Auf der Suche nach Wärme. Ella Mackener

Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener


Скачать книгу
war unser geschäftliches Verhältnis immer sehr wichtig. Mir geht es ganz genauso! Auch ich pflegte immer Berufliches und Privates zu trennen. Daher nahm ich mit Freuden an, dass du ähnlich dachtest, aber Maria: du bist eine tolle Frau, die ich nicht nur als Kollegin geschätzt gelernt habe. Daher erlaube ich mir, dir auch als - wenn ich so sagen darf - Freundin einen Rat zu geben.

      Rede mit ihm! Ich weiß nicht, was vorgefallen ist und es geht mich auch nichts an, aber - ich glaube - 80% aller Beziehungsprobleme lassen sich durch eine ordentliche Diskussion aus der Welt schaffen.

      Tom ruft seit meiner Ankunft heute Morgen halb 9 im 10-Minuten-Takt an. Ich hatte nach der Besprechung drei Mitteilungen auf dem Anrufbeantworter. Was immer er getan hat, er leidet fürchterlich darunter und bittet inständig um die Möglichkeit, dir seine Sicht der Dinge zu erklären.

      Entschuldige, wenn ich mir zu viel herausnehme, als deine Chefin auch noch dein Privatleben zu bestimmen, aber - wie ich schon sagte - es ist ein Rat einer Freundin und nicht deiner Chefin.

      Liebe Grüße

      Kathrin"

      Ich bin zerrüttet. Ich hatte mich bereits gegen ihn entschieden. Diese Nachricht macht es so viel schwieriger.

      Natürlich kernt da etwas in mir, was vor Freude zerspringen mag. Welche Frau freut es nicht, wenn um sie gekämpft wird? Und hier kämpft der Mann um meine Liebe, den ich so innig liebe.

      Zu gleichermaßen mischt sich da aber noch ein anderes Gefühl bei. Das Gefühl, oder vielmehr die traurige Erkenntnis, dass der Kampf zwecklos ist. Dass ich unserer Liebe keine Zukunft mehr gebe, vielleicht sogar nicht mehr geben will. Ich bin verletzt.

      Meine Güte, mir wirbeln so viele Gedanken in meinem Kopf herum. Trauer trifft Erleichterung, Enttäuschung misst sich mit Verbundenheit. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Treffe ich die richtige Entscheidung? Lohnt es, an dieser festzuhalten?

      Mein Blick fällt auf das Telefon. Oma Erna. Mehr in Trance als entschlossen wähle ich ihre Nummer.

      Und wieder dieses herzerwärmende krächzende: "Thaler. Hallo"

      Ich zögere. Sie ist die einzige vertraute Person, die mir geblieben ist, aber was soll ich sagen? Habe ich das Recht, meine Probleme über andere zu stellen und ihr Kopfzerbrechen zu riskieren?

      "Maria?", reißt sie mich aus meinen Gedanken. "Maria, mein Liebling, bist du das?", ihre Stimme ist viel weicher geworden. Heiße Tränen bahnen sich den Weg zu meinem Kinn. Sie tropfen lautlos in meinen Schoß. Leises Schluchzen beginnt, den Raum zu erfüllen. Doch plötzlich stört etwas die Geborgenheit, die mich für kurze Zeit eingelullt hatte. Sie weiß es? Meine Augen weiten sich. Ich schnappe nach Luft. Da klang etwas anderes in ihrer Stimme mit. Mitleid. Was weiß sie? Oder: was wusste sie die ganze Zeit schon? War das nur unendliche Empathie in Bezug auf mein Verschwundensein oder hatte sich Anna ihr bereits viel früher anvertraut? Wusste sie um den Betrug? Hat auch sie mir die Wahrheit verheimlicht? Und wer wusste es noch?

      Entrüstet knallte ich den Hörer auf die Station.

      Ich muss hier weg!

      Kapitel 13

      Erzürnt stürzte ich mich auf meine Handtasche und krame die wenigen Sachen, die ich mitgebracht hatte, zusammen. Es ist nicht viel. Selbst über die zwei Einkaufstüten habe ich mich mittlerweile hergemacht.

      Am Ende trage ich dieselben Klamotten von Freitag und nicht mehr als meine Handtasche obendrein.

      Ich habe bis morgen bezahlt, aber das ist mir egal. Ich will nur weg. Soweit wie möglich. An einen Ort, der mich vergessen lässt; an einen Ort, der mir die Möglichkeit eines Neuanfangs gibt.

      Ich will nie wieder in eines der Gesichter blicken, hinter deren Fassade sich Mitleid versteckte, welches sie jetzt in vollem Umfang zutage kommen lassen würden. Mit der Imagination, dass dies jetzt den vorigen Betrug aufwiegen würde.

