Das Geld. Emile Zola

Das Geld - Emile Zola


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ihn beim ersten Erfolg abzuwürgen. Was die verschwundenen Schuldner anlangte, so versetzten sie ihn noch mehr in Leidenschaft und warfen ihn in ein Fieber ständiger Nachforschungen; dauernd hatte er ein Auge auf die Firmenschilder und auf die Namen in den Zeitungen, kundschaftete die Anschriften aus, so wie ein Hund das Wild aufspürt. Und sobald er die Verschollenen und die Zahlungsunfähigen aufgespürt hatte, wurde er grausam, fraß sie mit seinen Unkosten auf, saugte sie aus bis aufs Blut, schlug hundert Francs aus dem, was er mit zehn Sous bezahlt hatte, und führte brutal seine Risiken als Spekulant ins Feld, der gezwungen ist, an denen, die er erwischte, zu verdienen, was er angeblich bei jenen verlor, die ihm wie Rauch durch die Finger gingen.

      Bei dieser Jagd auf die Schuldner war die Méchain eine seiner bevorzugten Gehilfinnen; denn wenn er dafür eine kleine Truppe von Treibern zu seiner Verfügung haben mußte, so lebte er doch in ständigem Mißtrauen gegen diese übelbeleumdeten, ausgehungerten Leute; die Méchain dagegen hatte selber einen schönen Batzen und besaß hinter dem Montmartre ein ganzes Häuserviertel, die Cité de Naples, ein weites Gelände, auf dem wacklige Hütten standen, die sie monatsweise vermietete: ein Winkel schrecklichen Elends, ein Haufen Hungerleider im Kot, Schweinekoben, die man sich gegenseitig streitig machte und aus denen sie erbarmungslos die Mieter samt ihrem Mist hinausfegte, sobald sie nicht mehr bezahlten. Was sie auffraß, was ihre Gewinne aus der Cité de Naples wieder verschlang, das war ihre unglückselige Spielleidenschaft. Und sie fand auch Gefallen an den vom Geld geschlagenen Wunden, an den Bankrotten, an den Feuersbrünsten, bei denen man geschmolzenen Schmuck stehlen kann. Wenn Busch sie beauftragte, eine Auskunft einzuholen, einen Schuldner zu exmittieren, so setzte sie manchmal aus der eigenen Tasche zu und verausgabte sich um des Vergnügens willen. Sie bezeichnete sich als Witwe, doch niemand hatte ihren Mann gekannt. Sie kam von Gott weiß woher, und mit ihrem schwabbeligen Fett und ihrer dünnen Kleinmädchenstimme schien sie immer fünfzig Jahre alt gewesen zu sein.

      Als sich an jenem Tag die Méchain auf den einzigen Stuhl gesetzt hatte, war das Arbeitszimmer voll, gleichsam verstopft von diesem letzten Paket aus Fleisch, das da hingeplumpst war. Vor seinem Schreibtisch glich Busch einem Gefangenen, der in einem Meer von Akten vergraben war, aus dem nur sein eckiger Schädel auftauchte.

      »Da«, sagte sie und schüttete aus ihrer alten, zum Platzen vollen Tasche den ungeheuren Papierhaufen, »das schickt mir Fayeux aus Vendôme ... Aus dem Bankrott von Charpier hat er für Sie alles aufgekauft, wie Sie ihm durch mich hatten ausrichten lassen ... Hundertzehn Francs.«

      Fayeux, den sie ihren Cousin nannte, hatte sich in Vendôme ein Kuponeinnahmebüro eingerichtet. Er besaß die Konzession für die Einnahme der Kupons der kleinen Rentiers34 vom Lande, und als Verwahrer dieser Kupons und des Geldes spekulierte er hemmungslos.

      »Nicht viel los mit der Provinz«, murmelte Busch, »aber trotzdem macht man dort auch mal einen tollen Fund.«

      Er beschnupperte die Papiere, wählte sie schon mit kundiger Hand aus und ordnete sie grob nach einer ersten Einschätzung, nach dem Geruch. Sein ausdrucksloses Gesicht verdüsterte sich und nahm einen enttäuschten, brummigen Ausdruck an.

      »Hm! Nichts Fettes dabei, nichts zum Anbeißen. Zum Glück war das nicht teuer ... Hier sind Wechsel ... noch mal Wechsel ... Wenn das junge Leute sind und wenn sie nach Paris kommen, werden wir sie vielleicht erwischen ...«

      Doch da entfuhr ihm ein leiser Ausruf der Überraschung.

      »Nanu, was ist denn das?«

      Er hatte die Unterschrift des Grafen de Beauvilliers entziffert, auf einem Blatt Stempelpapier, auf dem nur drei Zeilen standen, in einer großen, greisenhaften Handschrift: »Ich verpflichte mich, an Fräulein Léonie Cron am Tage ihrer Volljährigkeit den Betrag von zehntausend Francs auszuzahlen.«

      »Der Graf de Beauvilliers«, versetzte er langsam und überlegte ganz laut, »ja, bei Vendôme hat er Pachthöfe gehabt, eine ganze Domäne sogar ... Er ist bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen und hat eine Frau und zwei Kinder in Not zurückgelassen. Ich habe früher Wechsel gehabt, die sie nur unter Schwierigkeiten bezahlen konnten ... Ein Angeber, ein Taugenichts ...«

      Plötzlich lachte er laut auf, denn er ahnte, wie die Geschichte verlaufen sein mußte.

