Spielzeit. Dani Merati

Spielzeit - Dani Merati


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schickte. Es war ein Fehler gewesen, ins ‚Darkside‘ zu gehen. Nervös hielt er nach Nguyen Ausschau, der bis eben auf der Tanzfläche den Jägern den Kopf verdreht hatte.

      Ein lautes Grölen lenkte seine Aufmerksamkeit Richtung Darkroom und er sah gerade noch einen großen, schlanken Mann zu Boden stürzen. Im nächsten Augenblick drängte sich sein Freund durch die gaffende Menge und Diego kam ihm in höchster Alarmbereitschaft entgegen. „Was ist passiert?“, rief er über den tosenden Lärm der Musik.

      Nguyen schüttelte den Kopf und zog an seinem Arm. „Lass uns bloß verschwinden. Für heute ist mein Bedarf an Arschlöchern gedeckt.“ Nur zu willig ließ er sich aus dem dunklen Club ziehen, nicht ohne kurz zurückzuschauen. Der Kerl, den der Kleine aufs Kreuz gelegt hatte, stand wieder und sah ihnen hinterher, machte allerdings keine Anstalten ihnen hinterherzukommen. Dennoch spürte er den Blick, der sie verfolgte, auch wenn das Gesicht des Typen im Schatten lag und nicht zu erkennen war.

      Draußen hielt sein Freund nicht an und zog ihn direkt zur gegenüberliegenden Bushaltestelle, wo Diego sich schließlich von ihm löste und ihn aufmerksam ansah. „Raus mit der Sprache. Was war da los?“ Starr sah der beinahe einen Kopf kleinere Mann ihn an. „Ein Irrtum“, antwortete er tonlos. „Nur eine Verwechslung, nichts weiter.“

      Das glaubte er keine Sekunde. Dafür wirkte Nguyen viel zu aufgewühlt. Er sah aus, als hätte er etwas sehr Wichtiges verloren. „Okay, Amigo, wie du meinst. Aber wenn du reden willst ...“ Nguyen winkte ab. „Nicht nötig, doch gegen ein bisschen Trost hätte ich nichts einzuwenden.“ Mit diesen Worten fasste der andere ungeniert in Diegos Schritt, was ihm wider Erwarten eine Gänsehaut bescherte. Trotzdem schob er die Hand seines Freundes behutsam beiseite. Auch wenn sie schon öfters miteinander im Bett gelandet waren, ihm stand heute nicht der Sinn nach bedeutungsloser Vögelei. Bereits seit langem nicht mehr, wenn er ernsthaft darüber nachdachte.

      „Sorry, Kleiner, kein Interesse. Komm, ich ruf ein Taxi und wir teilen uns die Kosten.“ Kurz glaubte er so etwas wie Enttäuschung in der Miene des jungen Mannes zu erkennen, aber dann zwinkerte Nguyen ihm zu. „Dein Verlust, Amigo.“

      Während sie auf das Taxi warteten und angeregt plauderten, wurde Diego das Gefühl nicht los, dass jemand sie beobachtete. Doch ein unauffälliger Rundumblick zeigte ihm keine auffälligen Schatten. Auch vor dem ‚Darkside‘ war keine Menschenseele zu sehen. Vermutlich war er einfach überlastet. Er arbeitete seit dem Umbau beinahe nonstop, wollte Jo beweisen, dass er sich hundertprozentig auf ihn verlassen konnte. Ja klar rede dir das nur weiter ein. Du arbeitest so viel, damit du Sebastian so oft wie möglich siehst und ihn gleichzeitig auf Abstand halten kannst.

      Diego war klar, dass ihr Spiel sich langsam dem Ende zuneigte. Einer von ihnen musste irgendwann nachgeben. Und er hatte das untrügliche Gefühl, dass es nicht Bastian sein würde.

      Kapitel 2

       Samstag, 27.9.14

      Wie jeden Morgen seit drei Wochen erwachte Andy von Stetten in den Armen seines Freundes Jo. Müde blinzelte er die Spinnweben vor seinen Augen weg und schielte auf den Wecker. Kurz nach elf. Jo würde noch mindestens eine Stunde schlafen, das gab ihm die Gelegenheit alles in Ruhe vorzubereiten.

      Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf seinen Geliebten trottete er ins Bad und sprang unter die Dusche. Nachdem er der alltäglichen Morgentoilette gehuldigt hatte, zog er sich rasch an, schlüpfte danach aus der Wohnung und lief zum Bäcker um die Ecke.

      Zwanzig Minuten später scannte Andy den üppig gedeckten Tisch, ob er auch nichts vergessen hatte, als ihn köstliche Wärme einhüllte. Starke Arme kamen um ihn herum, zogen ihn an einen noch kräftigeren Körper und er kuschelte sich wohlig seufzend in die Umarmung seines Geliebten. „Hey Süßer. Das sieht ja verlockend aus. Du sollst dir doch nicht solche Mühe machen.“

      Schlaftrunken und rau klang Jos Stimme, heißer Atem prickelte an seiner Ohrmuschel und er musste ein Kichern unterdrücken, als eine vorwitzige Zungenspitze neckend in sein Ohr stieß. „Lass das, das kitzelt.“ Jo grollte leise und dann spürte er einen sanften Biss im Nacken, der sein Gekicher schlagartig in ein Stöhnen verwandelte. „Ich spring noch rasch unter die Dusche. Fang ruhig schon an.“

      Er lächelte seinen Freund an. „Es macht mir nichts aus zu warten“, sagte er und im selben Moment knurrte sein Magen. Er errötete und Jo zog eine Augenbraue hoch.

