Die Macher hinter den Kulissen. Hermann Ploppa
Gesetzbuch hineinschreiben, um die Gefängnisse und Arbeitslager immer weiter aufzufüllen.4
Viele Zitadellen des Sozialstaats sind bereits vom Dauerbeschuss der neoliberalen Sturmtruppen stark gezeichnet. Doch geschleift sind sie noch nicht. Unsere Daseinsvorsorge zum Beispiel erfreut sich trotz aller Störmanöver noch guter Gesundheit. Gerade nach den Finanzdesastern der letzten Jahre wollen viele Leute zurück in die gesetzlichen Krankenkassen. So hielten die gesetzlichen Krankenkassen im Jahre 2013 einen Marktanteil von 86,5 Prozent, die privaten Versicherungen lediglich von 11 Prozent.5 Die gesetzlichen Krankenkassen verfügen über ein enormes Geldvolumen, was man daran ermessen kann, dass sie 2012 über 300 Milliarden Euro an Leistungen ausgezahlt haben.6 Diese Potenz möchten sich private Finanzhaie gerne aneignen. Und so sind die von ihren marktradikalen Einflüsterern beeinflussten Politiker fest entschlossen, trotz zu erwartender höherer Versorgungsansprüche an die gesetzlichen Krankenkassen den Beitragssatz zu senken und auf niedrigem Niveau festzunageln.7
Das alles frei nach Shakespeare: Ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode!
Was wir an unserer öffentlichen Wirtschaft haben
Wer Verwandte oder Bekannte hat, die in die USA ausgewandert sind, fühlt sich manchmal etwas klein und mickrig, wenn diese neuen US-Bürger damit angeben, was für hohe Gehälter sie dort beziehen. Gewiss, wer jung, flexibel und kerngesund ist, kann in den USA schnell viel Geld verdienen. Aber wehe, es geht irgendetwas schief! Ein Unfall, eine ernstere Krankheit oder auch ein Knick in der Konjunktur der US-Wirtschaft können aus Menschen des gehobenen Mittelstandes schnell Obdachlose machen. Denn für die eigene Daseinsabsicherung muss man selber sorgen. Und das geht richtig ins Geld. „Wird schon irgendwie gut gehen!“, sagen sich viele Amerikaner und sparen sich die Vorsorge.
So kommt es, dass der Finanzcrash von 2008 eine massenhafte Obdachlosigkeit in den USA verursacht hat. Menschen aus der Mittelschicht mussten von gestern auf heute ihre schicken Häuser räumen und in Zeltlager vor den großen Städten überwechseln. Entlassene Autoarbeiter in Detroit mussten Kartoffeln anpflanzen, um nicht zu verhungern.
Es ist davon auszugehen, dass unsere Opel-Arbeiter in Bochum, deren Werk geschlossen wurde, nicht auf der Straße schlafen und auch keine Kartoffeln im Stadtpark anbauen müssen. Sie haben über Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und bekommen jetzt ihren Anteil wieder. Sie müssen auch nicht ihr Häuschen verkaufen und im VW-Bus nach Baden-Württemberg fahren, im Auto hausen und ihre Arbeitskraft jedem anbieten, der gerade des Weges kommt. Vielmehr werden der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem „Mutter“konzern General Motors Pläne zur Weiterbeschäftigung in der Region oder eine Vorruhestandsregelung für die dreieinhalbtausend Opelaner erarbeiten.
Während in den USA Rentner bei Wal Mart Regale befüllen müssen, um nicht zu verhungern, hat man bei uns von dem Finanzcrash von 2008 im Alltag nicht viel bemerkt. Es herrscht eben in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und in Skandinavien immer noch eine viel menschlichere Sozialkultur als in den Paradiesen des Neoliberalismus, namentlich in den USA oder England. Der Staat ist bei uns trotz Merkel, Gabriel und Co. immer noch eine Gestaltungsmacht.
Genossenschaften sind die wichtigsten Finanzpartner der Bundesbürger. Mehr als jemals zuvor. Nach dem offensichtlichen Versagen der Privatbanken im Börsencrash 2008 sind die Leute in Scharen zu den Sparkassen, Raiffeisen-, Volks- und Spardabanken übergelaufen. 17 Millionen Bundesbürger sind Genossenschaftler bei diesen Banken. Ungefähr zwei Drittel der Bundesbürger wickeln ihre Geldbewegungen über diese Banken ab. Hier kann man zwar nicht über Nacht Millionär werden. Aber das Geld ist absolut sicher angelegt und bleibt in der Region.
