Fürstin des Nordens - Trilogy. Juryk Barelhaven

Fürstin des Nordens - Trilogy - Juryk Barelhaven


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desto weiter entfernte sich sie sich vom Fluss, wurde immer schmaler, ging erst in einen Karrenweg über, dann in einen Feldweg und endete schließlich in einem Trampelpfad, der so überwuchert war, dass der Kutscher gelegentlich davon abkam.

      Zur Mittagszeit erreichten sie Blagrhiken, das in einem Hochtal unweit einer Weggabelung lag. Die meisten Hütten waren nichts anderes als Bretterbuden, manchmal erblickten sie auch kleine Zelte dazwischen, nur über Stöcke gespannte Planen. Im Gegensatz dazu überragte eine große Burg aus festem Gestein alle anderen Gebäude. Zwei aus Kragsteinen gesäumte Türme ragten, wie zum Gruß erhobene Arme, neben der heruntergelassenen Zugbrücke auf. Sonnenschein fing sich in den an den Fahnenstangen aufgezogenen Bannern und glitzerte auf der silbernen Oberfläche des Burggrabens. Als sie näherkamen, meinte Francesco, es müsste ihnen eine Schar von Rittern zur Begrüßung entgegenkommen.

      Doch es kamen keine Ritter. Es gab keine Begrüßung. Je näher sie dem Dorf und der Burg kamen, umso mehr wich seine Freude und Erleichterung einem Gefühl des Unbehagens der unheilvollen Ahnung. Unter den Kiefern sangen keine Vögel. Kein Tier regte sich in den Feldern und Wäldern.

      Ein ärmliches Dorf mit rauen Gestalten, die misstrauisch alles und jeden beäugten. An diesem Ort, der grau und wenig einladend schien, lächelte niemand und erklang keine Musik. Eine Gruppe von Männern saß an einem schwelenden Feuer und tranken mürrisch vor sich hin. Drei Waschfrauen grummelten leise, als sie die Kutsche ankommen sahen und tuschelten aufgeregt. Zwei Kinder sahen neugierig rüber und klaubten einige Steine vom Boden auf.

      Francesco erinnerte sich gerade rechtzeitig an seine Pflichten und kletterte umständlich nach hinten, um nach ihr zu sehen. „Wir sind bald da. Jetzt wird sich angezogen!“

      „Das Kleid ist… gerissen. Ich kann nichts dafür.“ Die Stimme klang fast weinerlich hinter zugezogenen Gardinen.

      „Das muss doch anders gehen. Warte mal“, ächzte jemand im Innern. „Das muss dorthin, und hier stecken wir etwas fest…“

      „Das tut weh! Sieh nur, es fällt von alleine ab! Es sollte halten, aber das tut es nicht.“

      „Das ist doch Mist!“

      „Ich kann nichts dafür!“

      Der Kutscher hielt den Wagen an und klopfte aufs Dach. „Ähm, wir sind da“, erklärte er überflüssigerweise. Als Mann von Welt ignorierte er die fragenden Blicke der Bürger und starrte unverwandt auf die schiefe Mauer der Burg.

      Eine Weile passierte garnichts. Einige Neugierige versuchten einen Blick ins Innere zu erhaschen.

      Dann ging endlich die Tür auf.

      Die Menge holte erwartungsvoll Luft.

      Claudile spazierte im Soldatenrock, Männerhose und einem blauen Hemd und die Haare lässig über die Schulter gelegt auf die Straße und sah sich um. Zum Glück vermied es Francesco auszusteigen. Es wäre nicht gut ausgegangen.

      „Hallo, liebe Bürger“, sagte sie und reichte dem ersten Mann die Hand. „Ich bin Claudile.“

      Der Kutscher drehte den Kopf herum. „Ja, so geht es natürlich auch.“

      Die Menge war im ersten Moment so verblüfft, dass niemand reagieren konnte. Alte wie Junge, Männer wie Frauen hatten sich eingefunden und blickten abwechselnd zur Kutsche und zur…Frau in Männerkleidern. Es waren verhärmte Gesichter, gealtert vom Last der Entbehrungen und der Arbeit, die ihr Leben bestimmte. Sie verstanden die Botschaft nicht, … wenn es eine war. Und der Zirkus kam äußerst selten in die Stadt.

      Ein einsamer Wind stöhnte durch die Reihen. Jemand hüstelte leise.

      „Das ist also Blagrhiken“, stellte Claudile fest und nickte zur Bestätigung.

      „Wer seid ihr?“ wollte jemand wissen. Jemand holte einen Knüppel aus einem Eimer. Forken wurden gereicht. Die Blicke bekamen etwas Bedrohlicheres.

