Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit. Jürgen Wächter
einen Streich gespielt und etwas unbemerkt auf meinen Wagen geklebt hatte. Niemals war ich rechts oder radikal gewesen. Wir gingen dann zum Auto und der Abteilungsleiter zeigte auf einen Aufkleber mit einem Thorhammer. Den habe ich tatsächlich am Wagen, da ich nicht christlich bin, sondern an die germanischen Götter glaube. Ich erklärte ihm, dass das ein religiöses Zeichen ist. ‚So was benutzen aber auch Rechtsradikale.‘ ‚Rechtsradikale gehen auch in den Supermarkt, wenn Sie dort sind, trotzdem sind Sie deshalb noch kein Rechtsradikaler‘, konterte ich. Schließlich akzeptierte er mein Glaubensbekenntnis. Aber die Schikanen gingen weiter. Haarsträubende Dinge wurden gesucht. Im September erhielt ich dann die Erklärung, dass mein zum Jahresende auslaufender Vertrag nicht verlängert würde; es seien fachliche Gründe dafür entscheidend, nicht die Maskenbefreiung, hieß es offiziell. Jeder im Betrieb wusste, dass es wegen der Maskenablehnung war. Seitdem trägt hier jeder widerstandslos eine Maske, ich war also das Exempel, das statuiert wurde, um alle zu disziplinieren. Ab Januar bin ich arbeitslos, aber meine Würde habe ich behalten.“153
In der Masse kann der Einzelne jede Schweinerei begehen. Er selbst tut es ja nicht, er ist kein verantwortliches Individuum mehr. Die Verantwortung liegt bei der Masse, der er nur gehorcht. Klar, dass hinterher alle sagen konnten, sie hätten in der Nazizeit nicht mitgemacht. Dazu brauchte es jedoch keines Abzeichens und keiner Parteimitgliedschaft. Ein schrecklicher Charakter reicht, um sich in einer Masse ausleben zu können. Doch dadurch machen sie sich erst recht zum Helfershelfer von Unterdrückung und Boshaftigkeit.
Der zweite Grund ist für Le Bon, dass in der Masse sehr schnell Gefühle und Handlungen von der Masse auf die Einzelnen überspringen. „In der Masse ist jedes Gefühl, jede Handlung übertragbar, und zwar in so hohem Grade, dass der einzelne sehr leicht seine persönlichen Wünsche den Gesamtwünschen opfert. Diese Fähigkeit ist seiner Natur durchaus entgegengesetzt, und nur als Bestandteil einer Masse ist der Mensch dazu fähig.“154 „In der Masse sind wir keine Erwachsene.“155 Springt eine Aggressivität gegen Maskenverweigerer, Impfgegner oder wahllos ausgesuchte andere in die Masse, wird diese schnell übernommen und zur Gruppenaggressivität. Das ist der Grund, warum in so vielen Läden diese Menschen ausgegrenzt und diskriminiert werden.
Eine Dame erlebte Folgendes in einem Einkaufsmarkt: „Ich hatte meinen Einkauf erledigt und stand an der Kasse. Da kam eine Kassiererin zur anderen und meinte: ‚Du glaubst es nicht, schon wieder jemand, der mit dem Anwalt droht, nachdem ich ihn auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht habe. Es laufen nur Spinner umher!‘ Die andere rollte nur mit den Augen. Ich hab mir nur gedacht, dass die Verkäuferinnen selbst keine Maske tragen und schon vor Corona rumliefen wie sieben Tage Regenwetter. Ich wollte dieser Frau noch verbal eine drücken, habe es dann doch gelassen und gehe definitiv nicht mehr in den Laden. War ein großer Fehler.“156
„Ich war mit Maske in einem Baumarkt, kaufte aber nichts und wollte hinausgehen. Ich musste an der Warteschlange an der Kasse vorbei, wie man das so mit dem üblichen ‚Darf ich mal vorbei‘ so macht. Plötzlich stellte ein Mann seinen Wagen quer, sodass ich nicht weiterkam, und schrie mich an ‚Abstand halten!‘ Solche Frechheiten sind mir früher nicht geschehen.“
„Gestern in einem Laden. Ich beim Betreten gehe zwei Meter rückwärts … Bodenmarkierung übersehen. Oje. Da blafft die Verkäuferin: ‚Sie müssen Ihre Maske aufsetzen.‘
Ich: ‚Ich habe eine Befreiung.‘
Sie: ‚Sie brauchen einen Korb.‘
Ich: ‚Ich brauche keinen Korb.‘
Sie: ‚Das ist wegen der Anzahl.‘
Ich: ‚Ja, ja, das ist besonders wichtig in einem total leeren Laden.‘
Sie: ‚Ich mache nur meine Arbeit.‘
Ich: ‚Ja, das machen wir alle.‘
Sie zu der einzigen anderen Kundin im Laden: ‚Die sterben hoffentlich alle.‘
Ich: ‚Ich habe das gehört.‘
Sie: ‚Ja stimmt doch aber auch‘.“157
