Praxisführer E-Commerce. Dr. Joachim Stoll
Referenzmodelle zu finden, und sich mit den jeweiligen Betreibern austauschen. Von deren Erfahrungen kann er nur profitieren und weiß schnell, wie die aktuellen marktrelevanten Anforderungen an einen Shop sind – so kann er das Risiko minimieren, später das System wechseln oder Verluste hinnehmen zu müssen, weil er für sein Geschäftsmodell wichtige Funktionen nicht bedacht hat. Auch in Onlineforen und Blogs kann man sich informieren und von den Erfahrungen anderer Anwender profitieren.
Vor der endgültigen Auswahl der Shopsoftware sollte der Händler zudem erst einmal einen kleinen Test machen, um eine Idee zu bekommen, wie Arbeitsabläufe und Handhabung der Software im Alltag konkret aussehen und wie er mit der Technik zurechtkommt. Bei den meisten Anbietern gibt es eine kostenlose Testversion für 30 Tage, mit der der Händler verschiedene Szenarien ausprobieren kann. In dieser Zeit sollte er auch testen, wie schnell und kompetent der Softwarehersteller Probleme behebt und Fragen beantwortet.
Die individuell richtige Shopsoftware zu finden ist deshalb so wichtig, weil es eine Entscheidung (fast) fürs Unternehmerleben ist: Theoretisch kann ein Onlinehändler sich natürlich jederzeit eine neue Software suchen. In der Praxis ist ein Umsatteln aber meist zeitaufwändig und teuer.
Technischer Tausendsassa
Ein guter Onlineshop ist bedien- und benutzerfreundlich, präsentiert die Artikel ansprechend, hat einen klar strukturierten Bestell- und Bezahlprozess und bietet mehrere Bezahlmethoden. Eine gute Webshop-Software muss dementsprechend skalierbar und investitionssicher sein. Außerdem sollte sie sich flexibel anpassen lassen – wenn der Onlineladen richtig brummt, muss die Shopsoftware mitwachsen können. Für Zeiten großen Besucheransturms – etwa im Weihnachtsgeschäft oder nach einer Werbekampagne – sollte der Händler ohne großen Aufwand Serverleistungen dazubuchen können. Das ist heutzutage durch das sogenannte „Cloud Computing“ kein Problem: Der Unternehmer bekommt die benötigte Informationstechnologie über das Internet auf Basis einer nutzungsbezogenen Abrechnung zur Verfügung gestellt. Zudem sollte die Software so beschaffen sein, dass der Shop schnell in Suchmaschinen gefunden wird und Marketinginstrumente wie Gutscheine und Rabatte, aber auch intelligente Empfehlungen und Verlinkung auf passende Produkte anbietet sowie die Produkte in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Google+ vermarkten kann.
Ein Webshop ist wie ein stationäres Geschäft nicht statisch, sondern muss sich den sich ständig ändernden Interessen der Besucher anpassen. Um die Änderungen so schnell wie möglich zu erkennen, sollte die Shoplösung daher Daten über die Kunden und deren Surf- und Shopverhalten sammeln und auswerten können. Auch rechtlich gibt es immer wieder Änderungen: Gute Shops belehren ihre Kunden stets „rechtssicher“ zum Widerrufsrecht und haben transparente und aktuelle Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB).
Die Anbindung an Warenwirtschaftssysteme und Bonitätsprüfungen sowie offene Schnittstellen zu weiteren Services sind weitere unabdingbare Voraussetzungen. Für stationäre Händler ist zudem eine Anbindung an das Kassensystem empfehlenswert, sodass immer alle Beteiligten auf dem neuesten Stand sind, egal ob on- oder offline. Neben der Anzeige, ob und in welcher Zeit die Produkte lieferbar sind, kann eine gute Software automatisch per E-Mail eine Bestellbestätigung und eine sogenannte Tracking-ID senden, damit der Kunde verfolgen kann, wo sich die versendete Ware gerade befindet. Im persönlichen Kundenkonto sollten Onlinekäufer zudem ihre Wunschzettel verwalten, einen Überblick über aktuelle und ältere Bestellungen bekommen sowie ihre hinterlegten Daten wie Rechnungs- und Lieferadressen einsehen können.
Immer öfter werden Webshops auch mit „Live-Support-Systemen“ ausgestattet, die die Absprungraten verringern und durch eine Beratung den Verkauf unterstützen sollen. Kann die Software darüber hinaus verschiedenen Sprachen, Währungen und landesspezifische Steuersätze sowie rechtliche Länderspezifika verarbeiten, steht dem Händler eine internationale Expansion offen. Das mag vielleicht am Anfang noch nicht wichtig sein, kann es aber – wenn alles gut läuft – schnell werden.
