Die Grump-Affäre. Robert Wagner

Die Grump-Affäre - Robert Wagner


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in den Trümmern aufgefunden.“

      John nickte und verließ wortlos das Zelt. Erneut knirschte er mit den Zähnen. Eine alte Angewohnheit aus Studienzeiten, wenn er unter Druck stand.

      Vor dem Zelt stand der junge Police Officer und deutete mit einer Armbewegung an, dass John ihm folgen solle. Langsam realisierte John, was er eben gehört hatte: keine Personen gefunden! Wo waren Emma und sein Sohn?

      Die Explosion hatte sich am Mittag ereignet, gewöhnlich waren beide zu Hause. Emma kochte häufig für Felix das Mittagessen. Vielleicht hatte er Glück, und sie waren auswärts essen gegangen oder Felix war bei einem Freund und Emma hatte ihn gefahren.

      Er musste über Mauerreste steigen und lief gegen einen Balken, der Teil seiner alten Dachkonstruktion gewesen war.

      Sie waren an den Überresten seines Elternhauses angekommen. John blickte auf den Rauch und die Asche, die überall, wie feiner Schneefall, durch den kalten Januarwind aufgewirbelt wurde. Marco trat neben ihn.

      „Ich habe eben die gute Nachricht gehört, keine Menschen im Haus während der Explosion! Hast du eine Ahnung, wo Emma und Felix sein könnten?“

      John packte Marco unsanft an der Schulter: „Hier stimmt etwas ganz und gar nicht!“

      Die Hölle

      John saß in seinem Büro im 17. Stock und sah müde aus dem Fenster. Heute hätte eigentlich sein großer Tag werden sollen. Er fühlte sich alt, gerädert und kraftlos. Monatelang hatte er darauf hingearbeitet und dafür sogar seine Familie vernachlässigt, eine große Chance für seine Karriere.

      Die Ankündigung, dass Ronald Grump sich als Kandidat für die Wahl zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten bewerben würde, lief auf sämtlichen Bildschirmen im Büro. Die meisten Kollegen hatten sich vor den Fernsehern versammelt und verfolgten gebannt die gerade stattfindende Pressekonferenz. Nur John saß allein in seinem trendig eingerichteten Einzelbüro für leitende Angestellte des Kurznachrichtendienstes Twitter. Aus seinen dunkel umrandeten Augen, deren Weiß sich ungesund verfärbt hatte, nahm er eine Bewegung an der Scheibe wahr, als seine Assistentin winkte, um ihn nach draußen zu den anderen einzuladen.

      Er trug seit Tagen die gleichen Sachen am Leib und verströmte einen aufdringlichen Geruch. Solche Dinge störten ihn zu normalen Zeiten empfindlich. Seit Tagen hatte er nicht mehr richtig geschlafen, war zu kraftlos gewesen, um eine Dusche zu nehmen. In Gedanken sah er seine Frau und seinen Sohn vor sich, die zum morgendlichen Abschied am Fenster winkten, als er in den Wagen stieg und zu Arbeit fuhr. Dieses Bild kam immer wieder in John auf. Alles weg. Alles vergangen. Alles genommen.

      Er hatte in den letzten Tagen viel Zeit auf dem Polizeipräsidium zugebracht. Stundenlang war er von Inspector Tenner befragt worden. Die Pausen zwischen den Verhören waren kurz, Tenner bemühte sich um Mitgefühl, aber er musste die Geschichte wieder und wieder erzählen. Am Ende beschlich ihn das Gefühl, dass er der Einzige war, der seine Version für wahr hielt.

      Wie konnte es sein, dass alle an einen Unfall glaubten?

      Die explodierte Gasleitung, die sein Elternhaus dem Erdboden gleichgemacht hatte, war noch vor wenigen Monaten im Zusammenhang mit dem Neubau des Towers direkt neben seinem Grundstück überprüft worden. Es musste Dokumente geben, die das belegten. Nicht nur, dass ihm keiner auf dem Revier glaubte. Mehr noch: Er war der Tatverdächtige Nummer eins.

      Mit dem Anruf von Marco vor einigen Tagen hatte alles begonnen. Johns Leben wurde innerhalb von wenigen Minuten auf den Kopf gestellt. Marco war sein bester und ältester Freund seit Kindertagen. Sie wohnten in derselben Straße und gingen auf dieselbe Schule. Die gesamte Freizeit verbrachten sie zusammen, sie stahlen Fahrräder, die sie verkauften, brachen nachts in Keller ein und wurden zu den unumstrittenen Anführern ihrer kleinen Bande. Alle Kinder der Nachbarschaft wollten dazugehören, sie beide hatten das Kommando. Es gab keinen Jugendlichen in der Nachbarschaft, der sich mit ihnen anlegte. Marco und John hatten in dieser Gegend das Sagen. Es bestand ein Band zwischen ihnen für den Rest des Lebens. Das spürten sie schon im Alter von zehn Jahren. Es ging so weit, dass Marcos Mutter eines Tages John auf Italienisch verfluchte und auf Englisch weiterschimpfte, dass er einen schlechten Einfluss auf ihren braven, süßen Figlio habe. John konnte Marco wochenlang nicht von zu Hause abholen, ohne Sorge, von dessen Eltern erwischt zu werden und eine kräftige Tracht Prügel zu beziehen.

