Fürstin des Nordens - Trilogy. Juryk Barelhaven

Fürstin des Nordens - Trilogy - Juryk Barelhaven


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es Eure Ladyschaft heute an Geduld mangelt.“

      „Francesco“, murmelte sie leise quengelnd und ruckte hin und her. „Ich will raus aus diesem Käfig.“

      „Das Buch der Etikette ist gewiss sehr anstrengend zu lernen“, sagte der Privatlehrer, und sein Blick fügte lautlos hinzu: Und was zum Teufel geht mich das an?

      „Wir sind seit einer Woche auf der Straße“, begann sie nach einer Weile, als Francesco keine Anstalten machte, von sich aus das Gespräch zu eröffnen. „Ich will raus und neben dem Karren laufen. Ein bisschen jagen oder vielleicht schwimmen. Sind wir nicht eben an einem See vorbeigekommen? Lass mich raus!“ Ihre gelben, großen Augen blickten ihn an und aus den Augenwinkeln konnte der Mann sehen, wie sich ihr Nackenfell am Haaransatz sträubte – untrügliche Zeichen, die er auch gelernt hatte zu deuten.

      „Was sollen eure Untergebenen denken, wenn Ihr wild und mit Grasflecken auf dem Kleid an eurem neuen Stammsitz ankommt? Die Fürstin von Blaqrhiken, die Herrscherin des Nordens, tollt mit Füchsen und Hasen herum!“ Er suchte einen Moment krampfhaft nach Worten. „Eure Mutter, die ehrwürdige und gewaltige Schattenprinzessin selbst, hatte wirklich das Gefühl, dass Ihr so weit seid. Zum Herrschen!“

      Claudile machte eine wegwerfende Handbewegung und lächelte. „Du schuldest mir was, Francesco. Stell dir nur vor, meine Brüder hätten dich statt Meiner erwischt.“

      Der Mann erinnerte sich gut an ihre Brüder, Zurric und Pjotr, die ihrem Vater Miquel Alemont an Wildheit und Kraft in nichts nachstanden und daran gewohnt waren, ihre Lehrer einfach aufzufressen, wenn ihnen danach war.

      Er stöhnte leise und legte kurz das Buch beiseite. „Darf ich Euch daran erinnern, dass ich euch den Rücken deckte, als Ihr mal … ganz kurz… auf das Fest im Dorf gehen wolltet? Eure Mutter hätte mich fast gehäutet, während Ihr mit einigen Bäuerinnen über die neueste Sommermode geschwatzt habt. Ich konnte mich gerade noch im Schrank verstecken!“

      „Sommermode“, wiederholte sie und lächelte schief. „Ich vermisse das bunte Treiben. Ich will raus! Kannst du das nicht verstehen?“ Ihre Finger zupften am engen schwarzen Brokatkleid, das ihr jeden Bewegungspielraum nahm. „Ich bekomme keine Luft mehr...!“ Sie hechelte leise. Das Tier in ihr windet sich, stellte er kühl fest. Trotzdem war er lieber mit ihr hier drin als mit ihrer Verwandtschaft. Ihre Mutter Cesarel, eine stolze und große Frau, hatte ihn in der Wut gegen das Bett geschleudert. Werwölfe hatten in der Regel wenig Geduld mit Menschen.

      Das Königtum Norfesta erstarkte vor 890 Jahren, zerfiel aber unter einem blutigen Kampf um die Krone in kleinere Fürstentümer – einem losen Bund aus kleineren Reichen, die sich fast zweihundert Jahre lang nicht auf einen König einigen konnten. Wenngleich sich noch lange Zeit danach keine „norfestische Identität“ entwickelte, verband alle Menschen eine Abneigung gegen Andersartige – wie Zwerge, Hexen, Elfen und Werwölfe. Nicht überliefert, aber dennoch factum, war, dass Elfen, Zwerge und Hexen systematisch vertrieben wurden. Der letzte Elf starb in der Ersten Republik vor zwei Jahren an Altersschwäche. Seine Werke über die Pogrome zählten bis zu 36 Bänden und gehörten zu den meistgelesenen Werken der Republik. Francesco de Palma hatte sie als Kind lesen müssen. Damals eine anstrengende Pflichtlektüre, heute sein Garant für ein recht bequemes Leben als Privatlehrer am Hofe des Adels von Norfesta, das in der Regel keine Gefangenen machte.