Genossenschaften und öffentlich-rechtliche Einrichtungen sind im Prinzip immun gegen die Auswüchse des Kapitalismus. Von ihrer Struktur her werden Gelder aus der Region in die Region reinvestiert. Risikospekulationen sind im Prinzip ausgeschlossen. Mein Onkel Dr. Josef Hoffmann war von 1924 bis 1933 und dann wieder von 1947 bis 1966 Hauptgeschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Sparkassen- und Giroverbandes. Den Plänen der Nazis, das immense Kapital der Sparkassen der Kriegswirtschaft zuzuführen, hatte sich Hoffmann entgegengestellt und musste deswegen für 14 Jahre seinen Posten räumen. Und was er über die Aufgaben der Sparkassen zu sagen hat, sollte in goldenen Lettern in sämtlichen Sparkassen aushängen:
„Im Besonderen fällt der öffentlichen Wirtschaft die Aufgabe zu, in Unterstützung der staatlichen Wirtschaftspolitik den Ausgleich gegenüber den durch die private Wirtschaftsbetätigung geschaffenen Einseitigkeiten und Härten herbeizuführen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen soll sie die Kräfte entwickeln, die ein Gegengewicht gegen die großkapitalistischen Monopolisierungstendenzen bilden.“8
Der Sparkassendirektor und seine schlüpfrigen Aktien
Dr. Hoffmann ist schon lange außer Diensten. Es ist anzunehmen, dass ihm heutzutage nicht die Nazis, sondern die neoliberalen Seilschaften das Arbeiten unmöglich machen würden. So mancher Sparkassenfunktionär träumt nämlich heutzutage davon, seine regionale Sparbüchse zum „Global Player“ aufzupusten.
So auch Frerich Eilts, ehemaliger Direktor der Flensburger Stadtparkasse, die im Jahre 2008 nach 189-jährigem Bestehen ihr Leben aushauchte.9 Herr Eilts hatte die Öffentlichkeit beeindruckt mit einem schwindelerregenden Wachstum der Flensburger Sparkasse. So war auch nicht recht zu verstehen, dass im Februar 2008 der Flensburger Oberbürgermeister an die Öffentlichkeit trat und die rasche Fusion der Flensburger Sparkasse mit der Nord-Ostsee Sparkasse, kurz: Nospa, bekanntgab. Erst mit der Zeit kam in kleinen Häppchen ans Tageslicht, dass die Flensburger Stadtsparkasse vollständig pleite war und durch eine Notoperation in der Nospa aufgehen musste, um die Einlagen der Kunden zu retten.
Direktor Eilts hatte seine Sparkasse schlicht zweckentfremdet. Anstatt solide die Einlagen seiner Kunden in den regionalen Geldkreislauf einzuspeisen und in kleinen Portionen zu streuen, hatte er Großkredite auch außerhalb der Region vergeben und damit ein so genanntes „Klumpenrisiko“ auf die Schultern der Bank geladen. Soll heißen: er hatte das Geld an einige wenige Kunden gegeben. Wenn die dann ins Straucheln kommen, strauchelt sofort auch die Kredit gebende Bank. Eilts hatte zudem weit mehr Geld verliehen, als die Bank überhaupt an Einlagen hatte. Das musste er von außen holen. Alles Dinge, die für eine Sparkasse grundsätzlich tabu sind.
Und an dieser Stelle muss man leider sagen: alle diese Verstöße gegen die guten Sitten öffentlicher Geldbewirtschaftung sind nur möglich, wenn die Öffentlichkeit schläft. Wenn die Aufsichtsorgane aus Bequemlichkeit alles abnicken. Warum hatte die Stadtregierung von Flensburg als Vertreter der Flensburger Bürgerschaft, denen die Sparkasse ja schließlich gehört, kein Veto eingelegt, als Eilts einen Megakredit an den Erotikkonzern Beate Uhse auf den Weg brachte? Als Sicherheit für die Kredite bot der Konzern nur ein Aktienpaket an, das sich in den Händen des Besitzers Ulrich Rotermund befand und das nie zuvor den Crashtest an der Börse absolviert hatte. Als Rotermund dann ein Aktienpaket auf den Markt warf, stürzte der Kurs der Erotik-Aktie ins Bodenlose von 200 Euro auf 35 Cent.
Erst nachdem die Flensburger Stadtsparkasse in der Nospa aufgegangen war, erfuhr die Öffentlichkeit Scheibchen für Scheibchen, dass die Flensburger Sparkasse einen gigantischen Schuldenberg von 181 Millionen Euro in die Ehe mit der Nospa eingebracht hatte. Nun geriet auch die Nospa in Schieflage. Das Flensburger Stadtparlament, in das nach den Kommunalwahlen eine basisorientierte Bürgerliste „Wir-in-Flensburg“ als stärkste Fraktion eingezogen war, setzte keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, sondern lediglich eine „Arbeitsgruppe“ unter Vorsitz des frisch gewählten WIF-Stadtpräsidenten Christian Dewanger. Die AG hatte keine Befugnisse, Akteneinsicht einzufordern oder Akteure des Skandals zum Erscheinen vor der Arbeitsgruppe zu zwingen.
Unglaublich: gewählte Vertreter der Flensburger Bürgerschaft, die die legitimen Eigentümer der Sparkasse sind, dürfen keinen Einblick nehmen in die Akten ihrer eigenen Firma!
Den Mitgliedern der Arbeitsgruppe blieb nur übrig, jenen Personen zu danken, die freiwillig zu erscheinen geruhten. Die Amateurpolitiker ließen sich, auf Deutsch gesagt, einseifen. Der Abschlussbericht bringt dafür Verständnis