Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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sagen: »Lauter Konvenienzheiraten, auserwählte Geschlechter, berufen nicht zum Lieben, wohl aber zum Herrschen bis in alle Ewigkeit ...«

      Und es klang, als gehe ein Flüstern von Lippe zu Lippe – es war aber nur der Zugwind, der hereinsäuselte und den erdentstiegenen Duft, den der Regen geweckt, bis hinunter an die uralten Holztafeln mit den Geharnischten trug ... Draußen auf der Terrasse wurde es aber auch lebendig von Männerschritten, die langsam wandelnd vom Gartensalon herkamen und erst am äußersten Ende in gleicher Richtung mit dem offenen Galeriefenster verstummten. Die Schwestern blickten verstohlen hinab. Baron Mainau stand an der Terrassenbrüstung und sah halb abgewendet in die Gegend hinaus – ein vollständig anderer als der kühle, gehaltene Bräutigam, der bei der Zeremonie pünktlich und tadellos seine Schuldigkeit gethan, nun aber auch mit sichtlichem Wohlbehagen alles abzuschütteln suchte, was seine stolze, aber auch feurig gewandte Erscheinung für Augenblicke gleichsam in eine Schablone gezwungen hatte. Er war vollkommen reisefertig und hatte sich eine Zigarre angebrannt, deren blaue Wölkchen bis hinauf in die Marmorgalerie stiegen.

      »Ich sage nicht ›Schönheit‹ – mein Gott, wie vieltausendfältig ist auch der Begriff!« fuhr Freund Rüdiger fort, dessen etwas hohe, weiche Stimme schon während der Wanderung in einzelnen Lauten heraufgeklungen war – jetzt hörte man scharf und klar jede einzelne Silbe. »Nun ja, diese kleine Liane hat weder eine römische, noch eine griechische Nase – bah, ist auch gar nicht nötig – das Gesichtchen ist so unsagbar lieblich.«

      Baron Mainau zuckte die Achseln. »Hm, ja,« sagte er in unverkennbar persiflierendem Tone, »ein sittig und bescheiden Mägdelein von furchtsamem Charakter, mit schwärmerischen Mienen und blassen Veilchenaugen à la Lavallière – was weiß ich« – er brach wie gelangweilt ab und zeigte mit einer lebhaften Bewegung in die Landschaft hinaus. »Da sie 'mal her, Rüdiger! Der Mensch, der den Rudisdorfer Park angelegt hat, ist wirklich ein genialer Kopf gewesen – effektvoller könnte doch der hochgelegene Renaissancebau da drüben nicht herausgehoben worden sein als durch diese wundervolle Buchengruppen.«

      »Ach was!« versetzte Herr von Rüdiger geärgert. »Dafür habe ich nie Augen gehabt, das weißt du ... Ein schönes Frauenauge, ein schönes Frauenhaar – tausend noch einmal, war waren das für Flechten, die am Altare heute zu deinen Füßen lagen!«

      »Eine etwas verblaßte Schattierung der Trachenbergschen Familienfarbe,« sagte Mainau leichthin. »Meinetwegen! Das Titianhaar ist ja jetzt en vogue – die Romane wimmeln von rotköpfigen Heldinnen, die alle unsäglich geliebt werden – Geschmacksache! ... An einer Geliebten wäre es mir undenkbar, aber bei meiner Frau –!!« Er stäubte am Terrassengeländer die Asche seiner Zigarre und rauchte behaglich weiter.

      Liane zog instinktmäßig den dichten Schleier über das Gesicht; nicht einmal die Schwester, die in wortlosem Grimme und Schmerze auf den Sprechenden hinunterstarrte, durfte die tiefe Glut der Scham, der Demütigung auf ihren Wangen sehen. – Drüben umkreiste die Gräfin Trachenberg an der Seite des Geistlichen das Parterre; sie kam rasch näher und eilte die Treppe der Terrasse herauf.

      »Auf ein Wort, bester Raoul!« bat sie und legte ihren Arm in den seinigen. Langsam mit ihm auf und ab gehend, plauderte sie über alltägliche Dinge, bis die beiden anderen Herren sich so weit entfernt hatten, daß sie kein Wort mehr auffangen konnten.

      »Apropos,« sagte sie plötzlich stehen bleibend, »du wirst meinem besorgten Mutterherzen Rechnung tragen und mich nicht für gar zu indiskret halten, wenn ich noch im letzten Augenblicke eine penible Angelegenheit berühre – darf ich erfahren, wieviel Nadelgeld du Lianen zugestehst?«

      Die Schwestern konnten sehen, wie er amüsiert die Frau mit dem »besorgten Mutterherzen« fixierte.

      »Genau so viel, wie ich meiner ersten Frau zugestanden habe – dreitausend Thaler.«

      Die Gräfin nickte befriedigt. »Die kann sich freuen – ich war als junge Frau übler dran.« – Der Mann neben ihr belächelte spöttisch den tiefen Seufzer, den sie ausstieß. – »Und nicht wahr, Raoul, du bist auch ein wenig gut mit ihr?« setzte sie affektiert gefühlvoll hinzu.

