Leichenwagen.
„Wir sehen uns morgen früh“, sagte Overbeck, als Leni am Hochwaldstübchen aus dem Fahrzeug stieg. „Und wenn du nicht weißt, was du morgen Abend machen sollst: Ich habe mir einen kleinen Raum in Trier-Biewer gemietet. Als Dojo. Ich lade dich zu einem Probetraining ein.“
„Probetraining? Denk daran, dass ich noch etwas gut habe bei dir!“
Kapitel 19
„Das sind die Männer, die Täter von damals, Meg“, sagte Satorius und legte einige vergilbte Zeitungsartikel vor Maggie auf den Tisch. Sie hatten sich für ihr Treffen die gleiche Gaststätte ausgesucht, in der sie das letzte Mal zusammen gegessen hatten, das Restaurant am Hunsrück-Steig. Ihr Tisch stand unmittelbar an der Fensterfront des Gastraumes und so hatten sie eine gute Sicht auf das Treiben der um diese Zeit belebten Geschäftsstraße.
„Und ihre Anschriften?“ Maggie sah Satorius erwartungsvoll an.
„Die Anschriften haben sich geändert. Ich weiß nicht, wo sie sich derzeit aufhalten. Zwei von ihnen leben nicht mehr.“
Es klang beiläufig, als Satorius es sagte, doch Maggies Körper straffte sich plötzlich.
„Tot? Wie sind sie … wann …?“, stotterte sie und Satorius sah sie erstaunt an.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie mit mir an dieser Sache arbeiten wollen“, fragte er und sah sie lange an, ehe er weiterfuhr. „Es scheint Sie irgendwie mitzunehmen. Kannten Sie die Männer etwa?“
„Mörder? Trauen Sie mir zu, dass ich Mörder zu Bekannten habe?“
Satorius überging die Frage. „Zwei dieser vier Männer wurden ermordet.“ Satorius wartete auf eine Reaktion Maggies, doch sie zeigte keine Regung.
„Wie sind sie zu Tode gekommen?“, fragte sie und neigte sich etwas über den Tisch auf Satorius zu.
„Ich habe den Eindruck, die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit den Taten von vor 18 Jahren. Es heißt, man habe sie brutal erschlagen. Mehr weiß ich nicht. Noch nicht.“
„Erschlagen?“ Satorius glaubte für einen Moment, ein flüchtiges Lächeln in Maggies Gesicht festgestellt zu haben. Auf den zweiten Blick war jedoch alles wie vorher. Maggie schob ihre leere Kaffeetasse mit einer langsamen Bewegung zur Seite und beugte sich noch etwas weiter auf Satorius zu.
„Dann haben Sie ja nun eine aktuelle Story und brauchen nicht mehr in der Vergangenheit zu stöbern“, sagte Maggie, doch Satorius lächelte.
„Nur gemeinsam mit der Geschichte der Vergangenheit wird die aktuelle Situation zu dem Reißer, wie sich ihn unsere Leser wünschen. Wir müssen die Geschichte der Täter von damals bis ins Kleinste recherchieren. Wir müssen alles noch einmal aufwärmen. Was geschah damals? Wie haben sie ihre Zeit im Knast verbracht? Haben sie Familie? Was tun sie heute?“
„Und warum mussten bereits zwei der Täter sterben? Diese Frage wird doch wohl am meisten interessieren?“
„Das glaube ich kaum, dass es diese Frage sein wird. Vielmehr wird für unsere Leser interessanter sein, zu erfahren, was mit den anderen beiden passiert. In dieser Erwartungshaltung werden sie die Angelegenheit verfolgen. Die Sensationsgier, verstehen Sie? Außerdem wird es den Lesern wie uns gehen. Sie werden schnell herausfinden, dass es sich um Racheakte handelt.“
„Racheakte? Wie kommen Sie darauf, dass es sich um Racheakte handelt?“, fragte Maggie erstaunt. „Wer sollte das tun? Die Taten liegen 18 Jahre zurück. Zum Rächen war doch Zeit genug in den vergangenen Jahren.“
„Sie vergessen, dass die Täter bis vor nicht allzu langer Zeit im Gefängnis gesessen haben. Wie hätte sich jemand in dieser Zeit rächen sollen. Jemanden zu einem Mord im Gefängnis veranlassen, ich glaube, solche Dinge passieren in unsrem Land nicht so einfach.“
„Was glauben Sie, Hans, wer das getan hat?“
„Fragen Sie mich lieber, wer ein Motiv hat, solches zu tun. Und da fallen mir auf Anhieb nicht viele Personen ein.“
„Ja, da es ja niemand von der betroffenen Familie von damals gibt …“
„Das stimmt nicht ganz, Meg. Das Ehepaar von damals lebt nicht mehr, das ist wohl richtig. Aber da gibt es noch eine Tochter, wie ich Ihnen bereits bei unserem ersten Treffen sagte.“
„Sie glauben doch nicht, dass diese Frau die Morde begangen hat?“, rief Maggie und es klang erstaunt und entrüstet zugleich. „Eine junge hilflose Frau?“
„Auf jeden Fall müssen wir herausfinden, wo sie sich aufhält, genauso, wie wir auch die beiden noch lebenden Männer ausfindig machen müssen. Wir werden mit ihnen reden. Wir werden sie warnen, ein großes Interview führen, für unsere Leser.“
Satorius konnte seinen Eifer für die journalistische Sache kaum noch zügeln. „Sie werden sehen, falls der Täter weitere Morde vorhat, wir werden sie durch unsere Recherchen verhindern.“
Kapitel 20
Die klatschenden Geräusche waren schon zu vernehmen, als Leni durch den Flur zum Eingang des Dojo schritt. Es klang, als schlüge dort drinnen jemand abwechselnd auf ein Stück Fleisch und dann wieder gegen etwas Undefinierbares, Vibrierendes. In die Schläge mischten sich Schreie und Leni ahnte, was dort drinnen vor sich ging. Es klang nach nur einer Person und als sie die Tür zum Trainingsraum öffnete, sah sie sich bestätigt. Overbeck tanzte um einen Sandsack herum und schoss ab und zu Schläge mit der Faust oder dem Fuß ab. Dann tänzelte er zur Seite und schlug auf einen am Boden verankerten Pfahl ein, der in Schlaghöhe mit einer Art Seil umwickelt war.
Er ist tatsächlich gut, resümierte Leni, als sie Overbeck eine Zeitlang beobachtet hatte. Beruhigend zu wissen für einen Einsatz, bei dem es darauf ankommt, nicht den Kürzeren zu ziehen.
Overbeck gönnte sich eine Atempause, beugte sich im Oberkörper und stieß die Luft mehrmals scharf aus. Dann entdeckte er Leni.
„Du kommst tatsächlich?“, rief er. „Dann bist du meine erste Schülerin.“ Overbeck zeigte auf eine zweite Ausgangstür. „Dort kannst du dich umziehen. Such dir einen der Karategi aus. Sieh zu, dass er nicht zu klein ist.“
„Was soll ich?“
„Karategi, Karate-Anzug. Zieh einen über und komm her. Oder kneifst du?“
Kurze Zeit später stand Leni Overbeck gegenüber, der sie lächelnd betrachtete. „Aha, schwarzer Gürtel. Da muss ich wohl sehr aufpassen.“
„Es war nichts Anderes da“,