Das Geld. Emile Zola

Das Geld - Emile Zola


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einem Satz die Stufen hinauf und brachte atemlos die letzte Order eines Kunden.

      Saccard stand immer noch reglos, die Augen auf das Durcheinander da oben geheftet, und käute sein Leben wieder; die Erinnerung an seinen Anfang, die Buschs Frage wieder wachgerufen hatte, peinigte ihn. Er entsann sich der Rue de la Harpe, dann der Rue Saint-Jacques, durch die er auf seinen Eroberungszügen eines Glücksritters seine schiefgelaufenen Stiefel geschleift hatte, er erinnerte sich des Tages, da er in Paris gelandet war, um es sich zu unterwerfen, und von neuem packte ihn die Wut bei dem Gedanken, daß er es sich immer noch nicht unterworfen hatte, daß er erneut auf der Straße lag, unbefriedigt dem Glück auflauerte; ein solcher Hunger nach Genuß quälte ihn, und noch nie hatte er so darunter gelitten. Dieser Narr von Sigismond sagte ganz richtig: Von der Arbeit kann man nicht leben, allein die Elenden und die Dummköpfe arbeiten, um die anderen zu mästen. Es gab nur das Börsenspiel, das Spiel, durch das man auf einen Schlag von heute auf morgen zu Wohlstand, zu Luxus, zum großen Leben, zum Leben überhaupt kommt. Wenn diese alte Gesellschaft eines Tages aus den Fugen ging, sollte ein Mann wie er nicht noch die Zeit und den Platz finden, seine Begierden vor dem Zusammenbruch zu befriedigen?

      Aber da stieß ihn ein Fußgänger an, der sich nicht einmal umdrehte, um sich zu entschuldigen. Er erkannte Gundermann, der seinen kleinen Gesundheitsspaziergang machte; Saccard sah ihn bei einem Konditor eintreten, von dem dieser König des Goldes seinen Enkelinnen manchmal eine Schachtel Bonbons für einen Franc mitbrachte. Und in dieser Minute, bei dem Fieber, das in ihm brannte, seitdem er so die Börse umkreiste, wirkte dieser Stoß mit dem Ellbogen wie ein Peitschenhieb, war er der letzte Anstoß, der seinen Entschluß festigte. Er hatte den Platz eingekreist, nun würde er zum Sturmangriff übergehen. Das war der Schwur eines gnadenlosen Kampfes: er würde Frankreich nicht verlassen, er würde seinem Bruder die Stirn bieten und das Spiel mit dem höchsten Einsatz, eine Schlacht von schrecklicher Kühnheit wagen, bei der er Paris die Fersen auf den Nacken setzen würde oder mit gebrochenem Hals in der Gosse liegen bliebe.

      Bis Börsenschluß blieb Saccard hartnäckig auf seinem Droh- und Beobachtungsposten stehen. Er sah zu, wie sich die Vorhalle leerte, wie sich die Stufen mit all diesen langsam davongehenden, erhitzten und müden Leuten bedeckten. Um ihn herum dauerte das Verkehrschaos auf dem Pflaster und den Bürgersteigen an, riß der Strom der Leute nicht ab, der ewigen Menge, die es auszubeuten galt, der Aktionäre von morgen, die an dieser großen Lotterie der Spekulation nicht vorbeigehen konnten, ohne den Kopf zu wenden aus Furcht vor dem, was hier geschah, und zugleich in dem Verlangen, in das Geheimnis dieser Finanzoperationen einzudringen, das um so verlockender für die französischen Geister war, als nur sehr wenige von ihnen es zu ergründen vermochten.

       Zweites Kapitel

      Als Saccard nach seinem letzten, unseligen Grundstücksgeschäft sein Palais am Parc Monceau aufgeben und seinen Gläubigem überlassen mußte, um eine größere Katastrophe abzuwenden, hatte er zunächst den Gedanken, sich zu seinem Sohn Maxime zu flüchten. Dieser bewohnte seit dem Tode seiner Frau, die auf einem kleinen Friedhof in der Lombardei ruhte, ganz allein ein Haus in der Avenue de lʼImpératrice, wo er sich sein Leben mit einem klugen und unbändigen Egoismus eingerichtet hatte; als ein Bursche von schwächlicher Gesundheit, durch das Laster frühzeitig gereift, verzehrte er dort in untadeliger Haltung das Vermögen der Toten. Er schlug es seinem Vater rundweg ab, ihn bei sich aufzunehmen, damit alle beide weiter in gutem Einvernehmen leben könnten, wie er mit verschmitzter Miene lächelnd erklärte.

      Seitdem dachte Saccard an eine andere Zuflucht. Er wollte schon ein kleines Haus in Passy mieten, das bürgerliche Heim eines Händlers, der sich zurückgezogen hatte, da fiel ihm ein, daß das Erdgeschoß und das erste Stockwerk des Palais dʼOrviedo in der Rue Saint-Lazare noch immer nicht vermietet waren, denn Türen und Fenster waren verschlossen. Die Fürstin dʼOrviedo bewohnte seit dem Tode ihres Mannes drei Zimmer im zweiten Stock und hatte nicht einmal an der grasüberwucherten Toreinfahrt ein Schild anbringen lassen. Am anderen Ende der Vorderfront führte eine niedrige Tür über einen Dienstbotenaufgang in das zweite Stockwerk. Und oft hatte er sich bei den geschäftlichen Besuchen, die er der Fürstin abstattete, über die Nachlässigkeit gewundert, die sie an den Tag legte, wenn es darum ging, einen angemessenen Nutzen aus ihrem Grundstück zu ziehen. Aber sie schüttelte den Kopf, sie hatte in Geldfragen ihre eigenen Vorstellungen. Dennoch willigte sie sofort ein, als er bei ihr vorsprach, um auf seinen Namen zu mieten, und überließ ihm für eine lächerliche Miete von zehntausend Francs die fürstlich eingerichteten prachtvollen Räume im Erdgeschoß und ersten Stockwerk, die sicherlich das Doppelte wert waren.

