Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt

Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen - József Wieszt


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Unkel“, im Krieg einen Kehlkopfdurchschuss erhalten hatte und nicht mehr voll arbeitsfähig war. Man hatte ihm zwar eine neue Speiseröhre eingesetzt, aber er hatte große Schwierigkeiten beim Schlucken. Die Geräusche, die er dabei machte, waren für uns anfangs sehr befremdlich. Später gewöhnten wir uns daran. Weil er ein gutmeinender Mensch war und uns Kinder gern hatte, fühlten wir uns auch zu ihm hingezogen.

      Die Lebensweise der Familie war sehr nüchtern und karg. Ihr protestantischer Glaube trug, wie ich vermute, zusätzlich dazu bei, dass größere Lebensfreude nicht aufkam. Frau Arnold führte ihren Haushalt mit größter Sparsamkeit. Jede Verschwendung war ihr ein Graus. Das Essen war einfach. Fleisch gab es meistens nur am Sonntag. Im Frühjahr und im Herbst schlachteten sie ein Schwein. Das Fleisch wurde zum großen Teil zu Dauerwurst verarbeitet, eingemacht oder geräuchert. Mit diesen Vorräten wurde ihr Fleischbedarf im Wesentlichen gedeckt. Daneben schlachteten sie auch einige ältere Hühner und junge Hähne. Die Legehennen sorgten für Eier.

      Ich erinnere mich gut, dass die Hausfrau zu ihren Gemüse- und Kartoffelsuppen manches Mal ein Stückchen Dauerwurst „röre Worscht“ (rote Wurst) als Fleischbeilage gab. Die Hausherrin backte alle 14 Tage bis drei Wochen zehn bis fünfzehn Laibe Roggenbrot. Sie wurden im gemeindeeigenen Backhaus gebacken und auf Brettern in der Speisekammer gelagert. Auf einem flachen Raum über dem Backofen trockneten die Bauern im Herbst auf Blechen Apfel- und Birnenschnitzel und Zwetschen. Sie waren für uns Kinder, die leicht in diesen flachen Raum gelangen konnten, eine ständige Versuchung. Frau Arnold machte auch eigenen Handkäse aus Quark, den sie aus der Milch ihrer Kühe gewann. Er wurde in der Speisekammer ebenfalls auf Brettern gelagert, bis er „durch“ war. Das dauerte etwa drei Wochen. Oft kam dieser Käse aber schon früher auf den Tisch. Er war dann in der Mitte noch weiß und krümelig. So mochte ich ihn nicht, wenn er aber „reif“ war, aß ich ihn gern.

      Alles Gemüse, das Obst und die Kartoffeln stammten aus eigener Produktion, auch die Eier. Das Mehl bekam man aus dem Roggen, der in der Mühle in Rennertehausen gemahlen wurde. Die groben Teile, den Schrot, benutzte man als Schweinefutter. Für den Kuchen erhielten sie vom Müller im Tausch Weizenmehl. Aus dem Laden holte sich die Bauern damals nur die Sachen, die sie nicht selbst erzeugen konnten, wie Salz, Zucker, Zimt, Rosinen, Pfeffer, Öl, Schnittkäse etc. Auf dieser Weise lebten die meisten Kleinbauern in dem Ort. Frische Wurst oder Käse wurden nicht gekauft Auch in unserer Familie war das zum großen Teil so. Geld war bei ihnen wie bei uns immer knapp.

      Frau Arnold hatte ein Spinnrad und spann damit Schafwolle zu Garn. Sie strickte daraus selbst wollene Leibchen, Strümpfe und Handschuhe. Die Tochter Frieda beteiligte sich daran. Im Winter trafen sich die heiratsfähigen Mädchen und junge Frauen zur „Spinnstube“. Ich berichte davon in anderen Zusammenhang. Otto betrieb neben seiner Imkerei auch noch einen Fahrradhandel. Er verkaufte Räder der Marke „Panther“ und brachte auf diese Weise ein wenig Geld ins Haus. Bei der üblichen Produktionsweise der Kleinbauern, überwiegend Selbstversorgungswirtschaft, war der Geldmangel ein ständiger Begleiter des Lebens.

