Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
Das rutschte mir einfach über die Lippen und war eher zur Belustigung gedacht.
Tims Augen verdunkeln sich und er brummt: „Rede nicht so daher. Das mache ich nicht, um dich ins Bett zu kriegen.“
Das: „Ach, nein?“, liegt mir auf der Zunge.
„Carolin, du weißt, dass du alles für mich bist. Ich will einfach nur, dass es dir gut geht.“
„Es geht mir gut. Ich habe eine Wohnung, in der mich keiner findet und meine Freiheit wieder, die ich jetzt endlich genießen will.“
Sein Blick sagt mir, dass die Sache mit der Freiheit und deren Genuss ihn etwas verwirrt. „Freiheit? Frei von was?“, fragt er.
Ich weiß sofort die Antwort. Aber soll ich sie aussprechen? Ich entschließe mich dazu, es zu tun. „Ich brauche keinem mehr Rede und Antwort stehen, mich bei keinem ab oder anmelden. Ich kann machen, was ich will, gehen, wohin ich will und wann ich will und ich kann endlich ein richtiges Sololeben führen.“
„Ein Sololeben ist dir wichtig?“, fragt Tim ungläubig.
Ich kann ihn verstehen. Ich hatte mit Marcel gleich das komplette Gegenteil gefahren, dass man mir nicht zutraut, eigentlich etwas ganz anderes zu wollen.
Ich nicke. „Ja, ich will einfach meine Freiheit genießen.“
Tim steht auf und holt uns noch einen Kaffee. Als er sich wieder setzt, sieht er mich herausfordernd an. „Gut, die Solonummer ist okay. Aber verspreche mir bitte, wenn ich wieder da bin gibst du dein Sololeben auf.“
„Zu meiner Freiheit gehört auch, dass ich niemandem etwas versprechen muss“, erwidere ich und grinse ihn frech an, obwohl mir in meinem tiefsten Inneren nicht danach zumute ist. „Ich weiß nicht, was in zwei Monaten sein wird. Ich will jetzt einfach nur Abstand zu allen Männern halten“, sage ich ernst.
Tim greift nach seinen Zigaretten. Er steckt sich eine zwischen die Lippen und zündet sie sich an. „Abstand zu allen Männern halten! Das hört sich in meinen Ohren wirklich vernünftig an.“ Er hält mir die Schachtel hin.
Ich ziehe eine Zigarette heraus und stecke sie mir zwischen die Lippen. „Stimmt, finde ich auch. Und schließt dich das nicht auch mit ein?“, frage ich ein wenig zu bissig.
„Nein, ich habe Sonderrechte“, knurrt er und seine schwarzen Augen funkeln aufgebracht.
„Sonderrechte? Die gibt es nicht“, murmele ich und ziehe lasziv an meiner Zigarette.
Einen Moment sieht er mich verunsichert an. Doch dann wird sein Blick noch dunkler und er raunt: „Gut! Keine Sonderrechte also?“
Ich schüttele den Kopf.
„Hm, dann muss ich doch eine Mietzahlung fordern. Eine wöchentliche. Zu zahlen, wenn ich wieder freihabe. Und die Wochen dazwischen stunde ich dir nur … mit einem 100%tigen Zinsaufschlag und wenn du die Zahlung verweigerst, kommen sofort 100% Zinsen dazu.“ Er grinst mich auf seine alte Art an, die ich schon fast bei ihm vermisst habe.
„Wow, dann ist das aber eine teure Wohnung“, brumme ich und muss doch schmunzeln, weil ich glaube, er macht nur Spaß.
„Pass auf, dass ich nicht noch die Nebenkosten in Rechnung stelle“, sagt er und lacht.
Ich lache auch auf. „Das kann ich dann nicht mal in einem ganzen Leben abarbeiten.“
Tim wird ernst. „Das ist gut. Der Gedanke gefällt mir. So sollten wir es machen.“
Ich schüttele nur den Kopf. „Vergiss nicht, warum ich hier bin. Sololeben! Freiheit! Vor niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen! Ich glaube, da laufen unsere Wünsche gerade völlig aneinander vorbei.“
„Sind sie das nicht immer schon irgendwie?“, raunt er und sein Blick versetzt mir einen Stich. Aber natürlich hat er recht.
Um zwei am Nachmittag schafft Tim es endlich, sich von mir loszueisen und wir gehen zu seinem Auto. Ihm fiel noch so viel ein, was er für mich noch alles tun wollte, nachdem er mich erneut in sein Bett gezerrt hatte.
