Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs. Группа авторов

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Von einer unmittelbaren Integration durch Sport lässt sich jedenfalls ebenso wenig ausgehen wie von einem linearen Entwicklungsprozess oder einer Zwangsläufigkeit etappenweiser Zuwächse an wechselseitiger Verständigung und Annäherung.13

      Es mag im Einzelfall zutreffen, dass sportlich bedingte Kulturkontakte zwischen Deutschen bzw. Franzosen und ausländischen Arbeitskräften in den langen 1960er Jahren als beidseitig bereichernd erfahren worden sind, dass Fußball „Türen geöffnet“ und eine „Pionierrolle“ für die Integration gespielt hat.14 Entsprechende Beispiele aber gesamtgesellschaftlich zu verallgemeinern und damalige Begegnungen im Sport umstandslos als eine „Pluralisierung der Gesellschaft“ zu beschreiben, die „neue Formen des Miteinanders und des Kontaktes ermöglicht hat“,15 geht an der Realität vorbei. Eine Realität, die zunächst fußballspielende Migranten unter sich bleiben sah, während mehrheitsgesellschaftliche Sporttreibende deren Praktiken gar nicht oder als etwas Abseitiges verbuchten, gegebenenfalls als lästige Konkurrenz im Kampf um knappe Fußballplätze. Erst allmählich, häufig eher indirekt als fußballerisch unmittelbar, manchmal eher unbewusst als beabsichtigt, ließen sich integrative Momente beobachten: bis hin zum potenziellen strategischen Nutzen des allgegenwärtigen Integrationsvokabulars durch migrantische Akteure, um bessere Chancen auf öffentliche Hilfe oder kommunale Sportgelände zu haben.16 Herkunftshomogenes Fußballspielen in der Fremde konnte Formen einer „Integration auf Umwegen“ mit sich bringen, als „Generator der Transformation“ im Migrationsprozess dienen und „dem Wandel von Handlungsmustern und Weltbildern einen sozialen Rahmen“ geben.17

      Überhaupt sind weitreichende Folgerungen und belastbare Aussagen mangels empirischer Studien weder für den bundesdeutschen noch den französischen Fall zu leisten. Wir wissen weiter wenig über außersportliche Berührungspunkte fernab von Training und Wettkampf, auch darüber, ob sich fußballerisch erworbener Respekt und gestärktes Selbstvertrauen auch auf den beruflichen Alltag auswirkten, ob durch sportliches Engagement auch Vorteile im privaten und familiären Umfeld zu generieren waren, etwa was Einkommen oder Wohnsituation anbelangte. Oder wie Sportaktivitäten von Migranten damals zur Konstruktion der Geschlechterbeziehungen beitrugen, wie das Fußballspielen, das trotz steter Zunahme von Frauenfußballteams in den langen 1960er Jahren doch eine Männerdomäne blieb, das Verhältnis junger Männer zu jungen Frauen vor Ort prägte und welche Vorstellungen sich unter Eingewanderten wie Einheimischen damit verbanden.18

      Bilanz und Perspektiven

      Ende 2011 führte der damalige Bundespräsident Christian Wulff auf einer Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes aus:

      „Im Verein oder auf dem Sportplatz kommen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Wer gemeinsam Sport treibt, lernt sich gegenseitig kennen, lernt, sich zu respektieren, zu achten und zu schätzen. Und er erlebt, dass jede und jeder ganz unterschiedliche Fähigkeiten hat und dass der Erfolg der Mannschaft dann besonders groß ist, wenn man diese unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen optimiert einsetzt. […] Wer Freunde findet unter denen, die ihm fremd waren, hat keine Angst vor ‚Überfremdung‘. Wir können kaum hoch genug schätzen, wie wichtig der Sport für das Zusammenwachsen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist!"1

      Mit Blick auf die langen 1960er Jahre steht außer Frage, dass Sport vor Ort – wie auch andere populärkulturellen Artikulationen und Praktiken2 – einwandernden Arbeitskräften in Frankreich und Westdeutschland durchaus Chancen auf Anerkennung und Teilhabe geboten haben. Nicht weniger auf der Hand liegt freilich, dass die schon damals optimistischen Diskurse aus den Chefetagen von Spitzenpolitik und Sportverbänden über Sport als Integrationsmedium par excellence keineswegs deckungsgleich waren mit den fußballerischen Praktiken und Erfahrungen im Amateurbereich.