Im Hinblick auf die Sicherheit der Shopsoftware ist die schlechte Nachricht, dass das Internet grundsätzlich Risiken birgt und sowohl in gekaufter als auch gemieteter oder lizenzfreier Software Sicherheitslücken auftreten. Bei letzterer bemühen sich allerdings statt eines Unternehmens oder Händlers viele Entwickler, den Fehler zu beheben. Andererseits haben Hacker bei der quelloffenen Software auch freien Einblick in sensible Teile der Webshopprogrammierung.
Mobile Anwendungen
Last but not least sollte der Onlinehändler auch auf das Thema „Mobile Commerce“ vorbereitet sein: Dem IT-Branchenverband Bitkom zufolge wurden 2014 allein in Deutschland rund 30 Millionen Smartphones verkauft, und einer Studie von Google und TNS Infratest zufolge surfen nur noch 37 Prozent der deutschen Nutzer ausschließlich über einen stationären Internetzugang. Also ist ein Händler gut beraten, auch mobile Kunden anzusprechen. Zudem ist es ratsam, seine geplante Infrastruktur auf diese Anforderungen abzustimmen und für unterschiedliche Endgeräte, vor allem Smartphones und Tablets, so nutzerfreundlich wie möglich anzuzeigen („Responsive Webdesign“).
Mobile Commerce hört sich gut an, muss aber auch gut gemacht sein, um die Kunden zu begeistern. Denn umso selbstverständlicher Smartphone & Co. werden, desto mehr erwarten die Nutzer im Hinblick auf Geschwindigkeit und Bedienungsfreundlichkeit des mobilen Shops – der natürlich im Idealfall im Gewand einer App daherkommt. Dabei ist es nicht allein entscheidend, den Onlineshop gut aufs Handy oder den Tablet-PC zu bringen und dem Besucher schnell anzuzeigen, was er sucht. Vielmehr sollte der Onlinehändler in seinem „normalen“ Webshop Angebote und Dienstleistungen anbieten, von denen der Kunden auf mobilen Endgeräten einen Nutzen hat. So kann beispielsweise ein Outdoorhändler seinen Kunden eine Tourenplaner-App zur Verfügung stellen und Empfehlungen für sinnvolle Ausrüstung einbinden oder ein Fotofachhändler Tipps rund um das Fotografieren mit Zubehör für Kameras & Co. verbinden.
Die Qual der Wahl: Welcher Shop passt zu Ihnen?
Eigenentwicklung
Wenn ein Händler Herr im eigenen Haus sein will und auf eine individuelle Gestaltung und Geschäftsprozesse Wert legt, kann er sich einen Webshop nach seinen individuellen Bedürfnissen bauen lassen. Die eigene Lösung ist allerdings ein kostspieliges Vergnügen, denn Pflege, Wartung, Sicherheit, Aktualisierung und die Integration neuer Funktionalitäten („Features“) muss der Händler selbst übernehmen und entsprechendes Personal einstellen oder einem Dienstleister übertragen. Der Händler muss entscheiden, ob eine Eigenentwicklung den inzwischen softwaretechnisch ausgereiften Miet-, Kauf- und Open-Source-Lösungen überlegen ist und ob sich der Aufwand lohnt.
Eigenentwicklung
Vorteile: Individuelle Gestaltung, auf Geschäftsprozesse zugeschnitten Schnellere Anpassung an Kundenwünsche und Marktanforderungen Differenzierung von Wettbewerbern
Nachteile: Kosten
Hohes technisches Know-how erforderlich
Kaufsoftware
Shopsoftware, die der Händler kaufen kann, beruht meist auf Open-Source-Lösungen oder ist eine Eigenentwicklung der Anbieter. Die Kauflösungen bieten in aller Regel umfassende Funktionen wie etwa Schnittstellen zu gängigen Warenwirtschafts- und Onlinebezahlsystemen. Auch bei den Kaufshops gibt es vergleichsweise einfach zu bedienende Basissoftware, Programmierkosten sind also nicht unbedingt erforderlich.
Die Softwareanbieter übernehmen zudem die Installation und bieten eine Beratung sowie die Anpassung an die individuellen Bedürfnisse. Welche weiteren Kosten hierfür hinzukommen, sollte der Händler im Vorfeld klären. Denn einer der Nachteile bei den Kauflösungen ist, dass künftige Aktualisierungen (Updates) Zusatzkosten verursachen.
Zudem muss der Händler auch Sorge für die Pflege, Wartung, Sicherheit, Aktualisierung und die Integration neuer Funktionalitäten entweder selbst übernehmen oder einem Dienstleister übertragen. Zu dem eigentlichen Kauf der Software – der Preis hierfür reicht von etwa tausend bis hin zu mehreren zehntausend Euro oder, je nach Lösung, noch weit mehr – können monatlich also noch weitere stattliche Kosten hinzukommen.