Erniedrigte und Beleidigte. Fjodor Dostojewski

Erniedrigte und Beleidigte - Fjodor Dostojewski


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brummigste von allen Dienerinnen auf der Welt, mit einem hartnäckigen, störrischen Charakter. Vor Nikolai Sergejewitsch hatte sie Furcht und hielt in seiner Anwesenheit immer ihre Zunge im Zaum. Dafür hielt sie sich vollauf an Anna Andrejewna schadlos, benahm sich fortwährend grob gegen sie und erhob offenkundig den Anspruch, über ihre Herrin zu herrschen, obwohl sie gleichzeitig sie und Natascha aufrichtig und von Herzen liebte. Diese Matrjona kannte ich schon von Ichmenewka her.

      »Hm! . . . Das ist doch unangenehm, wenn man durchnäßt nach Hause kommt und sie nicht einmal so freundlich gewesen sind, Tee für einen bereitzuhalten«, brummte der Alte halblaut.

      Anna Andrejewna blinzelte mir mit Bezug auf ihn sogleich zu. Er konnte solche geheimen Blicke nicht leiden, und obgleich er sich in diesem Augenblick Mühe gab, uns nicht anzusehen, so war ihm doch am Gesicht anzumerken, daß ihm Anna Andrejewnas Blick nicht entgangen war.

      »Ich war in Geschäften ausgegangen, Wanja«, begann er auf einmal. »Es ist eine ganz nichtswürdige Geschichte. Habe ich es dir schon gesagt? Ich werde vollständig verurteilt werden. Ich habe keine Beweise, siehst du wohl; es fehlen mir die erforderlichen Belege; meine Auskünfte stellen sich als unrichtig heraus, heißt es . . . Hm!«

      Er redete von seinem Prozeß mit dem Fürsten; dieser Prozeß zog sich immer noch hin, hatte aber für Nikolai Sergejewitsch eine sehr üble Wendung genommen. Ich schwieg, da ich nicht wußte, was ich ihm antworten sollte. Er sah mich mißtrauisch an.

      »Na, nur zu!« rief er plötzlich, wie wenn unser Schweigen ihn gereizt hätte; »je schneller, um so besser! Zum Schurken können sie mich nicht machen, wenn sie mich auch zur Zahlung verurteilen. Mein Gewissen spricht mich frei; mögen sie ihren Spruch fällen, wie sie wollen! Wenigstens ist dann die Sache zu Ende; der Prozeß ist abgewickelt, und ich bin ruiniert . . . Ich lasse alles im Stich und gehe nach Sibirien.«

      »Herrgott, warum sollen wir denn von hier fort? Und warum gleich so weit?« rief Anna Andrejewna, die nicht imstande war, sich zu beherrschen.

      »Was haben wir denn hier, das uns fesseln könnte?« fragte er in grobem Ton; er schien sich über den Widerstand seiner Frau zu freuen.

      »Nun, wir haben doch wenigstens . . . Menschen um uns . . .«, begann Anna Andrejewna und sah mich bekümmert an.

      »Aber was für Menschen!« rief er und ließ seinen zornigen Blick zwischen mir und ihr hin- und hergehen; »was für Menschen! Räuber, Verleumder, Verräter! Solche Menschen gibt es überall in Menge; sei unbesorgt, die wirst du auch in Sibirien finden. Wenn du aber nicht mit mir kommen willst, dann bleib meinetwegen hier; ich zwinge dich nicht.«

      »Liebster Nikolai Sergejewitsch! Um welcher Menschen willen werde ich denn ohne dich hierbleiben?« rief die arme Anna Andrejewna. »Ich habe ja auf der ganzen Welt außer dir niem . . .«

      Sie sprach nicht zu Ende, verstummte und richtete einen ängstlichen Blick auf mich, wie wenn sie mich um Hilfe und Beistand bäte. Der Alte war in sehr gereizter Stimmung und ereiferte sich über jedes Wort; man durfte ihm nicht widersprechen.

      »Lassen Sie es gut sein, Anna Andrejewna«, sagte ich; »in Sibirien ist es gar nicht so schlecht, wie man vielfach glaubt. Wenn ein Unglück eintritt und Sie Ichmenewka verkaufen müssen, so ist Nikolai Sergejewitschs Plan sogar recht gut. In Sibirien kann man leicht eine ordentliche Stellung als Privatangestellter finden, und dann . . .«

      »Na, wenigstens du, Wanja, sprichst vernünftig; das hatte ich auch von dir gedacht. Ich lasse alles im Stich und gehe davon.«

      »Nein, das hatte ich denn doch nicht erwartet!« rief Anna Andrejewna und schlug die Hände zusammen. »Und auch du, Wanja, haust in denselben Kerb! Das hatte ich von dir nicht erwartet! Du hast doch von uns immer nur Freundlichkeit erfahren, und jetzt . . .«

      »Hahaha! Was hattest du denn erwartet? Überlege doch nur: wovon sollen wir denn leben? Das Geld ist zu Ende; wir sind bei der letzten Kopeke angelangt! Verlangst du etwa, daß ich zum Fürsten Pjotr Alexandrowitsch gehe und ihn um Verzeihung bitte?«

      Als die alte Frau den Namen des Fürsten hörte, zitterte sie nur so vor Angst. Der Teelöffel, den sie in der Hand hielt, klirrte laut gegen die Untertasse.