      Sobald Sonntagsreden und Absichtserklärungen heruntergebrochen sind auf die lokale und regionale Ebene bereits bestehender Vereinsstrukturen oder neu begründeter Migrantenteams, verschwimmen die Konturen schwarz-weißer Zuschreibungen wie „Integration oder Identität“3 zugunsten von Grautönen, die ambivalentere, komplexere und konfliktträchtigere Realitäten signalisieren. Zugleich legt die Bandbreite unterschiedlicher Vor-Ort-Verhältnisse in beiden Ländern nahe, dass das sportliche Mit- und Gegeneinander sowie die Repräsentationen, die sich in den langen 1960er Jahren daran knüpften, mehr Analogien zwischen Frankreich und Westdeutschland offenbaren als dies der Verweis auf einwanderungsgeschichtliche Differenzen gern anempfehlen möchte. Denn trotz beträchtlicher Differenzen in den nationalen Migrationstraditionen, Integrationsmodellen, Selbstverständnissen und politisch-kulturellen Kontexten deutet vieles darauf hin, dass es grenzüberschreitend recht ähnliche Muster und Strategien, Chancen und Schranken „indirekter fußballerischer Integration“ gegeben hat, nicht zuletzt im sozio-kulturellen Umfeld der Migrantenclubs beider Länder. All dies, auch der Abgleich mehr oder weniger liberaler Umgangsformen und Reaktionsmuster der Mehrheitsgesellschaften im Umgang mit Fremdem, wäre noch breiter und systematischer zu untersuchen.

      Zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort der Geschichte glich die Integration von Migranten*innen einem schlichten Automatismus, der problemlos von Mustern technisch-verhaltensfunktionaler Akkomodation über eine wert- und verhaltensmodifizierende Akkulturation in eine partikularismusfreie Assimilation gemündet wäre. Stets – so die jüngere historische Forschung im Konsens – war Integration ein schwieriges und komplexes Unterfangen und eine Sache der langen Dauer, die mit vielfältigen Parametern zusammenhing: gewiss mit dem Herkunftsmilieu zugewanderter Individuen oder Gruppen, mit Geschlecht, Religion, Gesellschaftsstatus, Lebensstandard, Familienstruktur und Aufenthaltsdauer, mit Handlungsstrategien, Gelegenheitsstrukturen und Teilhabechancen, die wiederum eng an das mehrheitsgesellschaftliche Aufnahmemilieu gekoppelt sind sowie an die politisch-administrativen, sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen vor Ort.4 Dabei waren freilich Zuwanderer*innen nie einfach nur passive Opfer vorgefundener Verhältnisse oder medienvermittelter Etiketten, sondern immer auch Akteure mit gewissen Margen für das Aushandeln der Grenzen von Integration und Eigensinn im Zeitverlauf. Es mochte sich um unbewußt an den Tag gelegte Verhaltensmuster oder um bewusst verfolgte Strategien handeln, um wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische oder psychologische Mehrwerte für die eigene Lebenssituation oder die der Kinder zu generieren. Auch im Fußball der langen 1960er Jahre war es jedenfalls für die Arbeitsmigranten zentral, letztendlich „acteurs de leurs choix“5 zu bleiben.

      Der Beitrag zielte darauf, einige Aspekte des bislang wenig untersuchten Verhältnisses von Arbeitsmigration und Amateurfußball für die bundesdeutschen und französischen 1960er Jahre unter transnationalen Gesichtspunkten darzulegen. Zudem ging es darum, sein Erkenntnispotenzial als zeithistorisches Forschungsfeld zu unterstreichen und empirische Fallstudien anzuregen, für die sich besonders eine regionale Betrachtungsebene entlang der deutsch-französischen Grenze anböte.6 In diachroner Perspektive könnten schließlich entsprechende Untersuchungen zur ersten Generation südeuropäischer Arbeitsmigranten*innen der zweiten Nachweltkriegszeit einen Beitrag leisten, aktuelle, vielfach unter alarmistischen Vorzeichen geführte Debatten über ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen aus Migrationskontexten und der deutschen bzw. französischen Aufnahmegesellschaft zu historisieren und die vorgeblich neue Qualität heraufbeschworener Szenarien zu relativieren. Bei aller Vorsicht, nicht einfach aktuelle Sachlagen mit historischen Phänomenen gleichzusetzen oder künstliche Kontinuitäten zu konstruieren, erlaubt doch ein zeitgeschichtliches Perspektivieren, das rasch beschworene katastrophal Andere und qualitativ Neue einer Konstellation auf seinen realen Gehalt hin abzuklopfen.7 Etliche zeitgenössische Debatten – über radikales Fremdsein der zuletzt Gekommenen, über wohnräumliche Konzentration, kulturelle Abkapselung oder integristische Religionspraktiken – ähneln den früheren durchaus. Dazu zählt auch die anhaltende Kontroverse über Relevanz, Symbolkraft und Effekte herkunftshomogener bzw. monoethnischer Fußballvereine.

      Quellen- und Literaturverzeichnis

      Quellen

      Bundespräsident Christian Wulff auf der 7. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes am 03.12.2011 in Berlin, www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2011/12/111203-Deutscher-Olympischer-Sportbund.html


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