Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs. Группа авторов

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und Unterschiede auf den Punkt zu bringen, gerade was mehrheitsgesellschaftliche Perzeptions- und Reaktionsmuster anbelangt. Tatsächlich kann Frankreich auf eine deutlich längere Vorgeschichte zurückblicken. Anders als Deutschland war es bereits im 19. Jahrhundert ein Einwanderungsland, das stets auf der Suche nach Arbeitsmigranten*innen war und mit dem gesetzlichen Einführen des Territorialprinzips den Kindern ausländischer Eltern bei Volljährigkeit die französische Staatsangehörigkeit verlieh.4 Damit einher ging seit den 1880er Jahren ein generalisiertes Selbstverständnis, das ganz im Sinne des republikanischen Modells umstandslos davon ausging, es müsse für Menschen aus Migrationskontexten – wie auch für regionale Minderheiten im Land oder auch autochthone Bevölkerungsgruppen in den Kolonien – ein Leichtes sein, sich über kurz oder lang, unabhängig von geographischer Herkunft und kulturellem Rucksack, gänzlich in das nationale Ganze einzupassen. Da in der République une et indivisible solche Grundhaltungen noch in den langen 1960er Jahren kaum ernsthaft zur Debatte standen, zeitgleich die Bundesrepublik faktisch Einwanderungsland wurde, ohne sich aber als solches zu verstehen,5 konnten die deutsch-französischen Gräben auf der Ebene dominanter Diskurse und Selbstbilder kaum breiter ausfallen.

      Nichtsdestotrotz – und gerade auf der Folie solcher zeitgenössischer „Selbstverständlichkeiten“ – bleiben mehrere wichtige Fragen unbeantwortet: Verweist nicht die konkrete soziale und kulturelle Praxis des Fußballspielens und Vereinslebens auf eine durchaus vergleichbare Komplexität und Vielschichtigkeit damaliger Vor-Ort-Verhältnisse sowie auf ein Mehr an analogen Repräsentationen und Reaktionen als es das stete Betonen nationaler Traditionen und Besonderheiten nahelegt? Liefern fußballspielende Einwanderer nicht relevante Aufschlüsse über den Umgang mit Fremdem im Zeichen von „Wirtschaftswunder“ und „trente glorieuses“, auch über Distanz und Differenz im gesellschaftlichen Liberalisierungsgrad zwischen beiden Ländern? Näher zu überprüfen wäre in diesem Kontext die gern geäußerte Annahme, Frankreich müsse damals wegen verinnerlichter republikanischer Wertbestände und „einer längeren Tradition politischer und gesellschaftlicher Liberalität“ per se das tolerante Land gewesen sein.6

      Dominante Diskurse und komplexe Realitäten

      Für Politik und Öffentlichkeit – wie auch das Gros der Einwanderer selbst – lagen die Dinge auf der Hand, als Mitte der 1950er Jahre in Westdeutschland die Immigration ausländischer, meist süd- und südosteuropäischer Arbeitskräfte einsetzte und sich im Nachbarland bereits „die zweite große Welle“1 der Nachkriegsjahrzehnte anbahnte. Alle gingen ganz selbstverständlich davon aus, die Herbeigerufenen würden sich – da das republikanische Modell in Frankreich noch intakt schien – umstandslos und unauffällig in die Gesamtgesellschaft einfügen oder zügig nach getaner Arbeit wieder in die Herkunftsländer zurückkehren. Für integrationsorientierte Konzepte und Maßnahmen schien es deshalb keinerlei Bedarf zu geben. Im Laufe der 1960er und 1970er Jahre zeichnete sich allerdings immer deutlicher ab, dass die Grundannahme falsch war und zahlreiche Immigranten und „Gastarbeiter“ samt Familien zu bleiben gedachten. Zudem deuteten sich ernstliche sozio-ökonomische Krisen am Ende der „glorreichen“ Wachstumsperiode an und es schien, als gerate – so zumindest mehr und mehr die öffentliche Wahrnehmung – die französische „Integrationsmaschine“ ins Stocken. Auf verschiedensten Ebenen begann nunmehr das Nachdenken darüber, wie denn mit der „neuen“ Situation umzugehen sei.

      „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“2. Und tatsächlich kamen Menschen, noch dazu Menschen, allen voran junge Männer, die Sport treiben und Fußball spielen wollten, denn „außer Sport hatten sie keine andere Möglichkeit“3. Nicht allein politische Akteure, auch die Sportverbände beider Länder kamen deshalb kaum mehr umhin, das Thema aufzugreifen und sich zu positionieren. Hier wie da lautete der optimistische Grundtenor, Sport könne und müsse als Medium gesellschaftlicher Begegnung und Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen genutzt werden, denn gemeinsame sportliche Aktivitäten in den bestehenden französischen oder westdeutschen Vereinsstrukturen böten Zugewanderten die Chance, mit Einheimischen auf gleicher Ebene und mit gleichen Interessen zusammenzukommen, um Sprache und Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft besser kennen zu lernen. Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob solche landläufigen Vorstellungen und vorherrschenden Verlautbarungen in Politik- und Verbandskreisen über Sport als ideales Integrationsinstrument, die bis heute Konjunktur haben, tatsächlich deckungsgleich sind mit den Fußballpraktiken und Alltagserfahrungen von Arbeitsmigranten in den langen 1960er Jahren.