      Alle Welt sprach noch von dem Prunk, den der Fürst dʼOrviedo zur Schau gestellt hatte. Als er aus Spanien gekommen und in Paris inmitten eines Millionenregens gelandet war, hatte er in der fiebrigen Hast seines ungeheuren finanziellen Glücks zunächst einmal dieses Palais gekauft und restaurieren lassen, bis er nach seiner Erwartung die Welt mit einem Palast aus Gold und Marmor in Erstaunen setzen könnte. Das Bauwerk stammte aus dem vorigen Jahrhundert, eines jener Lusthäuser, wie sie galante Herren inmitten weitläufiger Gärten errichten ließen; aber es war teilweise abgerissen und in strengeren Proportionen wiederaufgebaut worden und hatte so von seinem einstigen Park nur einen breiten Hof bewahrt, den Ställe und Remisen säumten und der durch die geplante Rue du Cardinal-Fesch bestimmt bald ganz verschwinden würde. Der Fürst hatte dieses Haus aus der Erbschaft eines Fräulein Saint-Germain erworben, deren Grundbesitz sich einst bis zur Rue des Trois- Frères erstreckte, der früheren Verlängerung der Rue Taitbout. Übrigens hatte das Palais seinen Eingang in der Rue Saint-Lazare behalten, neben einem großen Gebäude aus der gleichen Zeit, der einstigen Folie- Beauvilliers, das die Beauvilliers infolge eines langsamen Ruins noch bewohnten; und diesen gehörte ein Rest des herrlichen Gartens mit prächtigen Bäumen, die bei der nahe bevorstehenden baulichen Veränderung des Viertels ebenfalls zum Verschwinden verurteilt waren.

      Trotz eines völligen Bankrotts schleppte Saccard einen Troß von Dienstboten hinter sich her, die Trümmer seines allzu zahlreichen Personals, einen Kammerdiener, einen Küchenchef und dessen Frau, die für die Wäsche zu sorgen hatte, eine weitere Frau, die Gott weiß warum geblieben war, einen Kutscher und zwei Stallburschen; er belegte die Pferdeställe und Remisen mit Beschlag, brachte dort zwei Pferde und drei Wagen unter und richtete im Erdgeschoß einen Speiseraum für seine Leute ein. Er war der Mann, der, obwohl er keine fünfhundert Francs bares Geld in seiner Kasse hatte, auf großem Fuße lebte, als hätte er zwei- oder dreihunderttausend Francs im Jahr. So nahm es nicht wunder, daß er mit seiner Person die weitläufigen Zimmerfluchten im ersten Stockwerk ausfüllte, die drei Salons, die fünf Schlafzimmer, ganz zu schweigen von dem riesigen Speisesaal, wo man eine Tafel für fünfzig Gedecke aufstellen konnte. Dort öffnete sich früher eine Tür auf eine Innentreppe, die in das zweite Stockwerk führte, in einen anderen, kleineren Speisesaal; als die Fürstin vor kurzem diesen Teil des zweiten Stocks an einen Ingenieur, Herrn Hamelin, vermietete, einen Junggesellen, der mit seiner Schwester zusammen wohnte, hatte sie die Tür einfach durch zwei starke Schrauben verschließen lassen. Sie teilte sich so mit diesem Mieter in den ehemaligen Dienstbotenaufgang, während Saccard allein die große Freitreppe benutzte. Er möblierte einige Zimmer teilweise mit den Resten seiner Einrichtung vom Parc Monceau, ließ die anderen leer, und trotzdem gelang es ihm, diesen Zimmerfluchten mit ihrem traurigen, kahlen Mauerwerk, von dem eine eigensinnige Hand nach dem Tode des Fürsten sogar die letzten Tapetenfetzen abgerissen zu haben schien, Leben zurückzugeben. Und er konnte von neuem seinen Traum von einem großen Vermögen beginnen.

      Die Fürstin dʼOrviedo war damals eine der seltsamsten Erscheinungen von Paris. Vor fünfzehn Jahren hatte sie sich darein geschickt, den Fürsten, den sie überhaupt nicht liebte, zu heiraten, um einem ausdrücklichen Befehl ihrer Mutter, der Herzogin de Combeville, zu gehorchen. Zu jener Zeit stand dieses junge Mädchen von zwanzig Jahren im Rufe großer Schönheit und Klugheit, sie war sehr fromm und ein wenig zu ernst, obwohl sie die Gesellschaft leidenschaftlich liebte. Sie wußte nichts von den sonderbaren Geschichten, die über den Fürsten im Umlauf waren, von den Ursprüngen seines königlichen Vermögens, das auf dreihundert Millionen geschätzt wurde, von einem ganzen Leben fürchterlicher Räubereien, die er nicht mehr im Dunkel des Waldes ausgeführt hatte, mit bewaffneter Hand wie die adligen Abenteurer von einst, sondern als untadeliger


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