Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon


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brauchte man seiner Ansicht nach noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden.

      Spät am Abend rief Conny an. Während Tilda mit ihr telefonierte, hatte sie erneut Schwierigkeiten, ihre Fassung zu wahren. Im Grunde genommen war nichts anderes passiert, als dass Conny sich schockiert darüber geäußert hatte, dass Tilda wegen der Übelkeitsgeschichte und wegen ihrer gelben Augen sofort durch´s MRT geschoben worden war. Für sie war das überhaupt kein gutes Zeichen, sondern vielmehr ein deutliches Alarmsignal. Nachdem Conny anschließend auch noch bekundet hatte, dass sie es nicht normal fand, wenn ein Patient nach einer derartigen Untersuchung bereits am nächsten Tag zur Auswertung einbestellt wurde, war es mit Tildas Fassung endgültig vorbei gewesen. Sofort war der Gedanke wieder da, dass die Ärzte im Krankenhaus womöglich schon auf den ersten Blick etwas Furchtbares bei ihr gesehen hatten. Sie war mit einem Male wieder erfüllt von schlimmen Befürchtungen, die sie doch schon im Griff zu haben glaubte. Entschlossen wischte sie sich die Tränen weg, die sie zu unterdrücken versuchte, während sie mit Conny sprach. Sie zitterte und versuchte vergeblich, sich zu beruhigen. Ihr Hals war wie zugeschnürt. Conny am anderen Ende der Leitung beschwor sie, sich sofort nach der Auswertung am nächsten Tag bei ihr zu melden. Ihre Stimme klang außerordentlich besorgt. So hatte Tilda ihre Freundin noch nie gehört.

      Tilda musste anschließend hilflos zur Kenntnis nehmen, wie sie immer ängstlicher wurde. Je länger sie mit der aufgeregten Conny sprach, desto mehr kam Panik in ihr auf. Unter einem fadenscheinigen Vorwand beendete sie schließlich das Gespräch. Stumm legte sie das Telefon zur Seite und setzte sich mit leerem Blick auf ihr Bett im Schlafzimmer, um sich einen Moment lang zu sammeln. Im Badezimmer duschte Ludwig. Sie konnte das Wasser leise in der Wand rauschen hören. Ihr blieb nicht lange Zeit, um zu grübeln. Auf keinen Fall wollte sie, dass er sah, dass sie geweint hatte. Wegen ungelegten Eiern weinte man nicht. Sie kannte seine Meinung. Es war wirklich zum Haare-Raufen. Je mehr Tilda sich darum bemühte, sich zu beruhigen, desto weniger wollte es ihr gelingen.

      Minuten später stand Ludwig im Schlafzimmer. Vorwurfsvoll sah er sie an, während er sagte: „Ach hier bist du! Hast du geweint?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf, während er fortfuhr: „Schatz, mach dir doch bloß keine Sorgen um ungelegte Eier! Du wirst doch sehen, was morgen dabei herauskommt. Ich würde mir doch nicht schon vorher das Leben schwer machen. Du kannst doch dann immer noch entscheiden, was du machen willst. Und vor allem kannst du nix ändern. Ich versteh´ dich nicht!“ Als seine Worte Tildas Zustand nicht augenblicklich besserten, fügte er beschwichtigend hinzu: „Guck mal, die moderne Medizin kann heutzutage doch schon so viel. Es gibt doch inzwischen gegen alles was. Warte doch einfach erstmal ab was sie dir sagen!“ Und einen Moment später fügte er hinzu: „Dass ihr Frauen immer gleich alles so furchtbar dramatisieren müsst!“ Er berührte sie leicht an der Schulter und tätschelte ihre linke Wange. Dann ging er hinaus. Er schaltete das Licht in der Küche ein und rief ungeduldig: „Was ist mit Abendbrot? Willst du auch was essen, Schatz?“

      Tilda zuckte zusammen. Es gab nichts, was sie jetzt weniger wollte, als essen. Ludwig schien ihr Kummer jedenfalls nicht den Appetit verschlagen zu haben. Sie hörte, wie er mit Tellern und Besteck klapperte und die Kühlschranktür öffnete und wieder schloss. Tilda ließ sich im halbdunklen Zimmer, in das nur ein schmaler, kleiner Lichtkegel durch die angelehnte Tür aus dem Flur hereinfiel, rücklings auf ihr Bett fallen und schloss die brennenden Augen. Sie hatte einfach nur noch Angst vor dem, was da auf sie zukam. Gleich morgen, wenn sie die Auswertung hinter sich hatte, würde sie endlich mit ihrer Schwester telefonieren. Die wollte sie auf keinen Fall schon vorher verrückt machen. Ihr sagte sie lieber jetzt noch gar nichts. Doro würde im Südwesten der USA hocken und sich am Ende unnötig Sorgen machen. Tilda wusste, dass ihre Schwester verstehen würde, wie sie sich jetzt fühlte. Allein schon dieses Wissen war Grund genug, sie jetzt nicht anzurufen.

      Bisher hatte Tilda sich sehnlichst gewünscht, der Tag der Auswertung würde niemals kommen. Jetzt war ihr plötzlich klar, dass sie möglichst bald Gewissheit brauchte. Irgendwie schien ihre Angst von Stunde zu Stunde größer zu werden. Das zu fühlen war unerträglich. Sie wollte nicht mehr warten. Sie brauchte endlich Antworten. Es war falsch, die Auswertung in weite Ferne zu wünschen, den Kopf in den Sand zu stecken. Tilda fühlte, dass sie diesen Zustand der inneren Anspannung kaum noch ertragen konnte.

