Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit. Jürgen Wächter
nervösen Herzbeschwerden und Bluthochdruck, vielleicht auch zu Autoimmunerkrankungen oder Magenbeschwerden. Psychisch sind wir irgendwann auch nicht mehr in der Lage, alle Reize zu verarbeiten, wir werden nervös, unsicher, die Gedanken kreisen, wir sehen keine Auswege, sind gestresst und kommen innerlich gar nicht mehr zur Ruhe. Beutereiche Jäger können wir dann ebenso wenig sein, wie sonstige Dinge erfolgreich tun. Schlafstörungen sind nicht ungewöhnlich. All dieses innere Gezappel verbraucht zusätzlich unsere Kräfte und so entsteht ein Teufelskreis nach unten, der uns in Krankheiten oder zum völligen Zusammenbruch führt. Und wie Professor Max Otte schreibt: „Es geht auf die Seele.“130 „Wenn eine Notfallsituation zur Dauerreaktion wird, brennen irgendwann irgendwo im Körper die Sicherungen durch … Dauerstress führt zum Untergang, entweder zum Tod durch stressbedingte Erkrankungen (denn die Stresshormone unterdrücken auch die körpereigenen Abwehrkräfte), oder durch stressbedingte Unfruchtbarkeit.“131 Die Angst wird oft von Hoffnungslosigkeit und Resignation begleitet und kann in eine Depression führen. Wir machen dann gar nichts mehr.
Dies alles ist keine Besonderheit der Coronazeit, ebenso wie das Auftreten der Folgeerkrankungen. Aber der Coronahype unterstützt beides in ganz erheblichem Umfang und die Folgen sind verheerend. „Dann läuft der Fernseher in Dauerschleife, alles, was passiert, wird aufgesogen und die Ängste dadurch noch vergrößert.“132 „Angst, anhaltender Stress und die durch soziale Distanzierung hervorgerufene Einsamkeit haben nachweislich einen negativen Einfluss auf die psychische und allgemeine Gesundheit.“133 Der Vorstandsvorsitzende der kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, Walter Plassmann, sagte: „Wer die Gesellschaft mit immer neuen Hiobsbotschaften auf immer höhere Bäume treibt, der macht die Gesellschaft krank“.134 Schließlich sei Corona „kein Killervirus, das uns zwingt, im aseptischen Panikraum zu zittern bis der Spuk vorbei ist“.135 Hinsichtlich des Coronavirus schreibt auch Jeannette Hagen, dass es dabei nicht um Ängste geht, „die vor realen Gefahren warnen, sondern es sind irrationale Ängste, welche die Gestalt von Paniken annehmen“.136 Ebenso sieht der Professor für Epidemiologie an der Berliner Charité, Stefan Willich, mit den Lockdowns „erhebliche Nebenwirkungen“ verbunden, u. a. Angststörungen und Depressionen sowie Krebspatienten, die zu spät zu einer Behandlung kämen.137
Die Ansätze der Psychologie hinsichtlich Ängsten sind wenig hilfreich. Das ICD10 untergliedert die Phobischen Störungen (ICD 10 F40)138 in die Agoraphobie, soziale Phobien und spezifische Phobien. Außerdem werden die Panikstörungen sowie die Generalisierte Angststörung zu den Angststörungen gerechnet. Das ist eine ziemlich wahllose Zusammenstellung. Bei den Phobischen Störungen handelt es sich um eine Gruppe von Störungen, bei der Angst durch eindeutig definierte, aber eigentlich ungefährliche Situationen oder Objekte hervorgerufen wird, also z. B. der Maus.139 Leitsymptome sind dabei die unbegründete extreme Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen. Der Unterschied zwischen Angst und Angststörung liegt nach Daniel Hell darin, dass sich bei letzterer „die Angst auf Situationen ausbreitet, wo nichts zu befürchten ist, oder wenn die Verarbeitung der Angst behindert ist, sodass das Angstempfinden kein Ende findet“.140 Ist aber jeder mit einer Angst vor einer Maus schon wirklich krank und behandlungsbedürftig?
