Harry in love. Christina Masch
Beide Männer stutzten. Isabel lachte prompt wieder herzlich auf, als ihr der Irrtum auffiel. „Verzeihung, natürlich anders herum!“, rief sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und legte ihre Arme über Kreuz. Sie überreichte somit nunmehr Toni den Zettel mit ihrer Handynummer darauf und gab dem aufmerksamen Herrn seinen Stift zurück. Dabei sah sie ihn nur flüchtig für den Bruchteil einer Sekunde an. Anschließend sagte sie zu Toni: „So, ich werde dann mal noch etwas tanzen gehen. Wir hören uns.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und wollte die zwei Stufen wieder hinunter zur Tanzfläche gehen, als sie abrupt stehen blieb. Harry wusste sofort, dass ihr soeben bewusstwurde, wem sie da gerade den Stift zurückgegeben hatte. Prompt trafen sich ihre Blicke. Isabel zog scharf die Luft ein. In ihrem Kopf schrie alles nach Flucht, doch ihre Beine bewegten sich nicht einen Millimeter von der Stelle. Sie starrte nur unentwegt Harry an. Und er tat nichts anderes.
Es schien eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein, auch wenn es in Wirklichkeit nur wenige Sekunden gewesen waren, bis Harry den Abstand zwischen ihnen verringerte. Isabel riss sogleich entsetzt Mund und Augen auf. Harry blieb sofort wieder stehen. Unsicher sah er zu Isabel herüber. Doch weder sagte sie etwas, noch bewegte sie sich zu ihm hin oder von ihm fort. Stattdessen sah sie ihn weiterhin einfach nur entgeistert an. Harry atmete tief durch und wagte den nächsten Schritt, indem er sie einfach ansprach: „Hallo Isabel. Wie geht es Dir?“ Isabel löste für einen Moment den Blick von Harry, sah ihn dann aber unweigerlich wieder von Neuem an. „Du hast eine neue Frisur. Gefällt mir, auch wenn ich Dich damit kaum wiedererkannt habe“, redete Harry einfach drauf los. Doch Isabel schwieg noch immer und biss sich stattdessen nervös auf die Unterlippe, um sich anschließend mit der Zunge über die trocken gewordenen Lippen zu streichen. Harry bekam prompt elektrisierende Schmetterlinge im Bauch. Wie sehr er doch Isabel noch immer begehrte! Er atmete tief durch, um seine heftigen Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. Isabel schien zu spüren, was mit Harry los war und wandte sich auf einmal, ohne ein Wort zu sagen, von ihm ab. „Isabel!“, rief Harry und griff nach ihrem linken Oberarm.
Isabel hielt sofort inne. „Bitte … Lass mich los!“, bat sie.
„Nicht, bevor Du mir meine Frage beantwortet hast!“, flüsterte Harry an ihr linkes Ohr. Er stand direkt hinter ihr und konnte ihren wunderbaren Duft wahrnehmen. Wie gerne hätte er sie jetzt in die Arme geschlossen und leidenschaftlich geküsst! Doch gleichzeitig erschrak er, denn Isabel war im Grunde nichts anderes mehr als Knochen und Haut. Er hatte sogar Bedenken, ob seine doch recht vorsichtige Berührung ihr nicht schon wehtat. Prompt ließ er sie los. Doch zu seiner Überraschung blieb sie stehen und ergriff nicht sofort die Flucht, was er erwartet hatte.
„Mir geht es gut“, kam es unberührt von Isabel.
„Wirklich?“, warf Harry sogleich ein. Doch Isabel reagierte nicht weiter darauf und lief einfach zu Anabel herüber, die natürlich das Aufeinandertreffen, genauso wie Jane und William, mitverfolgt hatte.
„Annie, ich weiß, ich verlange viel von Dir, vor allem an Deinem Geburtstag. Aber können wir vielleicht gehen?“, wandte sich Isabel hoffnungsvoll an ihre beste Freundin.
„Nein, wir bleiben!“, kam es kurz angebunden von Anabel.
„Aber …“, wollte Isabel protestieren.
„Nichts aber, wir bleiben und zwar jetzt erst recht!!! Ignorier ihn einfach, schließlich seid ihr doch nicht mehr zusammen …“, entgegnete Anabel simpel. Isabel seufzte und setzte sich mit hängenden Schultern neben ihre Freundin auf die Couch in der Sitzecke.
Harry lief mit ebenfalls hängenden Schultern zu William und Jane an die Bar herüber.
„Was jetzt?“, fragte auch sogleich William seinen Bruder.
Harry zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines: Ich brauche jetzt erst einmal ein Bier! Andi?“
„Kommt sofort!“, erwiderte Andi, der Barkeeper, und reichte Harry das gewünschte Bier. Harry trank es mit einem Mal bis zur Hälfte aus.