      „Ich bin Claudile Alemont, eure Fürstin vom heutigen Tage.“ Sie wartete auf Reaktion, und als nichts kam, drehte sie sich um und sah zur Kutsche. „Francesco! Schau doch mal…“ Dabei wischte sie nervös ihre Haare fort und ihr Fellansatz im Nacken wurde zufällig sichtbar.

      Die Menge stöhnte leise auf. Sofort rutschten wenige beiseite, machten Platz während Knüppel und Forken hastig versteckt wurden. Als sich Claudile umdrehte, hatte sich das Bild verändert: die erste Reihe kniete umständlich. Frauen verbeugten sich während Kinder große Augen bekamen. Ganz kleine Kinder fingen an zu weinen.

      Sie lächelte und reichte dem ersten Mann wieder die Hand.

      Es handelte sich hierbei um einen Schmied des Dorfes; einen breitschultrigen Mann mit gerötetem Gesicht und Armen wie Schiffstaue. Als sich die Menge zurückzog, sah er sich in der ersten Reihe und riss sich selbst die Kappe vom Kopf. „Ich habe nichts getan“, murmelte er hastig.

      „Was meinst du?“ fragte Claudile.

      Er war groß und… nun, gewaltig. Wenn der Schmied durch die Straßen wankte, wirkte er wie ein kleiner Eisberg und konnte schnell und hart zupacken. Doch vor der kleinen Frau verlor er fast die Fassung. „Nichts“, erwiderte schließlich. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass allgemeines Leugnen besser war als Abstreiten.

      „Freut mich“, sagte Claudile und ergriff seine Pranke noch bevor er sie wegziehen konnte. „Ich bin von nun an eure Fürstin. Ich wünsche euch allen einen angenehmen Tag. Ist das deine Schmiede?“

      Sie deutete über seine Schulter auf das Gebäude, wo in einer Esse glühende Kohlen langsam erkalteten.

      Falten bildeten sich auf seine Stirn, als er herauszufinden versuchte, in welche Richtung die Frage zielte. „Nein. Das gehört mir nicht.“

      „Ach?“

      „Sie gehört Euch, wollte ich sagen.“

      „So?“

      „Ich habe immer die Steuern bezahlt“, betonte er und war fast den Tränen nahe. Alle anderen wandten sich weiter und weiter von ihnen fort. In der Schmiede starrten eine Frau und ein Kind herüber. „Muss Papa jetzt sterben?“ fragte der Bube leise.

      Claudile war kurz verwirrt, lächelte aber und schien guter Dinge. „Nun, da ich nichts vom Schmieden verstehe, überlasse ich dir den Rest. Möge dein Stahl stehts gerade und deine Esse heiß sein!“ Sie lachte leise. Niemand fiel mit ein.

      Claudile hüstelte verlegen. „Gute Leute, kann mir jemand sagen, wo ich den Stadtvogt treffen kann?“

      „Bist du… seid Ihr wirklich die Fürstin?“ wollte der Schmied wissen. Er schien sich ein wenig zu entspannen. „Wir haben den Baron seit Wochen nicht mehr gesehen. Er wohnt dort in der Burg. Seht ihr?“ Er wies auf das graue Gebäude mit der Mauer und den Türmen, an die sich Claudile fast anlehnen konnte. „Dieser Hurensohn… ich meine, dieser Kerl kommt nicht vor der Tür! Verzeiht, Mylady, ich bin es nicht gewohnt mit Euresgleichen zu reden.“ Er wirkte jetzt weitaus weniger besorgt als am Anfang.

      „Ja, das fällt auf.“ Claudile wandte sich um, zuckte mit den Schultern und erkannte ein Schild in der Nähe, dass einen Hammer und einen Gartenzaun präsentierte. Das musste die Stadtwache sein.

      Vor der Wache am LangenBrunnenPlatz hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden, als Hauptmann Gaver sich zum Mittagsschläfchen auf seinen Stuhl setzte. Bis dahin war es ein netter, sonniger Morgen gewesen. Er blieb sonnig, wurde aber weniger nett. „Das sind Fremde, weil sie nicht von hier sind“, stellte er ungerührt fest und stocherte mit seinem kleinen Finger in seine Nase. „Die sollten sehen, das sie weiterkommen, nja. Das ist meine Meinung.“

      Gaver war ein breiter Mann, nicht besonders muskulös und schwitzte stark beim Gehen, so dass er seinen Dienst am Liebsten auf seinen Platz draußen an der Tür tat. Seine einzelnen Barthaare neben den Leberflecken zitterten, während er versuchte sich herumzudrehen, um über die Menschenmenge zu sehen. Neben ihm trat Korporal Axel mit zwei Bechern Wein aus der Tür und lehnte sich an die Tür. Wenn man Gaver


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