DarkZone. Juryk Barelhaven
war leise, aber nicht zu überhören. Wehklagen von Menschen, mit gelegentlichen Stottern versehen als würde es der Person Schmerzen bereiten zwischen den Seufzern Luft zu holen.
Charlie wandte den Kopf mit laut pochendem Herzen langsam.
Es war eine Szene, eingefroren in Raum und Zeit; bar jeder Normalität: dort stand jemand auf dem Dach. Ein Mensch. In Fleisch und Blut. „… verschwinde…“, stieß die Frau krächzend hervor und zog an ihrem Kleid; ein Fetzen aus Sonnenblumenmuster und Dreck, die Haare strähnig und verlaust – aber das war noch nicht das Schlimmste. „Ich… will heim…“ Eine dünne Asiatin. Mit einem Bündel.
Charlie klappte der Kiefer nach unten. Im ersten Moment traute Charlie seinen Augen nicht. Er stand da wie gelähmt. Es war nicht nur der Schock, eine junge Frau in einem völlig verdreckten Kleid auf dem Dach eines leerstehenden Gebäudes zu sehen, deren Arme zerkratzt und blutig waren. Teilweise rührte der Schock auch einfach daher, plötzlich etwas völlig Unerwartetes zu sehen. Er hatte mit einer halbwegs beeindruckenden Kulisse aus Dächern und Zerfall gerechnet; nicht mit einer jungen Frau mit blutenden Händen und aufgeschnürten Knien. Einer verwahrlosten Frau, die ein rotes Bündel in den Armen hielt.
Der Moment zog sich in die Länge, die Puzzleteile brauchten lange in Charlies Kopf, um sich selbst zu finden… aber als die Stücke langsam an ihren Platz kamen, durchlief ein weiterer Schauer über seinen Rücken. Er schluckte trocken. Was war in dem Bündel?
Er blickte in die dunklen Augen, die so schwarz waren wie warmer Teer, und in dem grausigen Moment, bevor Charlies Erstarrung sich löste, konnte er erahnen, dass sich in dem Bündel etwas regte.
Was ist in dem Bündel?
„Was ist denn los?“, krächzte er leise. „Hey, was ist los?“
„Ich muss weg…“, quiekte die Stimme, triefend voller Verzweiflung. „Ich muss…“
„Moment, wo wohnst du? Wie heißt du?“
„Sie sind alle … alle tot.“
Charlie wollte gehen; er wusste, dass er gehen konnte. Jetzt. Nicht in ein oder zwei Minuten, sondern JETZT! Die Beine in Bewegung setzen und einfach vom Dach runter. Und gehen. Wieder zurück zum Schott. Zurück ins alte Leben. Zurück aus diesem Tal. Fort von der Frau mit dem Bündel…
„Wer ist tot?“ Er wusste, dass er die Antwort mehr fürchtete, als alles was er bislang kennengelernt hatte.
Was ist in dem Bündel?
„Nein, … ich will nach Hause…“
„Ja, schon gut.“ Charlie sammelte allen Mut und machte einen Schritt auf sie zu.
„FASS MICH NICHT AN!“ Die Finger krallten sich in dem Bündel, als wäre es ihr egal ob das Etwas darin Schaden erleide. Doch die Augen erzählten eine andere Geschichte. „Nicht wieder zurück…“
„Jaja…beruhige dich…“
„Böse… nicht da lang… Mama, ich will zu meiner Mama…“
„Shit!“
„Gott, er wird mich finden!“
„Das ist...“
„Warum...?“
Und dann roch er es. Der Wind hatte sich gedreht, und ein Schwall aus Zersetzung und Fäulnis, aus Kot und geronnenen Blut schwabbte ihm wie eine unsichtbare Welle in sein Gesicht, direkt in die Nase. Die Frau stank. Der Gestank von jahrelangem Irrsinn und Tortour. Von Angst, die vom Nacken ausströmte.
Arme und Beine, die voller grauer Striche waren; deutliche Zeichen von Krätze. Abgerissene Fingernägel, zerschundene Knie und einem Irrsinn in den Augen, den Charlie nicht mal aus einem Horrorfilm kannte.
Er wollte etwas sagen; etwas versprechen, nämlich dass alles wieder gut werden würde.
Dann begann die Frau sich zu bewegen. Trat zur Seite, und verschwand.
Sprang.
Und fiel.
Was ist in dem Bündel?
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