Auf der Suche nach Wärme. Ella Mackener

Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener


Скачать книгу
über ihre rahmenlose Lesebrille an, die Augen tief in ihren Höhlen. Ich muss sie wohl bei ihren Kreuzworträtseln gestört haben.

      "Wann und wohin geht der nächste Bus?"

      Sie hebt eine Augenbraue. Sie hebt alleinig eine Augenbraue und schaut mich für den Bruchteil einer Sekunde zu lange an.

      "Da scheint es wohl jemand ziemlich eilig zu haben, hm?!", sie legt ihren Kopf schief und setzt ihren üppigen, alten Körper schwerfällig in Bewegung.

      Ich mache mir nicht die Mühe ihre Neugierde zu befriedigen.

      Hochnäsig starrt sie auf ihren Computer. Auf ihre Uhr. Und wieder auf ihren Computer.

      "Wie eilig hast du es?"

      Herausfordernd schaue ich sie an und sie antwortet mit einem Kopfnicken in meine Richtung: " Der da fährt in 5 Minuten. Fährt nach Berlin. Sin noch ´n paar Plätze frei", ihr Kinn zeigt auf den Bus unmittelbar hinter mir.

      Ich überlege nur eine Sekunde und beginne in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie zu kramen.

      "Den nehme ich"

      Sie grinst. Sie glaubt wohl, mich zu 100% lesen zu können, diese alte Schachtel.

      "Macht 11,99 Euro", ungeduldig schiebt sie ihre Hand durch den Schlitz.

      "Ist das all ihr Gepäck?", schielt sie auf meine Handtasche. Ich scheine sie zu amüsieren. Als Antwort drücke ich ihr meine Kreditkarte in die Hand. Sie schüttelt fast unmerklich mit dem Kopf und brabbelt irgendetwas vor sich hin, was ich -Gott sei Dank- nicht verstehe.

      Als sie mir meine Kreditkarte wiedergibt und die Tickets rüberreicht, reiße ich ihr alles förmlich aus der Hand und stürze in Richtung Bus. Heute mache ich mir wohl keine Freunde.

      Der Bus ist wohlig temperiert. Mein Blick huscht blitzschnell über die wenigen Gesichter, aber dieses Mal sehe ich nicht in lauter bekannte. Ich lasse mich von der Dunkelheit des Busses einlullen und wiege mich in Sicherheit. An einer der getönten Scheiben vergrabe ich meinen Kopf, meine Tasche auf dem Nachbarssitz, um ungewollten Gesprächspartnern zu entgehen. Ich bin dankbar für die Haare, die mir ins Gesicht fallen und mich vor weiteren Blicken schützen.

      Meine Augen brennen und die graue Außenwelt verschwimmt.

      Die Luft der Klimaanlage trifft auf meine glühenden Wangen und kühlt meine heißen Tränen.

      Es sind Tränen der Trauer, aber auch Tränen des Abschieds. Des Abschieds von Tom, des Abschieds von Hamburg - der Stadt, die ich mit ihm so lieben gelernt hatte. Tränen des Abschieds von mir und dem Leben, welches ich hier geführt hatte, denn das lasse ich hiermit hinter mir.

      Kapitel 15

      Drei Stunden Weinen. Meine Augen sind blutunterlaufen und schwer und geschwollen. Ich dachte, ich hätte keine Tränen mehr zu weinen, aber es sind noch Sturzbäche geflossen. Meine Kehle ist noch wie zugeschnürt. Mein Hals tut weh vom Schluchzen. Das Salz brennt auf meiner Oberlippe.

      Ich habe alle Tränen geweint. Ich schwöre mir, dass, wenn ich aus diesem Bus aussteige, ich mein Leben wieder in die Hand nehme. Ein neues Leben.

      Wir passieren das Schild, was unsere baldige Ankunft verkündet: "Berlin". Die schwarzen Buchstaben starren mich vor dem gold-gelben Hintergrund an.

      Ich wappne mich.

      Wir kurven noch 20 Minuten in dieser zugestopften Stadt umher bis mich die grauen Betonklötze grüßen.

      Ich versuche diese hässlichen 70er-Jahre-Bauten nicht mit dem gläsernen -ohnehin auch schon hässlichen- Busbahnhofsgebäude in Hamburg zu vergleichen.

      Das ist ein Neuanfang, der zu nichts in Relation steht.

      Der Bus kommt zum Stehen. Noch bevor sich die Türen öffnen, stehen die wenigen Passagiere wie aufgereiht im Gang. Niemand möchte die Schande über sich ergehen lassen, der letzte an seinem Gepäck zu sein.

      Die Tür öffnet sich und sie rammeln hinaus. Ein Mann tritt der Frau vor ihm in die Fersen, sodass diese stolpert. Sie funkelt ihn und er hebt abwehrend seine Hände.