      Damals gelangte jedenfalls das Thema „Ausländerintegration in und durch den Sport“4 im Amateurbereich auf die Agenda und hat sich seitdem in Deutschland wie in Frankreich als Dauerbrenner öffentlicher Debatten erwiesen. Die 1950er und 1960er Jahre waren eine Zeit, in denen die Menschen mit ersten Schritten aus der entbehrungsreichen Nachkriegszeit heraus-, dann mit großen Schritten in die Gesellschaft des Massenkonsums eintraten.5 Da das kaum kritisch hinterfragte temporäre Kommen und Bleiben und das damit absehbare Rückwandern der Migranten*innen ein allzu tiefschürfendes Beschäftigen mit dem Phänomen verzichtbar erscheinen ließ,6 bildete die „population nomade“7 eine Art Chiffre für das eigene Wohlergehen in den „goldenen Jahren“8. In den nationalen Meistererzählungen der Nachkriegszeit kamen „Gastarbeiter“ und „immigrés“ zwar vor, jedoch weniger als Akteure denn als eine Art schmückendes Beiwerk, als Wohlstandsdekor einer schichtenübergreifend zunehmend sicht- und fassbaren Konsumgesellschaft.9 Wer sollte denn schon Anteil nehmen an deren Arbeits- und Lebensbedingungen,10 geschweige denn an deren sportlichen Praktiken?

      Ganz überwiegend kamen die eintreffenden Menschen aus süd- und südosteuropäischen Ländern. In Westdeutschland bildeten die italienischen Einwanderer bis 1968 die zahlenmäßig stärkste Gruppe, gefolgt von den Griechen und Spaniern. Bis 1969 zogen türkische Arbeiter mit den Italienern gleich, 1970 und 1971 übernahmen jugoslawische Migranten aus den verschiedenen Teilstaaten der Förderativen Volksrepublik die Spitze der „Gastarbeiterstatistik“: ein Platz, der danach den türkischen Arbeitskräften zufiel,11 die angesichts der bundesdeutschen „policy of labeling“ im öffentlichen Bild zumeist schlechter wegkamen als Zuwanderer anderer Herkunftsräume.12 Den etwa 2,8 Millionen Einwanderern*innen in der Bundesrepublik standen 1973/74 etwas mehr als 3,0 Millionen in Frankreich gegenüber, auch dort überwiegend – zu knapp drei Vierteln – europäischer Herkunft.13 Obwohl sich der Zustrom aus ehemaligen Kolonien im Zuge der Dekolonisierung und nach dem Algerienkrieg verstärkte, stellten bis Ende der 1960er Jahre Spanier und Italiener das größte Reservoir an Arbeitsmigranten, 1975 waren es die fast durchgängig als „Illegale“ zugewanderten Portugiesen, gefolgt nun von den Algeriern, die ähnlich wie die Türken in der Bundesrepublik künftig die Statistiken anführen sollten.14

      Gerade unter jungen Männern, die ins Land kamen, waren das Interesse und Verlangen offenkundig, in der Freizeit auch Sport zu treiben, besonders Fußball zu spielen. Gleichwohl gab es eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem weit verbreiteten Interesse am Fußballspielen, auch seiner höchst positiven Wertschätzung, und der heiklen Realität praktizierter Aktivitäten von Zuwanderern.15 Allenthalben bekundete Integrationserwartungen waren das eine, hohe Hürden und Grenzen der Umsetzung konkreter sportlicher Ambitionen im lokalen Raum das andere.16 Ein Einbinden in französische oder westdeutsche Vereinsstrukturen erwies sich als schwierig, auch weil es in Vorstandsetagen und unter Spielern vor Ort Vorbehalte gab.17 Zwangsläufig fehlte es Migranten*innen an einem „capital d'autochtonie“, das Einheimischen erlaubte, sich einer soliden „sociabilité de l'ancrage“ angehörig zu fühlen.18 Weniger waren es die nationalen Institutionensysteme des Sports, bei denen sich solche Einsichten zuerst durchsetzten, sondern Wohlfahrtverbände wie die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt, daneben die katholischen Missionen einzelner Herkunftsländer. Im Umfeld dieser Missionen entstanden oftmals erste Sport- und Spielgruppen, aus denen heraus sich im Laufe der 1960er Jahre mehr und mehr Ausländersportvereine zu gründen begannen:19 für Deutschland ein neues, für Frankreich ein älteres Phänomen, das bis in die Zeit vor 1914 zurückreichte.20

      Mehr und mehr wähnten sich die Verbandsoberen unter Druck. Nicht zuletzt aus diesem Grunde rückten die Sportverbände das Integrationsthema in den frühen 1970er Jahren auf die eigene Agenda. Zahlreiche junge Männer aus Migrationskontexten spielten in der Bundesrepublik wie in Frankreich


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