      »Was verstehen Sie darunter, Tante?« fragte er, sofort seinen Schritt hemmend, mit mißtrauischem Blicke und in sehr scharfem Tone. »Halten Sie mich für so plump und taktlos, daß ich gegenüber meiner Frau, der Trägerin meines Namens, jemals die schuldige Artigkeit aus den Augen setzen könnte? ... Wollen Sie aber mehr, dann ist es gegen die Abrede. – Ich brauche eine Mutter für meinen Knaben und eine Herrin für mein Haus, die mich in meiner Abwesenheit vertritt – und ich werde viel, sehr viel abwesend sein. Das alles wissend, haben Sie mir Juliane als ein sanftes, weibliches Wesen zugesagt, das sich vortrefflich in die Stellung finden werde ... Liebe kann ich ihr nicht geben; ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen.«

      Schmerzlich aufweinend breitete Ulrike ihre Arme aus und zog die Schwester an ihr Herz.

      »Um Gott – ereifere dich doch nicht, Raoul!« bat eingeschüchtert die Gräfin drunten. »Du hast mich völlig mißverstanden. Wer spricht denn von einem so sentimentalen Verhältnis? Das könnte doch mir am allerwenigsten einfallen ... Ich appelliere einfach an deine Nachsicht. Du hast ja heute selbst gesehen, wie weit das ›ewig Weibliche‹ in seiner Bescheidenheit gehen kann – uns einen solchen Streich zu spielen mit der Brauttoilette!«

      »Lassen Sie das, Tante – Juliane kann darin handeln, wie sie Lust hat. Wenn sie sich in die Verhältnisse zu schicken weiß –«

      »Dafür stehe ich ein ... Gott – es ist ja so unsäglich traurig, es ausprechen zu müssen – aber Magnus ist eine Schlafmütze, ein Mann ohne alle Energie, eine Null, allein was ich an ihm verabscheue, das ziert seine Schwester – Liane ist ein unbeschreiblich harmloses Kind, und wenn erst Ulrike, der böse Geist meines Hauses, nicht mehr auf sie einzuwirken vermag, dann kannst du sie um den Finger wickeln.«

      »Mama ist sehr rasch in ihrem Urteil,« sagte Liane bitter, während die Schritte der Sprechenden drunten sich immer weiter entfernten. »Sie hat sich nie Mühe gegeben, einen Blick in mein Seelenleben zu werfen – wir waren zu allen Zeiten Fremden überlassen ... Warum weinst du, Ulrike ... Wir dürfen auf den kalten Egoisten da unten keinen Stein werfen – habe ich denn mein Herz befragt, als ich meine Hand in die seinige legte? Ich habe ›Ja‹ gesagt aus Furcht vor Mama –«

      »Und aus Liebe zu mir und Magnus,« ergänzte Ulrike mit so tonloser Stimme, als sei sie für immer gebrochen an Leib und Seele. »Wir haben alles aufgeboten, dich zu überreden; wir wollten dich retten aus der Hölle unseres Hauses und sind nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen, daß du Liebe finden müßtest, wohin du auch kämest – und nun wird sie dir so systematisch verweigert ... Du, so jung –«

      »So jung? ... Ulrike, ich werde im nächsten Monat einundzwanzig Jahre alt; wir haben viel Bitteres und Schmerzliches zusammen verlebt – ich bin durchaus nicht das Kind an Erfahrung und Lebensanschauung, als welches Mama mich eben hingestellt hat ... Laß mich ohne Sorge mit Mainau gehen – ich will seine Liebe nicht, und bin stolz genug, ihn darüber nie im Zweifel zu lassen. Meine Institutszeugnisse bezüglich der Sprachfertigkeit geben mir sehr viel Mut – die Baronin Mainau zieht heute in Schönwerth ein, in Wahrheit aber nur die Erzieherin des kleinen Leo. Ich habe dann einen edlen Wirkungskreis und kann vielleicht manches Gute stiften – mehr will ich nicht für mein ganzes Leben ... Lasse und jetzt Abschied nehmen, Ulrike – bleibe hier bei Papa, während ich das Haus verlasse!«

      Sie umarmte die zurückbleibende Schwester wiederholt und stürmisch, dann flog sie, ohne noch einmal die Augen zurückzuwenden, durch die Marmorgalerie hinüber in das Wohnzimmer ihrer Mutter. Dort stand Magnus am Fenster und sah nach dem Wagen, der bereits am Fuße der Freitreppe hielt; die Gräfin Trachenberg kam eben mit den drei Herren über den Schloßhof her. Es war gut, daß sie nicht sehen konnte, wie ihr Sohn, die »Schlafmütze«, der »Mensch ohne alle Energie«, bitterlich weinend die Schwester umfangen hielt – wie würde sie gezürnt haben über diesen herzzerreißenden Abschied, der »so wenig standesgemäß« war!

      Liane stieg mit festen Schritt, den Schleier über das Gesicht gezogen, die Treppe hinab. »Geh mit Gott


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