      Der Sturm ist vorbei.

      Ich atme tief durch und greife meine Handtasche. Die Sonnenbrille sitzt seit einer viertel Stunde fest auf meiner Nase.

      Ich recke mein Kinn und stehe auf. Wortlos stolziere ich an dem Busfahrer vorbei und laufe mit gezielten Schritten an der Meute, die auf ihre Koffer wartet, vorbei, in Richtung U-Bahn.

      Ich kann ihre Blicke spüren. Wie tausend kleine Nadelstiche bearbeiten sie meinen Nacken. Würden sie einander kennen, würde mich sicher auch ein Flüstern begleiten. Zu meinem Glück sind sie einander ebenso fremd, wie mir und keiner traut sich, den ersten Schritt auf den anderen zuzugehen, vor allem nicht nachdem man sich drei Stunden lang erfolgreich ignoriert hatte.

      Aber ich merke auch wie mich andere Passagiere beäugen. Passagiere, die nichts von den letzten drei Stunden wissen. Und ihre Blicke zeigen Anerkennung, Neid und - die der männlichen Beobachter - Begierde. Zumindest für jene kann ich die Illusion aufrechterhalten. Immerhin trage ich ein schickes Kostüm. Niemand von ihnen weiß, dass ich seit mehreren Tagen nichts anderes getragen habe. Mein Kinn überragt alles, was man leichthin als Arroganz missdeuten - und nicht dem eigentlichen Selbstschutz zuschreiben könnte. Niemand von ihnen weiß, dass die Zielsicherheit nur daher rührt, dass ich in Berlin studiert hatte und daher den Weg vom Busbahnhof zum U-Bahnhof in- und auswendig kenne. Es war nur eine kurze Strecke, die ich damals tausendfach gegangen war - meist voll beladen mit mehr Gepäck als ich eigentlich tragen konnte. Durch die Unterführung, über die Brücke und schon habe ich die erste und meine U-Bahnstation erreicht. Und niemand weiß, dass ich von hier an nicht weiterweiß. Niemand weiß, dass ich in Berlin kein anderes Ziel als die U-Bahnstation, als die Flucht hatte. Aber ich bin außer Reichweite meiner Beobachter und so würde es auch mein Geheimnis bleiben.

      Kapitel 16

      Ich fahre in Richtung Zentrum. Aus der Gewohnheit heraus, steige ich am Potsdamer Platz aus. Hier war ich immer hergefahren, um in der Staatsbibliothek zu Berlin zu recherchieren. In dem ersten Hotel, was in mein Blickfeld rutschen würde, würde ich mir vorübergehend ein Zimmer nehmen.

      Sowie ich die Rolltreppe hinauffahre, taucht langsam das Logo „Der Bäcker Feihl“ vor mir auf. Wie oft hatte mir hier ein Käsebrötchen als Frühstück gedient?!

      Ich muss umgeben sein von Hotels. Hier sind einige der touristischen Hauptattraktionen: Hochhausensemble kämpfen neben dem Sony Center und der historischen Bedeutung des Potsdamer Platz selbst um die Aufmerksamkeit des Besuchers. Dennoch: Weil ich nie danach gesucht hatte, weiß ich nicht, wohin ich gehen soll. Also entschließe ich mich für den einzig bekannten Weg: den, der in Richtung Bibliothek führt.

      Mein Blick wandert die Häuser-Fassaden entlang. Ich passiere Andys Diner & Bar, The Mandala Hotel und das Legoland Discovery Center und fast gewinne ich den Eindruck, dass sich alle möglichen Unterkünfte vor mir versteckt halten. Bis es mir aus dem Augenwinkel zuzwinkert: mein neues Zuhause.

      Es kann sich nicht mit dem Nobelschuppen messen, indem ich meine letzte Nacht verbrachte. Aber das gibt mein Geldbeutel auch nicht auf Dauer her. Es ist eher eines dieser neumodischen Business-Hotels, die vor Modernität und Kreativität strotzen. Anstelle des Schlüssels mit dem riesenhaften langen Messingglobus gibt es hier Schlüsselkarten. Und, um der breiten Masse zu gefallen, werden Gegenstände, die einen persönlichen Touch verleihen könnten, strikt vermieden. Eins, zwei, drei könnte sich noch jemand heimisch fühlen.

      Ich klinge verbittert. Das bin ich wohl auch. Trauer wird zu Taubheit und wird dann wieder von Wut übertrampelt. Eigentlich will ich nur sagen, dass ich kleine Pensionen bevorzuge, aber für die eine Woche wird dieses Hotel seinen Dienst tun.

      Ich habe mir ein Zimmer für eine Woche genommen. Ich muss den Kopf frei kriegen; mir einen Plan machen, wie es


Скачать книгу