      Seit 600 Jahren teilen sich die Menschen Norfestas mit den Werwölfen die Wälder, die bis dato in Rudeln oder vereinzelt für Schrecken sorgten. Erst nach der Krönung des ersten Königs Grosny („Grosny, der Pfähler“) begann die Nacht der Blitze, in der Jägerkolonnen gezielt Jagd auf die Wölfe machte. Nach dem Tod des menschlichen Königs verlor das Königtum Norfesta an Macht und Einfluss und die Zeit des Khanats begann. Die Werwölfe unter der Führung des Khans der Blutklauen begannen die Silbermienen und die Depots der Armeen systematisch anzugreifen und zu schließen. Seit 5 Jahren war der ungekrönte Khan, Claudiles Vater, verschwunden, doch die Khane der Acht Regionen hielten noch immer das Reich stabil und pflegten lose diplomatische Beziehungen zu den Vampiren im Süden. Momentan war das Königtum in einem Wandel: die Werwölfe waren bestrebt die Monarchie weiter auszubauen. Die neuen Herrscher waren offenbar sehr bestrebt, sich mit neuen Wappen zu schmücken und sich für Etikette und Manieren am Hofe zu interessieren.

      Claudile kratzte sich mit den Hinterpfoten am Nacken.

      „Bitte nicht wieder!“ ermahnte er sie. „Wir haben bloß noch das eine Kleid. Wollt ihr nackt vor den Dörflern stehen?“

      „Diese dumme Kutsche“, maulte sie und fuhr mit einem heftigen Nicken fort: „Habe ich etwa darum gebeten, Fürstin zu sein? Auch noch im Norden. Da ist nichts, Francesco.“

      „Stopp“, ermahnte er erneut und hob dabei den Finger. „Was haben wir gestern gelernt?“

      „Nein, nicht…“

      „Doch. Es muss sein.“

      „Ich kann es doch…“

      „Eure Ladyschaft“, begann er streng. „Was macht Blaqrhiken aus?“

      Claudile seufzte, starrte eine Sekunde an Francesco vorbei ins Leere und zwang sich dann zur Ruhe. Aufrecht sitzend und beide Hände im Schoß, psalmierte sie: „Der Ort Blaqrhiken ist der nördlichste und entfernteste Ort in Norfesta. Jetzt, wo es für sein Sägewerk bekannt ist, sind es seine traumhaften Pasteten, für die Blaqrhiken so berühmt ist. Jeder köstliche Bissen ist wie eine warme Umarmung, aber das Besondere an dem Ort sind die Menschen, für die Nachbarschaft noch echte Werte besitzen. Diesen Geist verdanken die Stadt ihrem Wohltäter, Baron Ferou Hronghard der Dritte, der nach seinem Tode den Bürgern sein Vermögen überließ.“

      „Wie viele Einwohner?“

      „Zweiunddreißig Familien. Das Sägewerk, drei Lager, vier Ärzte, Tischler, Blechschmiede, Bäcker und so weiter und so fort. Dazu noch das Forstamt, die Burg und ungefähr sechzehntausend Hektar Fichtenwald.“

      „Wie heißt der Stadtvogt?“

      „Lyren. Mattes Lyren. Ihn soll ich als Erstes treffen.“

      „Einer von euch, wie ich meine.“ Francesco hegte keinen Groll gegen Werwölfe. Er hatte sich damit abgefunden, seine Heimat nie wieder zu sehen und Herren zu dienen, die den Mond anheulten und wilde Jagden als angenehmen Zeitvertreib betrieben. In der Monarchie gab es bei den Menschen im Westen Könige und Fürsten, die ihre Untergebenen mit Pacht, Steuern und willkürlichen Zwangsversteigerungen das Leben unerträglich machten – gab man hier einem Werwolf die Gelegenheit zur Jagd, war er schon zufrieden. Baron Glofort im Süden, beispielsweise, konnte mit Gold nichts anfangen und ließ sich von seinen Untergebenen in Hasen auszahlen. Doch über Lyren erzählte man sich etwas anderes: „Seine Lordschaft wird nicht erbaut sein, dass Ihr seinen Platz einnehmt. Er soll ungehobelt und brutal sein, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet.“

      „Ist hiermit stattgegeben“, meinte Claudile und bewegte ihre Hand frei nach der Etikette, wie es sich einer Dame am Hofe gebührte. „Mir scheint, dass es dem Lord an Manieren mangelt“, bemerkte sie spitz gekünstelt. „Welch Affront!“

      Francesco konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ihr sollt es auch nicht übertreiben. Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon. Versteht ihr?“

      Sie nickte knapp.

      An den Fenstern zog die Landschaft dahin. Das Rumpeln und Krachen der Räder mischte sich mit dem gelegentlichen Wiehern der Pferde. „Eine Lady muss lange Zeit still und duldsam sein können. Sie ist die Repräsentantin des Hauses, wenn der Herr nicht Zuhause ist. Sie hütet die Kinder, übt sich in Geduld um dann ihrem Gemahl zu Diensten zu sein.“

      Eine Bremse flog durchs Fenster, begutachtete die potenzielle Opfer und entschied sich für das Falsche. Behutsam landete sie auf ihren Nacken.

      „Sie näht die Kleidung, stopft die Socken, wäscht die Wäsche und organsiert die gesellschaftlichen Pflichten, die da wären...?“ Francesco sah sie über das Buch kritisch an. Er konnte förmlich spüren, wie ihre innere Unruhe wuchs.

      „Die


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