      »Ach, der alte Gauner hat die Kleine reingelegt! ... Sie wollte nicht, und er hat sie mit diesem rechtlich wertlosen Fetzen Papier rumgekriegt. Dann ist er gestorben ... Wollen doch mal sehen, datiert ist das 1854, vor zehn Jahren also. Zum Teufel, das Mädchen muß jetzt volljährig sein! Wie konnte dieser Schuldschein Charpier in die Hände fallen? Einem Getreidehändler wie diesem Charpier? Der betrieb doch kurzfristige Wuchergeschäfte. Zweifellos hat ihm das Mädchen das da als Pfand für einige Taler abgelassen, oder vielleicht war er mit der Beitreibung beauftragt ...«

      »Aber das ist doch sehr gut, ein richtiger Coup ist das!« unterbrach ihn die Méchain.

      Busch zuckte verächtlich die Achseln.

      »Ach was, nein! Ich sage Ihnen doch, daß das rechtlich wertlos ist ... Wenn ich das den Erben vorlege, können sie mich zum Teufel schicken, denn es müßte der Beweis angetreten werden, daß das Geld wirklich geschuldet worden ist ... Aber wenn wir das Mädchen ausfindig machen, könnte ich sie vielleicht dazu bringen, vernünftig zu sein und sich mit uns zu verständigen, um unangenehmes Aufsehen zu vermeiden ... Verstehen Sie? Suchen Sie diese Léonie Cron, schreiben Sie an Fayeux, damit er sie uns aufstöbert. Dann können wir uns ins Fäustchen lachen.«

      Er hatte aus den Papieren zwei Haufen aussortiert, die er gründlich prüfen wollte, sobald er allein war; jetzt verharrte er reglos, auf jedem Haufen eine Hand.

      Nach einer Pause fuhr die Méchain fort:

      »Ich habe mich mit Jordans Wechseln beschäftigt ... Ich glaubte schon, unseren Mann gefunden zu haben. Er war irgendwo angestellt und schreibt jetzt in den Zeitungen. Aber unsereins wird in den Redaktionen so schlecht empfangen; sie weigern sich, uns die Adressen zu geben. Und dann glaube ich auch, daß er seine Artikel nicht mit seinem richtigen Namen unterschreibt.«

      Ohne ein Wort zu sagen, hatte Busch den Arm ausgestreckt, um die Akte Jordan von ihrem alphabetischen Platz zu nehmen. Das waren sechs Wechsel zu je fünfzig Francs, die schon vor fünf Jahren im Abstand von je einem Monat ausgestellt worden waren – Wechsel über insgesamt dreihundert Francs, die der junge Mann in den Tagen seines Elends einem Schneider unterzeichnet hatte. Bei Vorlage waren sie nicht bezahlt worden, so daß zu den Wechseln riesige Unkosten hinzugekommen waren, aus dem Hefter quoll eine wahre Flut von Gerichtsakten. Jetzt war die Schuld auf siebenhundertdreißig Francs und fünfzehn Centimes gestiegen.

      »Wenn das ein Bursche mit Zukunft ist«, murmelte Busch, »werden wir ihn schon noch erwischen.«

      Da mußte ihm ein Gedanke gekommen sein, denn er fragte plötzlich:

      »Sagen Sie mal, in der Angelegenheit Sicardot tut sich wohl gar nichts?«

      Klagend hob die Méchain die dicken Arme zum Himmel. Ihre ganze monströse Person wabbelte vor Verzweiflung.

      »Ach, Herrgott!« ächzte sie mit ihrer Flötenstimme. »Ich lasse noch Haut und Haare dabei!«

      Die Angelegenheit Sicardot war ein richtiger kleiner Roman, den sie gern erzählte. Eine Cousine von ihr, Rosalie Chavaille, die spätgeborene Tochter einer Schwester ihres Vaters, war mit sechzehn Jahren eines Abends in einem Haus in der Rue de la Harpe, wo sie und ihre Mutter eine kleine Wohnung im sechsten Stock hatten, auf der Treppe genommen worden. Aber was das schlimmste war: der Betreffende, ein verheirateter Mann, der erst vor acht Tagen mit seiner Frau aus der Provinz gekommen war und bei einer Dame im zweiten Stockwerk zur Untermiete wohnte, hatte sich so verliebt gezeigt, daß er der armen Rosalie die Schulter ausrenkte, als er sie allzu stürmisch gegen eine Treppenkante drückte. Daher der gerechte Zorn der Mutter, die beinahe einen abscheulichen Skandal gemacht hätte, obwohl die Kleine unter Tränen eingestand, daß sie es durchaus willig getan habe, daß es ein Unfall gewesen sei und daß es ihr großen Kummer bereiten würde, wenn man den Herrn ins Gefängnis steckte. Da schwieg die Mutter und begnügte sich damit, diesem Mann eine Summe von sechshundert Francs abzufordern, auf zwölf Wechsel verteilt, so daß sie ein Jahr lang monatlich fünfzig Francs erhalten sollte;


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