Der dritte Grund ist die Suggestibilität. „Wir wissen heute, dass ein Mensch suggestiv stark beeinflusst werden kann. „Sorgfältige Beobachtungen scheinen nun zu beweisen, dass ein einzelner, der lange Zeit im Schoße einer wirkenden Masse eingebettet war, sich alsbald… in einem besonderen Zustand befindet, der sich sehr der Verzauberung nähert, die den Hypnotisierten unter dem Einfluss des Hypnotiseurs überkommt … Ungefähr in diesem Zustand befindet sich der einzelne als Glied einer Masse … Unter dem Einfluss einer Suggestion wird er sich mit unwiderstehlichem Ungestüm auf gewisse Taten werfen. Und dies Ungestüm ist in den Massen noch unwiderstehlicher als bei den Hypnotisierten, weil die für alle Einzelnen gleiche Suggestion durch Gegenseitigkeit wächst. Die einzelnen in einer Masse, die eine hinreichend starke Persönlichkeit haben, um dem Einfluss zu widerstehen, sind in zu geringer Anzahl vorhanden.“158
Bei Corona haben wir es mit der größten Massensuggestion der Weltgeschichte zu tun. Der Begriff der Suggestion wird heute meist in der Hypnosetherapie verwendet, doch Suggestionen sind ein Phänomen, das uns täglich begegnet. Suggestionen sind eine manipulative Beeinflussung, die so vorgenommen wird, dass der Betreffende diese Manipulation gar nicht bemerkt. Dabei können sowohl Gedanken, Empfindungen oder Denkweisen so in das Unterbewusstsein geschleust werden, dass der Betroffene denkt, sie kämen von ihm selber.159 Man unterscheidet zwischen direkten Suggestionen (z. B. wenn ein Arzt sagt: „Gehen Sie spazieren, dann wird ihr Schnupfen besser!“) und indirekten Suggestionen (z. B. in der Werbung, wenn zu einem Produkt wunderschöne Urlaubsbilder mit harmonischer Musik gesendet werden, sodass sich positive Emotionen und Gedanken auf das Produkt übertragen). Geschickt angewendete Suggestion kann es ermöglichen, dass Leute Dinge tun, die gar nicht von ihnen ausgehen und sie dabei diese Fremdsteuerung gar nicht bemerken. Und das gelingt besonders über häufiges Wiederholen in den Medien. Massen werden damit in eine Richtung gelenkt.160
In der Masse kann sich also aufgrund der drei von Le Bon genannten Gründe die Individualität mit allen erworbenen geistigen Errungenschaften verlieren. Für ihn steigt der Mensch „allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein,… mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab. Als einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Triebwesen, also ein Barbar.“161 Siegmund Freud bezieht sich auf den Briten McDougall, der hinsichtlich der Massen sagte: „Die geringeren Intelligenzen ziehen die größeren auf ihr Niveau herab. Die letzteren werden in ihrer Betätigung gehemmt, weil die Steigerung der Affektivität überhaupt ungünstige Bedingungen für korrekte geistige Arbeit schafft, ferner weil die Einzelnen durch die Masse eingeschüchtert sind.“162 Genau das erleben wir in der Coronazeit.
Die Masse wird fast ausschließlich vom Unbewussten geleitet. Sie ist übermäßig beeinflussbar. „So muss die Masse, die stets an den Grenzen des Unbewussten umherirrt, allen Einflüssen unterworfen ist, von der Heftigkeit ihrer Gefühle erregt wird, welche allen Wesen eigen ist, die sich nicht auf die Vernunft berufen können, alles kritischen Geistes bar, von einer übermäßigen Leichtgläubigkeit sein. Sie denkt in Bildern, und das hervorgerufene Bild löst eine Folge anderer Bilder aus, ohne jeden logischen Zusammenhang mit dem ersten. Diesen Zustand verstehen wir leicht, wenn wir bedenken, welche sonderbaren Vorstellungsreihen zuweilen ein Erlebnis in uns hervorruft. Die Vernunft beweist die Zusammenhanglosigkeit dieser Bilder, aber die Masse beachtet Vernunft nicht und vermengt die Zusätze ihrer entstellenden Phantasie mit dem Ereignis. Die Masse ist unfähig, das Persönliche von dem Sachlichen zu unterscheiden. Sie nimmt die Bilder, die in ihrem Bewusstsein auftauchen und sehr oft nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der beobachteten Tatsache haben, für Wirklichkeit.“163 „Welche Ideen den Massen auch suggeriert werden mögen, zur Wirkung können sie nur kommen, wenn sie in sehr einfacher Form aufzunehmen sind.“164
Es ist faszinierend zu sehen, wie dies während der Coronoia zutrifft. Unzusammenhängende Informationen, Bilder und Falschmeldungen werden für einen einzigartigen Angst- und Panikzustand eingesetzt, obwohl bei rationaler Betrachtung keine überdurchschnittliche Gefahr vorhanden ist. Vernunft spielt nicht nur keine Rolle, sondern die Betroffenen wollen auch gar keine rationale Analyse des Geschehens. Einer