Die speziell im ICD10 aufgeführte Agoraphobie (F40.0) ist eine Erkrankung, bei der die Betroffenen Angst haben, sich aus ihrer gewohnten engeren Umgebung fortzubewegen. Diese Menschen meiden Menschenansammlungen, Läden und große Plätze oder haben Angst, allein zu verreisen. Warum wird nicht auch die Klaustrophobie aufgeführt? Bei sozialen Phobien (F40.1) besteht die Angst, mit anderen Menschen in bestimmten Situationen zusammenzukommen, sodass diese möglichst vermieden werden, z. B. bei Feiern, Veranstaltungen oder beruflichen Besprechungen. Spezifische Phobien (F40.2) richten sich auf bestimmte Situationen (Höhe, Dunkelheit, Donner, geschlossene Räume, Fliegen) oder Objekte (z. B. Mäuse, Spinnen, Blut). Besteht eine große Angst, lässt sich diese aber keiner konkreten Situation oder Objekten zuordnen, spricht man von einer Generalisierten Angststörung (F41.1).
Insgesamt ist diese Einteilung noch sehr grob und unvollständig und es ergeben sich daraus noch keine umfassenden Therapieansätze für die Ängste insgesamt. Ist die Psychotherapie bei den Spezifischen Phobien noch sehr erfolgreich, insbesondere mittels Expositionstherapie, sind die Therapien sozialer Phobien schon weniger erfolgreich und bei der Generalisierten Angststörung wirkt wenig, will man sich nicht mit Psychopharmaka zuballern.
Besonders hart betroffen sind Menschen, die gleich von mehreren Ängsten beherrscht werden. Wer Todesangst vor dem Virus hat und zugleich um den Fortbestand seines Betriebes bangt, sitzt in einer besonderen Zwickmühle. Ebenso trifft es Menschen, die sowieso schon unter psychischen Vorerkrankungen leiden. Depressive Menschen etwa gehen aus Angst vor Ansteckung nicht zum Therapeuten und leiden so verstärkt.141 Vera Lengsfeld betonte, dass „viele ehemalige Patienten, aber auch Nicht-Patienten, Leute, die nie Corona hatten, unter Angstzuständen, Angstattacken leiden und behandelt werden müssen, wegen Schlaflosigkeit, Angstattacken und so weiter“.142 Andere werden nicht an Corona krank, entwickeln jedoch Waschzwänge insofern, als sie „ständig ihre Hände waschen, ständig duschen, Angst davor haben, andere Menschen zu treffen, dass es Leute gibt, die ihre Wohnungen kaum noch verlassen“.143 Der ärztliche Direktor des Lukaskrankenhauses Bünde, Ulf Schmerwitz, sagte: „Die undifferenzierte Betrachtung der Infektionszahlen schürt Ängste in der Bevölkerung, die schwerwiegende Auswirkungen haben können, wie wir in der Praxis täglich beobachten.“ So sagen Patienten Operationen ab oder kommen mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs verspätet oder gar nicht in ein Krankenhaus.144 „Wir sehen zunehmend Menschen mit schweren Erkrankungen, die bei rechtzeitiger Behandlung möglicherweise geheilt hätten werden können. Wir sehen zudem ältere Menschen mit Depression und Kinder und Jugendliche mit Angststörungen.“145
So kommen in der Coronazeit viele Ängste, die lange im Untergrund lagen, weil sie nie bearbeitet wurden, mit ans Tageslicht. Der psychische Druck ist so groß, dass die Energie, sie weiter zu verdrängen oder Situationen zu vermeiden, nicht mehr vorhanden ist. So sind plötzlich alle Ängste da, drängen ans Tageslicht und die Menschen leiden und werden krank.
Hierbei sollte man jedoch nicht verkennen, dass trotz allen Leidens die Coronazeit auch eine Chance sein kann, unsere Ängste endlich aufzuarbeiten. Verdrängen klappt jetzt nicht mehr. Und so bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder wir erliegen der Angst, werden krank und begehen vielleicht sogar Selbstmord. Oder wir gehen die Sache jetzt endlich an, stellen uns unseren Ängsten, bearbeiten sie und überwinden sie. Als Resultat kommen wir dann zu innerem Wachstum, innerer Ruhe und machen einen großen Sprung zu einem selbstbewussten entwickelten Menschen mit Ich-Stärke, Mut und Tapferkeit. Und wenn genug Menschen diesen Weg gehen, dann hilft das nicht nur jeder und jedem Einzelnen, dann kann auch keine Regierung diese Menschen mehr erfolgreich unterdrücken. Wie solch eine Überwindung der Angst geschehen kann, schauen wir uns in Kapitel 10 näher an.
126 SAVONAROLA 1496.
127 WOLF 2018: 7.
128 HAGEN 2020: 17.
129 RIEMANN 2019: 8.
130 OTTE 2020.
131 HÜTHER 2018: 23.
132 HAGEN 2020: 27.
133 REDAKTION EIGENTÜMLICH FREI 2020.
134 REUTH 2020.
135 REUTH 2020.
136 HAGEN 2020: 34.