      Ich hasse sie! Ich hasse sie alle.

      Sowie ich einen Fuß vor mein Hotelzimmer setze, bilde ich mir ein, augenblicklich unter Beobachtung zu stehen.

      In jedem Gast, der an mir vorbeiläuft, glaube ich, auf einmal einen Bekannten zu erkennen. Ich wundere mich selbst über den großen Bekanntenkreis, den ich plötzlich zu haben scheine. Um nichts in der Welt möchte ich jetzt auf jemanden treffen, den ich kenne. Jemanden, der möglicherweise schon um die Geschehnisse wusste. Jemand, der mich an der Flucht hindern könnte.

      Erleichtert atme ich auf, als ich die Rezeption erreiche. Ein junges Pickelgesicht blitzt mich mit seiner Zahnspange an.

      "Guten Morgen. Was kann ich für sie tun?", fragt er zuvorkommend.

      "Ich möchte auschecken", entgegne ich ihm ungerührt seiner Freundlichkeit. Der Stolz in meiner Stimme hallt nach. Schutzmechanismus, denke ich, obwohl ich über die Kälte in meiner Stimme verwundert bin.

      "Thaler ist mein Name"

      "Natürlich, Frau Thaler. Sehr gern", er widmet sich voller Tatendrang dem Computer, ein Lächeln umschmiegt noch immer seine prallen, fuchsia-farbenen Lippen.

      Verwunderung huscht über sein Gesicht.

      "Frau Thaler, wie ich sehe, hatten sie ursprünglich bis zum Mittwoch gebucht. Darf ich…"

      Ich falle ihm ins Wort: "Es war alles in bester Ordnung. Bitte ziehen sie die Kosten für die Minibar ab und alles ist erledigt"

      Sein Kopf ist um 5 cm nach unten gesunken. Er fühlt sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Seine Augen umspielt ein nervöses Zucken.

      Unter anderen Umständen hätte ich Mitleid mit dem Jungen gehabt, der wohl gerade erst in seiner Ausbildung steckt. Aber momentan fürchte ich nur um mich. Ich kann diese Umgebung, ich kann diese Menschen, die diese Stadt erfüllt und die mir plötzlich alle so vertraut sind, nicht länger ertragen.

      "Ähm, natürlich, Frau Thaler. Welche Getränke soll ich ihnen abrechnen?"

      "Alle"

      Für einen Sekundenbruchteil war sein Gesicht zu einem Fragezeichen geballt, aber als er aufschaute und mein ungerührtes Gesicht sah, zwang er sich zur Besonnenheit.

      "Selbstverständlich", er hat zu seiner alten Form zurückgefunden und zieht mir alle Kosten von meinem Konto ab.

      Zu unserer beider Erleichterung stapfe ich schnellstmöglich aus dem Hotel.

      Kapitel 14

      Vor dem Hotel bleibe ich stehen. Unschlüssig. Wo soll ich hin?

      Ich schaue nach links, ich mache einen Schritt nach rechts... Vor lauter Hektik steige ich zur U-Bahn hinunter. Schnellstmöglich aus dem Sichtfeld verschwinden. Schnellstmöglich vom Erdboden verschluckt werden. U3, U5 - all diese Bahnen können mich nur hamburg-weit entführen. Sollte ich hier Zuflucht finden? Da, wo man vielleicht letzten Endes am wenigsten suchen wird? Irgendwo im Umland?!

      Ich habe es immer gehasst, wenn die Leute mitten im Wege stehen blieben. Wenn man ein Päuschen einlegen will, kann man das doch getrost am Wegesrande machen. Und nun bin ich es, die verloren in der Mitte der U-Bahnhaltestelle steht und auf dem Schildern "U3" und "U5" nach einem Wegweiser sucht. Aber so lange ich die Schilder auch anstarre - sie verändern sich nicht. Meine Schultern senken sich. Die Anspannung, die mich die ganze bei Atem gehalten hatte, wird von dem Gefühl des Verlorensein erstickt.

      Man rempelt mich an. Einige entschuldigen sich flüchtig, andere werfen mir genervte Blicke zu. Sonst hätte ich wohl eher zu letztere Gruppe gehört.

      Aber da fällt mein Blick auf das Schild "ZOH" - den Busbahnhof. Ein Flixbus. Oder irgendein anderes Busunternehmen. Ich werde einfach irgendeinen Bus nehmen. Der nächste, der fährt. Und dann geradewegs in eine andere Stadt.

      Ein kastanienbrauner Schopf


Скачать книгу