Die Füchsin. Ursula Tintelnot

Die Füchsin - Ursula Tintelnot


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Hün­din sieht ihn aus hell­blau­en Au­gen an. Ein Ohr hängt be­küm­mert nach un­ten, das an­de­re steht fra­gend in die Höhe. Sie zeigt ein schie­fes Lä­cheln, wenn sie eine Lef­ze hoch­zieht.

      Eine Schön­heit ist sie nicht, denkt Adam. Aber sei­ne Schwes­ter moch­te sie. Und auch Ben liebt sie. Er lässt ihn nur los, um hin­ter Bel­la her­zu­lau­fen. Das gibt ihm die Zeit, sein Müs­li vor­zu­be­rei­ten. Wi­ckeln, wa­schen, füt­tern, al­les ist zur Rou­ti­ne ge­wor­den.

      Vor der Tür wird es laut. Ein Mo­ped rat­tert über den Hof.

      »Hin­nerk«, sagt Adam.

      Ben nickt und schiebt sich einen Löf­fel Müs­li in den Mund. Er spricht nicht viel.

      »Moin, bin da.« Hin­nerk steckt den Kopf durch die Tür, winkt kurz und geht in Rich­tung der Ge­wächs­häu­ser. Auch Hin­nerk spricht nicht viel.

      Der Mor­gen ist noch frisch, aber die Luft er­wärmt sich fühl­bar. Es wird wie­der ein war­mer Tag wer­den. Ben kratzt sorg­fäl­tig sei­ne Schüs­sel sau­ber.

      Mehr­mals hat eine Dame vom So­zi­al­amt Adam be­sucht:

      »Ben ge­hört in einen Kin­der­gar­ten. Er ist in sei­ner Ent­wick­lung zu­rück.«

      »Was mei­nen Sie da­mit?«

      »Er spricht nicht, geht nicht auf mich zu, wie … norm… an­de­re Kin­der es tun wür­den.«

      Er ver­kniff sich eine scha­r­fe Ant­wort. Ich wür­de auch nicht auf dich zu­ge­hen, Zi­cke. Er ver­kniff sich auch den Hin­weis, dass Ben den Un­ter­schied zwi­schen Sal­bei, Thy­mi­an, Ros­ma­rin und noch so ei­ni­gen an­de­ren Kräu­tern kennt.

      »Und, so­weit ich se­hen kann, ist er auch noch nicht tro­cken.«

      »Das war ich in sei­nem Al­ter auch noch nicht«, sag­te er. »Ich habe noch mit fünf in die Hose ge­pisst, und wenn mein Nef­fe das möch­te, darf er das auch.«

      Er grinst, als ihm die­se Sze­ne ein­fällt, und stellt Bens in­zwi­schen säu­ber­lich leer ge­kratz­te Schüs­sel in die Spü­le.

      »Wir ge­hen jetzt ar­bei­ten«, sagt er und hebt Ben vom Kin­der­stuhl.

      Hin­nerk ist da­bei, die ge­pack­ten Kis­ten auf dem Prit­schen­wa­gen zu sta­peln. Das Auto mit der Auf­schrift: S. Frank Gar­ten­bau steht jetzt vor den Glas­häu­sern.

      S. Frank steht für: Si­mon, sei­nen Va­ter, und Se­me­le, sei­ne Schwes­ter. Er hat es nicht über sich ge­bracht, sei­nen ei­ge­nen Buch­sta­ben da­vor­zu­set­zen. Nicht ein­mal die Web­si­te hat er ak­tu­a­li­siert. Er ver­misst sie bei­de noch zu sehr. Viel­leicht wür­de ei­nes Ta­ges ein B für Ben dazu kom­men.

      »Ist das al­les?« Hin­nerk steht vor ihm und deu­tet auf die Kis­ten.

      »Nein, eine fehlt.« Adam kon­sul­tiert ein klei­nes Heft, das er aus der Ta­sche sei­ner Jeans zupft. »Hier. Thy­mus prae­cox, wei­ßer Thy­mi­an.«

      Ben zieht ihn ziel­si­cher in die rich­ti­ge Rich­tung, dort­hin, wo die vor­ge­zo­ge­nen Thy­mi­an­pflan­zen ste­hen.

      »Sehr gut, mein Klei­ner.«

      Hin­nerk lacht. »Du musst ihm bald Ge­halt zah­len. Auf mich kannst du dann ver­zich­ten.«

      Adam nickt. »Nur das mit dem Füh­rer­schein muss noch war­ten.«

      Er packt noch eine wei­te­re Kis­te mit den win­ter­har­ten Pflan­zen und klebt einen Zet­tel mit der Adres­se an die Sei­te. Hin­nerk ist schon im­mer hier ge­we­sen. Er ist mit Leib und See­le Gärt­ner. Er wüss­te nicht, was er ohne ihn tun soll­te. Adam spürt ein Zie­hen. Er wäre ger­ne selbst ge­fah­ren, aber das macht er nicht. Die Be­stel­lun­gen aus­zu­fah­ren und die Be­pflan­zung der Stadt­bal­ko­ne und Gär­ten über­lässt er Hin­nerk. Er fühlt Bens Hand in sei­ner. Es ist rich­tig, was er tut. Ben setzt sich nicht ger­ne in ein Auto.

