Praxisführer E-Commerce. Dr. Joachim Stoll
Stefanie Hanssen saß bei einem Konzert in der Berliner Philharmonie neben einer Frau, die einen Duft trug, der sie an ihre Großmutter erinnerte. Allerdings traute Hanssen sich nicht, die Dame nach dem Konzert anzusprechen. Als sie sich auf die Suche nach dem Parfum machte, fand sie allerdings nur „Mainstream“-Düfte. „Ich wollte aber nicht so riechen wie die anderen“, sagt Hanssen – und hatte ihre Geschäftsidee: Sie suchte nach außergewöhnlichen Manufaktur- und Nischen-Parfums, die man nun auch unter frau-tonis-parfum.com bestellen kann.
Ihr Laden in Berlin nahe des Checkpoint Charlie ist so schlicht und elegant wie der Onlineauftritt: hell, luftig, puristisch. Hinter dem Verkaufstresen hängt ein großformatiges Foto von Hanssens Großmutter Toni, die dem Geschäft den Namen gab. Auf einer Mittelinsel präsentiert sie rund 30 Eau de Parfums in Apothekerflaschen, alle prägnant und im Dreiklang beschrieben, wie zum Beispiel „jung, taufrisch, moosig“ oder „pudrig, elegant, betörend“. Wer mag, kann sich auch ein Duftunikat komponieren lassen – so wie beispielswiese die KaDeWe Group, die Anfang 2015 für die Premiumkaufhäuser Hamburger Alsterhaus, Münchener Oberpollinger und Berliner KaDeWe Editionsdüfte in Auftrag gegeben hat. Der Onlineshop bietet einen simplen Dufttest, der Parfumvorlieben abfragt und entsprechende Vorschläge unterbreitet.
Ihren ersten Laden musste Hanssen nach einer saftigen Mieterhöhung aufgeben, was sich aber im Nachhinein als Glücksfall herausstellte: An der neuen Adresse am Checkpoint Charlie wimmelt es von Touristen, welche zahlreich den schönen Store besuchen. Mittlerweile beschäftigt die Gründerin vier Mitarbeiter und denkt an Expansion. Und Zeit für die Philharmonie hat sie trotz des Erfolgs immer noch.
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Lernen von den Nischenanbietern
Onlinehändler wollen nicht nur hohe Besucherzahlen in ihrem Shop erreichen, sondern vor allem viele Bestellungen mit überdurchschnittlich hohen Warenkorbwerten und Pro-Kopf-Umsätzen, also eine gute sogenannte „Conversion Rate“. Wie der E-Commerce-Dienstleister dmc digital media center herausfand, haben Händler, die sich spezialisiert haben, bei dieser Umwandlungsquote von Besuchern zu Kunden die Nase vorn: Während zwei Drittel der Anbieter im Onlinehandel eine Conversion Rate von weniger als drei Prozent haben, können sich Betreiber von Nischenshops über eine „Umwandlungsquote“ von bis zu 25 Prozent freuen. Der Grund: Wenn es um Anglerbedarf, Handarbeitszubehör oder individuell bedruckte T-Shirts geht, kommen die Kunden nicht zufällig vorbei und wollen sich nur umschauen. Vielmehr weiß der Kunde, der einen spezialisierten Shop aufsucht, schon vorher ganz genau, was er will.
Der Onlinehändler wiederum weiß anhand der gekauften Artikel ebenfalls ziemlich genau, wie seine Kunden ticken, und kann ihnen, sowohl was die Inhalte und Aktivitäten im Shop als auch die Produkte angeht, treffsichere Angebote unterbreiten. Dadurch steigt wiederum die Bestellrate und der Händler kann sogenannte Cross- und Up-Selling-Empfehlungen aussprechen: Cross-Selling, der Quer- oder Kreuzverkauf, bezeichnet den Verkauf von ergänzenden Produkten oder Dienstleistungen, beim Up-Selling bietet der Händler dem Kunden alternativ zur günstigen Variante ein höherwertiges Produkt an.
Nun gibt es viele Onlinehändler, die statt eines spezialisierten Angebots eher einen Gemischtwarenladen im Netz haben. Aber auch sie können vom „Erfolgsrezept Nische“ lernen und sich von den kleinen, aber feinen Spezialhändlern das Prinzip Personalisierung abschauen. Technisch ist es längst möglich, einzelnen Kunden im Webshop ein Angebot zu unterbreiten, das zu seinem Profil und seinem aktuellen Surfverhalten passt.