      »Nein, wirklich«, fuhr Ichmenew fort, der mit boshafter, eigensinniger Freude seinen eigenen Zorn immer mehr entflammte, »wie denkst du darüber, Wanja? Ich sollte wahrhaftig hingehen! Wozu sollen wir nach Sibirien ziehen? Lieber lege ich morgen meinen besten Anzug an und frisiere mich fein, Anna Andrejewna macht mir ein neues Vorhemdchen zurecht (wenn man zu einer so hohen Persönlichkeit geht, ist das unumgänglich notwendig); auch ein Paar Handschuhe kaufe ich mir, wie es der gute Ton verlangt, und dann gehe ich zu Seiner Durchlaucht. ›Durchlaucht‹, sage ich, ›Sie unser gütiger Wohltäter! Verzeihen Sie mir, und erbarmen Sie sich meiner; geben Sie mir das Notwendigste zum Leben; ich habe eine Frau und kleine Kinder . . .‹ Nicht wahr, Anna Andrejewna, das verlangst du?«

      »Lieber Mann . . . ich verlange gar nichts! Ich habe das nur so in meiner Dummheit hingeredet; verzeih mir, wenn ich dich durch irgend etwas erzürnt habe, und sprich nur nicht so laut!« antwortete sie, immer heftiger vor Furcht zitternd.

      Ich bin überzeugt, daß er beim Anblick der Tränen und der Angst seiner armen Frau den tiefsten Seelenschmerz empfand und sich ihm das Herz in der Brust umdrehte; ich bin überzeugt, daß ihm weit übler zumute war als ihr; aber er konnte sich nicht beherrschen. Es kommt das nicht selten bei durchaus gutherzigen, aber charakterschwachen Leuten vor: trotz all ihrer Herzensgüte lassen sie sich mit einer Art von Genuß durch ihren eigenen Gram und Zorn fortreißen; sie müssen um jeden Preis alles aussprechen, was in ihnen kocht, wenn sie dadurch auch Unschuldigen und gerade denen, die ihnen am nächsten stehen, noch so wehe tun. Frauen zum Beispiel haben manchmal geradezu ein Bedürfnis, sich unglücklich und beleidigt zu fühlen, obwohl weder eine Beleidigung noch ein Unglück vorliegt. Und es gibt viele Männer, die in diesem Punkt mit den Frauen Ähnlichkeit besitzen, darunter sogar solche, die keineswegs schwächlich sind und sonst nicht viel Weibisches an sich haben. Der alte Mann empfand das Bedürfnis, sich zu streiten, obwohl er selbst unter diesem Bedürfnis litt.

      Ich erinnere mich, daß mir in diesem Augenblick der Gedanke durch den Kopf ging: hatte er vielleicht wirklich vorher etwas von der Art getan, wie es Anna Andrejewna vermutet? Vielleicht hatte gar Gott ihm das Herz gerührt, und er hatte sich wirklich auf den Weg zu Natascha gemacht, war aber unterwegs anderen Sinnes geworden, oder es war ihm dabei irgend etwas mißglückt, er war nicht zur Ausführung seiner Absicht gelangt (wie es auch nicht anders sein konnte), und nun war er, gereizt und gekränkt und sich der soeben gehegten Wünsche und Gefühle schämend, nach Hause zurückgekommen, suchte jemanden, an dem er seinen Ärger über seine »Schwäche« auslassen könne, und wählte sich dazu gerade diejenigen, bei denen er ebendieselben Wünsche und Gefühle am meisten voraussetzte. Vielleicht hatte er, als er seiner Tochter zu verzeihen wünschte, sich ganz besonders das Entzücken und die Freude seiner armen Anna Andrejewna vorgestellt, und nun, da seine Absicht mißlungen war, war seine Frau selbstverständlich die erste, die er deswegen schalt.

      Aber als er sah, wie niedergeschmettert sie war und wie sie aus Furcht vor ihm zitterte, wurde er gerührt. Er schien sich seines Zornes zu schämen und beherrschte sich ein Weilchen. Wir schwiegen alle; ich gab mir Mühe, ihn nicht anzusehen. Aber die gute Regung dauerte nicht lange. Er mußte seinem Ingrimm um jeden Preis Luft machen, sei es durch einen wütenden Ausbruch, sei es auch durch eine Verfluchung.

      »Siehst du, Wanja«, sagte er plötzlich, »es tut mir leid, ich wollte eigentlich nicht davon reden; aber der richtige Zeitpunkt ist gekommen, und ich muß mich offen aussprechen, ohne Winkelzüge, wie es sich für jeden ehrlichen Menschen ziemt . . . Du verstehst, Wanja? Ich freue mich, daß du gekommen bist, und darum will ich in deiner Gegenwart laut sagen, damit es auch andere hören, daß all dieser Unsinn, all diese Tränen und Seufzer, all dieses leidvolle Wesen mir schließlich zum Ekel geworden sind. Was ich aus meinem Herzen gerissen habe, wenn auch vielleicht mit Schmerz und blutenden Wunden, das kann nie wieder in mein Herz zurückkehren. So ist das! Ich habe es gesagt, und dabei bleibe ich. Ich rede von dem, was sich vor einem halben Jahr zugetragen hat; du verstehst, Wanja! Und ich rede davon so offen und deutlich eben deshalb, damit du meine Worte


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