      Sein Geliebter drückte ihn auf einen der Küchenstühle. „Iss. Ich beeil mich.“ Andy nahm ein Brötchen und aß es trocken, während er in der Tageszeitung blätterte, speziell die Seite mit den Wohnungsanzeigen interessierte ihn. Doch da würde er bestimmt nichts finden. Er hatte sich bereits bei einem Internetportal eingetragen, die WG-Zimmer vermittelte, aber bisher war noch nichts Passendes dabei gewesen. Große Hoffnung hegte er ja nicht, der verfügbare Wohnraum war meist schon Monate vor Semesterbeginn ausgebucht.

      Als Jo wiederkam und ihm durch die Haare strubbelte, sah Andy erschrocken auf. „Wohnungsanzeigen? Suchst du was Neues? Die hier ist doch nicht schlecht.“ Er schluckte. Wie viel sollte er Jo sagen?

      „Nein, ist sie nicht. Sie hat nur einen Makel. Sie gehört der Familie und ich möchte unabhängig sein. Außerdem ist die Verbindung zur Uni etwas ungünstig.“ Bei der Erwähnung seiner Familie verengten sich Jos Augen kurz, dann verwandelte sich sein Gesicht in eine ausdruckslose Maske. „Und was genau schwebt dir vor? Wahrscheinlich eine WG, oder? Sollen es Studenten sein oder ist das egal? Ich weiß nämlich von Nguyen, dass in seiner Wohngemeinschaft demnächst ein Zimmer frei wird. Soll ich ihn fragen, oder willst du das lieber selber machen?“

      Jo trank hastig einen Schluck Kaffee und verschlang sein Brötchen. Dann stand er auf, beugte sich zu Andy hinunter und küsste ihn auf die Wange. „Sorry Süßer, aber ich muss leider schon los. Es ist viel Papierkram liegen geblieben, und wenn ich mich nicht bald daransetze, erschlägt mich der Stapel noch.“ Sprach’s und verschwand, ohne ihm eine Gelegenheit zur Antwort zu geben, im Flur.

      Andy saß einen Moment erstarrt da. Er hatte zwar nicht erwartet, dass Jo ihn fragen würde, ob er bei ihm einzog, doch diese Nichtreaktion beziehungsweise der überstürzte Aufbruch war ... irgendwie beängstigend. Natürlich war ihm klar, dass sie sich kaum kannten, außerdem hatten sie abgemacht, es langsam angehen zu lassen. Aber, dass Jo nicht mal gefragt hatte, wieso er aus dem Apartment hier aus und in eine WG einziehen wollte, dass es ihm egal zu sein schien - das tat weh!

      Du bist ja auch nicht gerade ein Vorbild an Ehrlichkeit, nicht wahr Andy? Denn der Grund, warum er so schnell eine neue Wohnung suchte, war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass er von seiner Familie unabhängig sein wollte. Sein Magen schlug nach wie vor Purzelbäume, als er an das Einschreiben dachte, das ihm der Postbote vor einer Woche überreicht hatte. Räumungsbescheid hatte er noch gelesen, dann erst mal sein Frühstück zur Toilette befördert. Jo hatte er etwas von einer Magenverstimmung vorgeflunkert und den Brief in seinem Kleiderschrank versteckt.

      Nachmittags, als Jo in die ‚Spielzeit‘ unterwegs gewesen war, hatte er das Schreiben hervorgeholt und mehrfach ungläubig die Aufforderung zur Räumung durchgelesen. Bis zum Ende des nächsten Monats blieb ihm Zeit, aber er hatte nicht vor so lange hierzubleiben. Am Meisten aufgeregt hatte ihn die Klausel, dass die Wohnung wieder in ihren Originalzustand zu versetzen sei. Was glaubte sein Stiefvater denn, was er hier getrieben hatte?

      Andy seufzte. Oliver dachte sich nur eins: Er wollte ihm klarmachen, wer weiterhin das Sagen hatte, wer die Regeln bestimmte. Ihm war klar gewesen, dass sein Entschluss auf Widerstand stoßen würde, von seinem Stiefvater hatte er es nicht anders erwartet. Was ihm wehtat, war, dass seine Mutter sich nicht einmal bei ihm gemeldet hatte, weder um auf seinen Brief zu reagieren noch auf seine zahlreichen Anrufe. Er hatte zwar schon immer gewusst, dass er keine Priorität in ihrem Leben besaß, aber dass sie so gleichgültig schien, verletzte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Und jetzt benahm sich Jo sehr merkwürdig und jagte ihm damit Angst ein.

      Seit


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