      Ein Gedanke durchzuckte sie plötzlich wie ein Blitz. Sie erinnerte sich wieder an das Gespräch mit einer Kollegin aus der Nachbarschule, das schon Wochen zurücklag. Die andere Frau hatte auch eine Untersuchung im MRT über sich ergehen lassen müssen, war aber zur Auswertung etliche Tage später zu ihrem Hausarzt einbestellt worden, dem der Befund zugeschickt worden war. Eine Feuerwalze schien in diesem Moment über Tildas Körper zu rollen. Sie lag wie erstarrt da und hatte das Gefühl, als würde ihr Herz vor Schreck stehenbleiben, während ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Der Kollegin wurde definitiv von ihrem Hausarzt erst Tage später das Ergebnis ihrer Untersuchung mitgeteilt. Sie konnte sich genau erinnern. Und sie selbst sollte am nächsten Tag ins Krankenhaus kommen? Tilda konnte es drehen und wenden, wie sie wollte. Auf ein gutes Ergebnis deutete das leider überhaupt nicht hin.

      Augenblicklich verspürte sie den Drang aufspringen, um mit Ludwig darüber zu sprechen. Doch stattdessen blieb sie regungslos liegen. Sie war unfähig, aufzustehen. Sie empfand ihren Körper schwer wie einen Stein und fühlte nur noch Watte in ihrem Kopf. Ludwig dagegen saß in der Küche und aß in aller Seelenruhe zu Abend.

      Vielleicht war es nicht gut, ihn überhaupt damit zu behelligen. Tilda wusste im Grunde gut genug, dass er kein Verständnis für ihre „irrationalen“ Ängste haben würde. Vermutlich würde er einfach wieder irgendetwas Beschwichtigendes zu ihr sagen. Solche Worte halfen ihr nicht weiter. In ihr verstärkte sich die Wut darüber, dass Ludwig so ein Holzklotz war. Während sie vor Angst fast verging, hatte er nichts Tröstlicheres für sie, als ihr zu sagen, dass sie sich nicht aufregen solle, um sich dann seelenruhig etwas zu Essen zu machen. Wenn es ihn selbst betroffen hätte, dann wäre seine Einstellung sicher eine komplett andere gewesen. Tilda war überzeugt davon. In dieser Hinsicht maß er schon immer mit zweierlei Maß.

      Je länger Tilda so dalag, desto größer wurde ihre Enttäuschung über Ludwigs Verhalten. Sie konnte nur schwer mit dem Gefühl umgehen, dass sie ihm in Wahrheit gar nicht so wichtig war. Das war eine traurige und gleichzeitig erschreckende Erkenntnis. Natürlich würde Ludwig eine derartige Anschuldigung weit von sich weisen. Er würde sich unschuldig an den Pranger gestellt fühlen, sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Natürlich war er sensibel! Natürlich, aber leider nur, wenn es um ihn selbst ging.

      In dieser Schärfe konnte Tilda das bisher nur noch nie sehen. Möglicherweise wollte sie das auch gar nicht. Sie war sich sicher, dass sie es ihrem inneren Ausnahmezustand zu verdanken hatte, dass ihr ihre Situation jetzt so deutlich sichtbar wurde. Das erklärte auch, warum sie sich so hilflos und allein fühlte. Tilda setzte sich mühsam auf. Sie war innerlich aufgewühlt und tief verletzt. Es war eine Mischung von Erkenntnis, Enttäuschung und Angst, die ihr das Gefühl gab, dass Elektrizität durch ihren Körper fließen würde. Sie spürte ein merkwürdiges, unheilvolles Vibrieren in sich. Es summte und brummte in ihren Zellen wie in einem Bienenstock. Erstaunlicherweise war es ein Gefühl, das sie nur körperlich wahrnehmen konnte. Zu hören war nichts. Tilda ließ sich kraftlos zurück auf ihr Bett fallen, drehte sich zur Wand und schluchzte in ihr Kopfkissen.

      Am Morgen des nächsten Tages war sie wieder viel zu früh wach. Sie hatte einmal mehr das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Die ganze Nacht lang hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Mal war ihr zu warm, mal zu kalt gewesen und währenddessen rannten ihre Gedanken wild durcheinander. Sie war unfähig gewesen, dieses Chaos zu stoppen. Und was tat Ludwig? Er schlief und schnarchte neben ihr und ließ sich überhaupt dabei nicht stören. Ironisch schlussfolgerte Tilda daraus, dass er vermutlich so gut schlafen konnte, weil er so „einfühlsam“ war. Bei diesem Gedanken hätte sie auf der Stelle erneut losheulen können. Doch diesmal schaffte sie es, sich zu beherrschen.

      Voller Befürchtungen sah sie den Tag auf sich zurollen. Sie hatte ein schreckliches Gefühl dabei. Wenn sie darüber nachdachte, dass ihre Welt um diese Uhrzeit am Tage zuvor noch weitgehend in Ordnung gewesen war, dann konnte sie sich das jetzt kaum noch vorstellen. Es schien ihr eine Ewigkeit lang her zu sein. Nichts war für sie


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