      Die „Giwwelstante“ erzählte uns Kindern Geschichten, die mit Magie, „bösem Blick“ und Gespenstern zu tun hatten. Sie versetzte uns Kinder in Unruhe. An die Möglichkeit, dass bestimmte Menschen die Fähigkeit hatten, anderen aus der Entfernung Schaden zuzufügen, glaubte sie fest. So habe ein böser Bauer (Hexer) eine Speiche eines seiner Wagenräder mit einer Axt durchgehauen, und im selben Moment habe sich ein Mann, dem er schaden wollte, das Bein gebrochen. Eine böse Frau habe durch einen Zauberspruch eine ihrer Kühe verhext, die danach keine Milch mehr gab – oder nur noch verdorbene Milch. Da sie gerade ein Kälbchen hatte, musste dieses mit der Flasche aufgezogen werden. Eine schwangere Frau habe eine Nachbarin durch den „bösen Blick“ so erschreckt, dass diese ihr Kind verloren habe. Eine andere, die gern ein Kind wollte, sei durch einen bösen Blick unfruchtbar geworden. Durch den Blick einer bösen Frau können Krankheiten ausgelöst werden etc … Diese Geschichten erschreckten uns Kinder zwar, aber nicht allzu sehr, da sie sich nicht auf uns bezogen.

      Anders war das aber mit der „Weißen Frau“, die sich beim Mondschein um Mitternacht im Hohlweg nicht weit von Giebels Haus herumtreibe und alle, die vorbeikamen, in Angst und Schrecken versetze. Wir empfanden ein heftiges Gruseln, als wir uns in der nächsten Vollmondnacht dem Hohlweg näherten, der tagsüber unser beliebter Spielplatz war. Angestrengt spähten wir den Weg hinauf. Je länger wir das taten, desto deutlicher sahen wir die Weiße Frau, die wie ein Schemen durch die Luft schwebte, verschwand und wieder auftauchte, solange, wie wir nicht aufhörten, dorthin zu starren. Schließlich drehten wir uns um und sahen in die andere Richtung. Der Spuk war vorbei. Er tauchte auch nicht wieder auf, als wir noch einmal in den Hohlweg zurückblickten. Also gingen wir nach Hause. Eine gewisse Angst vor diesem Gespenst verfolgte uns aber in den hellen Nächten noch lange.

      Die Roggenmuhme, die faule und liederliche junge Leute, die sich in den Kornfeldern liebten, tötet, gehörte ebenfalls zum Instrumentarium des Schreckens der guten „Tante“. Am größten war die Angst, die uns die Geschichtenerzählerin mit ihrem Bericht vom „Mann unter der Kellertreppe“ einflößte. In einem Haus im Nachbardorf habe sich ein Mann unter einer Kellertreppe versteckt, eine junge Frau, die in dem Keller ging, überfallen und ihr „Schaden angetan“. Danach habe er ihr die Kehle durchgeschnitten und sei verschwunden. Man müsse davon ausgehen, dass sich der Mörder immer noch in der Gegend herumtreibe und sich andere Opfer suche. Damit hatte mir die gute Frau eine große Angst vor dunklen Kellertreppen eingejagt. Vermutlich hat sie uns das erzählt, damit wir nicht ohne Erlaubnis in ihrem Keller herumtrieben, wo ein Teil ihrer Vorräte lagerte. Noch Jahre danach hatte ich ein klammes Gefühl, wenn ich in unseren Keller gehen musste, um etwas zu holen. Mein lieber Bruder wusste um diese Angst und hat mich später fast zu Tode erschreckt. Heute kann ich mir gut vorstellen, dass die „Giwwelstante“ mit dem Mann unter der Kellertreppe verhindern wollte, dass wir uns unbefugt in ihrem Keller herumtrieben und dort eventuell etwas klauten.

      Eine weitere Schreckensgestalt unserer Kinderjahre war der „Wirrwahn“. Er habe in unserer Gegend schon einige Morde begangen und halte sich immer noch dort versteckt. Er verberge sich in Höhlen, Feldscheunen aber auch in Schäferkarren. Ein solcher stand immer in der Nähe unseres Dorfes und diente dem Schäfer als Unterkunft. Wir Kinder trieben uns häufig am Waldrand herum und beobachteten misstrauisch den Schäferkarren. Der „Wirrwahn“ ließ sich nicht blicken. Wenn aber am Horizont, nur undeutlich sichtbar, ein Mann vorbeiging, dann war uns klar, das musste der Mörder sein. Wir rannten nach Hause und erzählten, was wir gesehen hatten. Aber die Erwachsenen schienen sich für unsere Kriminalgeschichten nicht zu interessieren. Nur einer machte eine Ausnahme, Otto. Er hatte für Kriminalgeschichten sehr viel übrig. Regelmäßig las er „Tom Brox“- und „Jerry Cotton“-Hefte. In langen Reihen lagerten sie in seinem Zimmer. Vielleicht ist er wegen dieser Leidenschaft Junggeselle geblieben, wer weiß? Wenn wir bei ihm waren, erzählte er uns von den Abenteuern seiner Helden und freute sich, wenn sie wieder einen Bösewicht erledigt hatten. Es war ihm, als hätte er selbst deren Taten vollbracht und ihre Abenteuer erlebt.

      29 Alle erwachsenen Frauen wurden von Kindern als Tante angesprochen, die Männer als Onkel (Unkel).

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