Namensfindung: Die richtige Domain
Einfach, einzigartig und (selbst-)erklärend sollte der Name des Webshops oder der Homepage sein, sodass der Konsument sofort weiß, worum es geht. Das wirkt sich auch positiv auf das Suchmaschinenranking aus. Ein kurzer und knackiger Shopname prägt sich gut ein und lässt sich leichter in die Werbung einbauen.
➤ Firmenname nutzen: Wer seinen Nachnamen oder originellen Firmennamen einbaut, hat meist den Vorteil, dass die Domain noch frei und günstig zu haben ist.
➤ Vorsicht, Marke: Aufpassen, dass die Domain keinen Markennamen beinhaltet, für den man nicht selbst die Rechte hat. Das kann juristische Probleme geben.
➤ Keine Dubletten: Vorsicht auch vor existierenden Domains, die sich nur in einem Detail von der gewünschten unterscheiden, wie beispielsweise einem Bindestrich oder der Endung „.com“ statt „.de“. Das führt nicht nur zu Verwechslungen, sondern verprellt die potenziellen Kunden auch.
Seit 2014 wird eine Vielzahl neuer „Top-Level-Domains“ angeboten; das sind Internetadressen, deren Endungen einen regionalen oder branchenspezifischen Bezug herstellen. Seitdem können Internetseiten statt auf beispielsweise „.de“ auch auf „.ruhr“, „.berlin“ und „.koeln“ enden, oder aber auch Endungen wie „.bike“, „.photography“ oder „.ventures“ haben. Wenig bekannt ist im Übrigen, dass in den URL-Adressen seit einigen Jahren auch Umlaute verwendet werden können.
Die zentrale Registrierungsstelle für alle Domains unterhalb der Top-Level-Domain „.de“ ist die Denic e. G. Unter www.denic.de kann man schauen, welche Namen noch frei sind oder wer die Rechte an einer Domain hat, wie auch bei anderen Anbietern wie etwa www.checkdomain.de.
Ladenbau im Netz: Webshop-Software
Die Software ist das technische Grundgerüst für den Internetshop – sozusagen das Herzstück, das alle Anwendungen wie beispielswiese Produktdatenbank, Warenwirtschaftssystem und Kundenkonten verbindet. Dabei muss der Händler das Rad nicht neu erfinden: Er kann auf bereits vorhandene Shopsoftware zurückgreifen, um seinen virtuellen Laden zu eröffnen. Wie im „echten“ Leben ist dabei allerdings die Vorbereitung das A und O: Er muss den Shop an die Zielgruppe anpassen und seine Ziele festlegen, sich überlegen, was er seinen Kunden bieten möchte und auch, wie viele Produkte er heute und in Zukunft verkaufen will – denn bei manchen Shoplösungen ist die Menge der Artikel, die der Händler einstellen kann, limitiert.
Dann geht es an die passende Software: Man kann Standardsoftware mieten, sich einen eigenen Shop programmieren lassen oder kaufen und auf Open-Source-Entwicklungen zurückgreifen. Darüber hinaus können Händler auch über sogenannte White-Label-Shops oder aber Marktplätze wie Amazon und eBay verkaufen.
Grundsätzlich sollte ein nicht so technikversierter Onlinehändler in spe sich eine kompetente und unabhängige IT-Beratung suchen: Die Zahl der Anbieter von Shopsoftware ist inzwischen unüberschaubar. Allerdings entbindet ihn das nicht, im Vorfeld sorgfältig seine Ziele zu formulieren und zu planen: Zuallererst muss sich ein Händler bei der Wahl der Software überlegen, wie komplex sein Geschäftsmodell ist und was Software und Betriebssystem entsprechend leisten müssen. Ein Blick auf die Shops der Konkurrenz ist dabei nicht verkehrt: Der eigene Shop sollte mindestens eine ähnliche Leistung erbringen wie der der Wettbewerber.
Auswahl der Dienstleister
Die Positionierung, Hintergrundprozesse und weitere Anforderungen an den Internetauftritt sollte der Händler in einem sogenannten Lasten- oder Pflichtenheft festlegen. Die Grundlage für die Auswahl von Dienstleistern und Implementierungspartnern ist die Beschreibung des Soll-Zustandes. Selbstverständliche Anforderungen an einen Shop wie beispielsweise der übersichtliche Bestellvorgang können nur kurz genannt werden. Aber alles, was Anforderungen angeht, die dem Onlinehändler Wettbewerbsvorteile einbringen – wie auch wichtige Schnittstellen etwa aus den Bereichen Zahlung, Versand oder Vermarktung – sollte der künftige Webshopbetreiber ausführlicher schildern. Denn technisch ist vieles möglich; aber nur, wenn die IT-Fachleute wissen, was der Händler konkret haben will, können sie es auch umsetzen.
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