      Doch ihre Freundschaft beruhte nicht nur auf einer gemeinsamen Vergangenheit, beide genossen die Gesellschaft des anderen. Sie trafen sich so oft wie möglich, wenn Marco von seinen Einsätzen wieder zu Hause war, über die er nie sprach. Manchmal sahen sie sich monatelang nicht, und dann, wenn Marco wieder zurückkam, war es, als wären sie nie länger als einen Tag getrennt gewesen. Tiefe, alte Freundschaft. Ein Fundament.

      Das Leben hielt unterschiedliche Wege für sie bereit, Marco ging zu einer Spezialeinheit der Marines, und John, der lange nichts mit seinem Leben anzufangen wusste, heuerte bei einer neumodischen Firma an, die vor allem Kurznachrichten von prominenten und weniger prominenten Menschen an Tausende von Neugierigen verteilte.

      Das Internet und diese kleinen IT-Firmen waren zu Beginn etwas völlig Neues. John gefiel die Atmosphäre, die jungen und hippen Leute um ihn herum. John war älter als die meisten seiner Kollegen, doch er galt als versierter IT-Spezialist und hatte mit seinen neuen Algorithmen schnell für Aufsehen gesorgt, was ihm die Stelle als Ressortleiter im IT-Bereich einbrachte und damit gutes Geld für ein Leben in New York. Ursprünglich hatte John Politikwissenschaften studiert und Informatik nur in den Nebenfächern belegt, aber es zog ihn mehr und mehr zu IT-Themen als zur Politik, für die er sich in letzter Zeit nicht mehr großartig interessierte.

      John hielt nicht viel von dem amerikanischen Parteiensystem, der Politik im Allgemeinen, wenn Milliarden von Spendengeldern in Kampagnen investiert wurden und gleichzeitig alle brennenden Probleme, die mit dem Geld behoben werden könnten, konsequent vernachlässigt wurden. Den aktuellen Kandidaten konnte er nichts abgewinnen. Grump hatte seinen Account seit Jahren bei Twitter, er wurde aber wie von den meisten Prominenten ausschließlich für geschäftliche Zwecke verwendet und ab und zu wurde ein Bild von einer Gala oder einer Party eingestreut. Man blieb so im Gespräch. John hatte eine Vielzahl von Prominenten-Accounts zu betreuen, der von Ronald Grump würde sich bald von allen anderen unterscheiden. Es war klar, dass John hier künftig in seiner Eigenschaft als Administrator gefordert werden würde.

      Er konnte sich noch gut an Marcos Worte bei seinem Anruf erinnern: „Es ist furchtbar, John! Eine Katastrophe! Es gab eine riesige Explosion, die ganze Straße sieht aus wie nach einem Anschlag der Taliban! Dein Haus steht nicht mehr! Komm her!“

      So hatte es angefangen.

      Der Verdacht

      John ging zusammen mit Marco zum Zelt, wo er dem Officer, der sie zu der Ruine begleitet hatte, seine Mobilfunknummer und Marcos Adresse gab. Marco lebte allein in dem Haus direkt die Straße runter, seit seine Eltern vor Jahren gestorben waren. Er hatte seinem Freund angeboten, fürs Erste in seinem alten Kinderzimmer zu übernachten. Sie gingen in die Küche, und Marco machte für beide einen starken Kaffee mit der altersschwachen Bialetti.

      Marco liebte es, zu kochen, und immer, wenn er nachdenken wollte, fing er an, egal ob hungrig oder nicht, die leckersten Gerichte zu zaubern mit allem, was gerade im Haus war. Marco stammte aus Neapel, hatte einen Bruder und war das älteste Kind einer Auswandererfamilie, die stolz auf ihre Wurzeln war und nun schon in der dritten Generation in den Staaten lebte. Sein Vater hatte ein italienisches Restaurant betrieben und die Kunst des Kochens an seinen Sohn weitergegeben.

      „Was ist los, John, was glaubst du, was geschehen ist?“

      John blickte auf, holte tief Luft: „Im Frühling fing das alles an. Ich habe dem erst keine Bedeutung beigemessen. Morgens auf dem Weg zur Arbeit sprach mich ein Mann an, als ich gerade ins Auto steigen wollte. Er sagte, er habe großes Interesse, mein Haus zu kaufen, und möchte mir ein einmaliges Angebot unterbreiten. Ich lachte laut, sagte ‚Danke‘, stieg ins Auto und fuhr los.“

      „Klingt wie in einem schlechten Mafiafilm“, sagte Marco


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