„Aber nicht, dass Du Dich jetzt betrinkst?!“, warnte Jane.
„Und wenn, kannst Du auch nichts dagegen machen!“
„Harry, bitte nicht! Komm, lass uns nach Hause fahren …“, bat Jane. William stand sofort auf.
„Nein!“, kam es todernst von Harry. „Ihr könnt ja fahren, aber ich bleibe!“ Seufzend nahm William wieder auf seinem Barhocker Platz, während Harry die Bierflasche nun gänzlich leerte und sich gleich noch eines bestellte. Andi kam dem nur widerwillig nach und sah hilfesuchend zu Jane und William herüber.
Jane legte Harry eindringlich ihre Hand auf den Oberarm. „Harry, was hast Du davon, wenn Du Dich jetzt volllaufen lässt; außer einem gewaltigen Brummschädel am nächsten Tag? Quäl Dich doch nicht selbst noch so! Komm, bitte lass uns gehen …“
„Nein!!!“, erwiderte Harry und schob Janes Hand grob von seinem Arm und sah seine Schwägerin dabei warnend an. Sie sollte ihn gefälligst in Ruhe lassen! Jane schluckte und blickte bittend zu ihrem Mann herüber. Doch er schüttelte nur den Kopf.
Jane sah ihn verständnislos an. William seufzte und ging zu seiner Frau herüber, nahm sie in den Arm und sagte leise: „Lass ihn, wenn er sich jetzt betrinken möchte, dann soll er es tun. Was nicht heißen soll, dass ich es gutheiße! Aber wenn es nun einmal seine Art ist, den Schmerz zu bekämpfen, dann soll ihm dieses Recht auch zustehen. Außerdem sind wir doch bei ihm und haben ein wachsames Auge auf ihn. Nach dem übernächsten Bier verfrachte ich ihn zudem höchstpersönlich in die Limousine. Also gib ihm die Genugtuung, es wenigstens versucht zu haben.“
„Was versucht zu haben, mit Isabel zu sprechen?“
„Nein, sich zu betrinken …“
Nun war es Jane, die seufzte und wehmütig zu Harry sah, der gerade die leere Flasche Bier abstellte und dann aufstand. Irritiert sahen William und Jane ihm hinterher. Harry steuerte geradewegs auf Isabel zu, die noch immer trübsinnig dreinblickend neben Anabel auf der Couch saß. Anabel erschrak, als sie Harry vor sich stehen sah. Isabel folgte ihrem Blick und schnappte hörbar nach Luft.
„Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“, fragte Harry allen Ernstes.
Isabel glaubte, sich verhört zu haben und so antwortete sie patzig: „Und was ist, wenn ich ‚Nein‘ sage?“
„Dann werde ich mir Dich jetzt einfach greifen; auch ohne Deine Einwilligung!“, kam es provozierend von Harry und das feurige Funkeln in seinen Augen verriet Isabel, dass Harry es wirklich auch so meinte. Erneut fiel Isabel die Kinnlade herunter. Hilfesuchend schaute sie zu ihrer Freundin. Anabel sah jedoch genauso hilflos drein und hob die Schultern.
„Tu ihm doch einfach den Gefallen. Vielleicht lässt er Dich ja dann anschließend wieder in Ruhe?“, schoss es Anabel daraufhin durch den Kopf. Isabel biss sich unschlüssig auf die Unterlippe.
„Ich frage Dich noch einmal: Gewährst Du mir den nächsten Tanz?“
Isabel schoss die Schamesröte in die Wangen und sie senkte eingeschüchtert den Blick. Überraschenderweise ergriff sie anschließend jedoch Harrys dargereichte Hand und folgte ihm mit auf die Tanzfläche. Beide standen sich gegenüber, als just in diesem Moment die langsame Runde begann.
Isabel begegnete Harry mit einem vernichtenden Blick. Sofort riss er unschuldig die Hände in die Luft. Isabel biss sich abermals auf die Unterlippe. Harry sah ihr an, dass sie mit sich selbst einen inneren Kampf ausfocht. Als sie anschließend wieder zu ihm aufsah, zuckte er nur mit den Schultern und steckte seine Hände provokativ in die Hosentaschen, was so viel hieß wie: Entscheide Du, ob Du bereit bist, mit mir zu solcher Musik zu tanzen … Isabel atmete noch einmal tief durch, ehe sie einen Schritt auf Harry zuging. Sogleich zog Harry seine Hände wieder aus den Hosentaschen.
Isabel legte ihre eiskalte rechte Hand in seine linke weiche und warme Hand, während ihre linke auf seiner rechten Schulter ruhte. Harry bekam sofort gewaltiges Herzklopfen, als er Isabel so nah bei sich spürte. Doch er ließ es sich nicht anmerken und führte sie ruhig über das Parkett. Isabel folgte ihm in fließender Bewegung; versuchte