Ich versuchte ihn zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass ich schon zurechtkomme. Aber er war trotzdem nervös und fahrig und zog mich immer wieder an sich, um sich regelrecht an mich zu klammern.
Nun brennen seine sehnsuchtsvollen Küsse immer noch auf meiner Haut, als wir endlich durch die Haustür auf den Hof treten.
Vor seinem Auto zieht er mich ein letztes Mal in seine Arme und küsst mich.
Ich bin sogar etwas traurig, dass er fahren muss. Wenn mich seine Liebe auch oft erdrückt, so ist er zumindest immer bedingungslos für mich da und seine Anwesenheit hatte mir ein wenig meines Kummers genommen, der nun schon übermächtig auf mich lauert.
„Ich rufe dich an, wenn ich angekommen bin. Bitte mach dein Handy an. Außerdem schicke ich dir auf alle Fälle das andere zu. Falls du Marcel wieder abblocken musst.“
„Mach das“, raune ich nur.
Er steigt in sein Auto und fährt aus der Garage in den Sonnenschein hinaus.
Ich winke ihm nach.
Als sein schwarzer Mercedes um die nächste Straßenecke biegt, überfällt mich sofort das komische Gefühl der Einsamkeit. Ein ungewohntes Gefühl.
Langsam gehe ich in die Wohnung zurück und schließe die Tür hinter mir ab.
Ich will erst mal duschen und die Wohnung für mich wohnlich einrichten. Aber als erstes stelle ich meinen Laptop an, um mir Musik anzumachen. Tim hatte mir das Kabel für die Musikanlage und das Internetkabel angeschlossen.
Im Internet finde ich einige Musikzusammenstellungen, die mit den dazugehörigen Videos laufen. Ich schiebe den Küchentisch an die Wand zum Schlafzimmer, um keinen Kabelsalat mitten durch den Raum zu haben und setze mich mit dem Stuhl davor. Die ungeahnten Möglichkeiten an Musik faszinieren mich und nun habe ich endlich mal Zeit, diese ganz genau zu studieren.
Mein Freiheitsgefühl überwältigt mich wieder und verdrängt das stetig anklopfende Gefühl der Einsamkeit und Traurigkeit.
Die Musik laut aufdrehend, gehe ich ins Badezimmer und dusche. Ich spüle die letzten Reste eines Mannes von mir runter. Mein Leben soll sich nun nur noch um mich drehen und wenn ich einen Menschen in mein Leben lasse, dann nur kurz. Höchstens zwei-drei Stunden. Mehr will ich keinen ertragen.
Ich stehe traurig lächelnd unter der Dusche. Erik hat mir viel in kürzester Zeit beigebracht.
Mich abtrocknend und von oben bis unten eincremend wird mir klar, dass ich Zeit schinde. Mein Haar föhne ich mir mit ganz viel Geduld trocken. Ein Blick in den Spiegel sagt mir, dass ich immer noch ziemlich mitgenommen wirke. Vielleicht wird es besser, wenn ich mich endlich der Welt da draußen gestellt habe.
Ich hole mein Handy und setze mich auf das Sofa. Doch bevor ich es anstelle, stehe ich wieder auf und hole mir eine Zigarette. Tim hatte mir drei Schachteln dagelassen. Ich soll schließlich keinen Notstand erleiden.
Mit der Zigarette zwischen den Lippen wage ich es endlich das Handy anzuschalten. Aber ich lasse es sofort neben mir aufs Sofa fallen. Es springt mir fast vom Polster.
Endlich reißt die Flut von SMSen ab.
Mein Anrufspeicher ist voll, mein Anrufbeantworter glüht und die SMSen kann ich gar nicht alle auf meinem Display erfassen. Mir wird übel. Wie soll ich damit umgehen?
Ich nehme mir als erstes Ellens SMSen vor. Sie ist alles … wütend, traurig, verängstigt, erschüttert, entsetzt und was man sonst noch so sein kann. Aber sie hat auch den Hauptteil an Anrufen und SMSen und ich beschließe, ihr sofort zurückzuschreiben.
„Es geht mir wieder gut. Ich bin bei Marcel ausgezogen und beginne nun ein neues Leben. Morgen komme ich wieder in die Schule. Dann erzähle ich dir mehr. Bitte gib mir noch diesen Nachmittag für mich und beruhige bitte alle, die beruhigt werden müssen.“ Ich denke dabei an Erik.
Die