      Adam nimmt sich den Ord­ner mit den Bil­dern. Von je­dem der Bal­ko­ne macht Hin­nerk ein paar Auf­nah­men, na­tür­lich mit der Er­laub­nis der Be­sit­ze­rin­nen, manch­mal so­gar mit ei­nem Sel­fie sei­ner Kun­din­nen. Fast im­mer sind es Frau­en, die sich an sei­ne Fir­ma wen­den. In Ge­dan­ken fährt er mit Hin­nerk durch Ham­burg, lie­fert die be­stell­ten Pflan­zen aus und pflanzt sie auf Wunsch gleich in Kü­bel und Käs­ten ein. So­weit er se­hen kann, hat er seit dem Tod sei­ner Schwes­ter kei­ne Kun­den ver­lo­ren. Hin­nerk hat of­fen­sicht­lich sehr gute Ar­beit ge­leis­tet. Die Frau­en mö­gen Hin­nerk. Aber Adam hü­tet sich, das aus­zu­spre­chen. Mit sei­ner tie­fen Stim­me und der ru­hi­gen Art wirkt Hin­nerk ver­trau­ens­wür­dig. Er klappt den Ord­ner zu. Es gibt viel zu tun.

      Er geht mit Ben zu dem klei­nen, mit ro­ten Zie­geln um­mau­er­ten Gar­ten hin­ter den Glas­häu­sern. Dort pflanzt er Heil­kräu­ter an. Heil­kräu­ter, die im­mer auch Gift­kräu­ter sind. Des­halb schärft er Ben ein­dring­lich ein, dass er nie, nie­mals ohne ihn, die­sen Teil des Gar­tens be­tre­ten darf. Aber Ben geht ohne ihn nir­gend­wo hin. Dar­über muss er sich noch kei­ne Sor­gen ma­chen. Vor der ro­ten Zie­gel­mau­er blüht die schöns­te und höchs­te sei­ner Pflan­zen, der tief­blaue Ei­sen­hut, gif­tig bis in jede sei­ner Fa­sern.

      Eine Gift­pflan­ze mit kri­mi­nel­ler Ver­gan­gen­heit. Sie muss­te über Jahr­hun­der­te als Mord­in­stru­ment her­hal­ten. In all ih­ren Pflan­zen­t­ei­len steckt Al­ka­lo­id Aco­ni­tin, das be­reits in ge­rin­gen Men­gen töd­lich wirkt. Die töd­li­che Do­sis bei Er­wach­se­nen liegt bei zwei bis vier Gramm der Wur­zel. Das ent­spricht ein bis zehn Mil­li­gramm Aco­ni­tin pro Ki­lo­gramm Kör­per­ge­wicht. Der Tod tritt meist in­ner­halb we­ni­ger Stun­den ein, durch Herz­ver­sa­gen und Atem­läh­mung.

      Der be­rühm­tes­te Mord mit Ei­sen­hut hat­te sich wohl an Kai­ser Clau­di­us im al­ten Rom zu­ge­tra­gen. Sei­ne Gat­tin und ihr Leib­a­rzt sol­len ihm gif­ti­ge Pil­ze un­ter das Es­sen ge­mischt ha­ben. Er konn­te sich da­nach noch in sei­ne Ge­mä­cher schlep­pen, in der Ab­sicht, mit ei­ner Vo­gel­fe­der einen Wür­ge­reiz her­vor­zu­ru­fen. Die­se Vo­gel­fe­der al­ler­dings war ge­tränkt mit ei­nem Ex­trakt aus Ei­sen­hut, was letzt­end­lich zu sei­nem Tod ge­führt ha­ben soll.

      Ben bleibt ein Stück weit da­von ent­fernt ste­hen, wie Adam es ihm bei­ge­bracht hat. Selbst die Be­rüh­rung ist ge­fähr­lich.

      4 Juni

      Va­le­rie klopft, war­tet aber nicht auf ein Her­ein, be­vor sie die Tür öff­net. Vik­tor sitzt hin­ter sei­nem rie­si­gen, un­auf­ge­räum­ten Schreib­tisch. Das Büro ist an­ge­nehm kühl. Er er­hebt sich und schließt sein zwei­fel­los nicht von der Stan­ge ge­kauf­tes Ja­ckett, als sie ein­tritt.

      Wie gut er aus­sieht, denkt sie.

      Mit ei­nem kaum un­ter­drück­ten Ta­del in der Stim­me sagt er: »Du hast es mal wie­der ge­schafft, uns alle in Atem zu hal­ten.«

      Va­le­rie ver­zieht die Lip­pen.

      »Das hält dich so un­ver­schämt jung.«

      Sie strahlt ihn an. Sie weiß, dass er sich är­gert, wenn sie Ter­mi­ne nicht ein­hält.

      Er geht drei Schrit­te auf sie zu, küsst sie auf den Mund und legt eine Hand be­sitz­er­grei­fend auf ih­ren Rü­cken. »Wann se­hen wir uns mal wie­der au­ßer­halb die­ses Bü­ros? Ich könn­te heu­te in der Stadt blei­ben.«


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