Zweikanalton. Sabina Moser

Zweikanalton - Sabina Moser


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      Sabina Moser

      Zweikanalton

      Eine Kindheit in Kitzbühel und Hamburg

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      Dem Tyrolia-Verlag danke ich für das Vertrauen in mich und meiner Lektorin Anette Köhler für ihr feines G’spür.

      © 2018 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

      Umschlaggestaltung: Roberto Baldissera, Agentur für Grafik, Innsbruck, unter Verwendung von Bildern der Autorin sowie des TVB Wilder Kaiser (unten)

      Bildnachweis: Alle Abbildungen stammen aus dem Archiv der Autorin.

      Bild Seite 110: Foto Werner Janda Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag, Innsbruck Lithografie: Artilitho, Trento (I) Druck und Bindung: FINIDR (CZ) ISBN 978-3-7022-3661-8 (gedrucktes Buch) ISBN 978-3-7022-3662-5 (E-Buch) www.tyrolia-verlag.at [email protected]

      Diese Erinnerungen widme ich

      allen Menschen und Orten,

      von denen ich erzähle.

      Sie sind meine Tradition

      und dafür bin ich dankbar.

      Inhalt

       Gingalein

       Aegidius

       Zweikanalton

       Egid und Gidi

       Hannes, mein Mann

       Seppi und der Sagei

       Dauerlutscher

       Wir Kinder von der Höglrainmühle

       Der fromme Hugo

       Topfengolatschen und Rote Grütze

       Im Stadl

       Feuerball

       Das Kitzbüheler Trickski-Team

       Jodeln in Hamburg

       Unterleiten

       Es wird scho glei dumpa

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      Als ob es im Leben immer etwas zum Lachen gäbe, 29. April 1962

      Gingalein

      Ich bin in Kitzbühel aufgewachsen, der kleinen Stadt in den Nordtiroler Alpen, die durch Wintersportpionier Franz Reisch berühmt, durch das einheimische Ski-Wunderteam rund um Toni Sailer legendär und durch die sich seit nunmehr über hundert Jahren gern dort einfindende internationale Prominenz mondän wurde. Mein Zuhause lag im nicht mondänen Teil von Kitzbühel.

      Drei Monate nach meiner Geburt zogen meine Eltern mit mir in die neu erbaute Gemeindesiedlung Höglrainmühle unterhalb der Felder des Höglbauern. Die Mühle gab es damals schon lange nicht mehr. Die Ache, an deren flachem, unverbautem Ufer sie einmal gestanden hatte und wo wir als Kinder oft spielten, jagt hinter den drei zusammengebauten Häusern auch heute noch im Frühjahr erdig-braunes Schmelzwasser aus den nahen Bergen vorbei. Einige Familienväter aus der Höglrainmühle hatten es nur ein paar Schritte bis zu ihrer Arbeit im Sägewerk, dessen Holzlagerplätze direkt an unser Haus grenzten. Vom Balkon im zweiten Stock blickte ich auf ein großes Feld mit dicht gereihten Türmen aus gestapelten Brettern, akkurat sortiert nach Länge, Breite und Besitzer. Die oberste Lage jedes Bretterturms schützte ein leicht schräges Lattendach, und so wirkte das Holzlager wie eine kleine Stadt aus Holzquadern.

      Die Bauern der Umgebung brachten ihre gefällten Bäume in die Höglrainsäge zur Verarbeitung. Neben den Bretterstapeln türmten sich die glatten Stämme ohne Rinde zu einer wuchtigen Welle, auf der die Arbeiter herumkletterten wie Matrosen in der Takelage eines Schiffs auf hoher See. Sie schlugen lange Eisenhaken in das Holz und rollten die Stämme in eine stabile Position. Löste sich einer aus der Verankerung, brach sich eine donnernde Brandung ihren Weg und die massigen Baumstammdepots fielen wie Mikadostäbe in sich zusammen. Wenn sie Nachschub für die Säge brauchten, ließen die Arbeiter die Stämme absichtlich herunterrollen. Wir hörten dann oben das polternde Holzgewitter. Dabei mussten die Männer aufpassen, nicht überrollt oder eingeklemmt zu werden. Wir Siedlungskinder liebten die Hügel aus gefällten Bäumen. Sie zu betreten war uns strengstens verboten, doch nutzten wir jede Abwesenheit der Sägemänner, um die Holzstufen hinauf- und hinunterzuspringen oder einfach darauf zu sitzen, bis wir entdeckt und weggepfiffen wurden.

      Geld war in allen Familien der Höglrainsiedlung knapp, das war in den 1960er-Jahren nichts Besonderes, es fiel nicht weiter auf. So merkte ich selten, wie genau bemessen bei uns alles war, außer wenn meine besten Freunde vom Nachbarhaus bei mir spielten und nach einem Apfel aus der Obstschüssel fragten, da sie sich bei uns zuhause fühlten. Dann geriet die Wochenkalkulation meiner Mutter kurz durcheinander. Weniger vertraute Kinder hätten niemals um etwas zu essen gebeten. Oft verboten Eltern ihren Kindern sogar vor einem Besuch, etwas anzunehmen, auch wenn man es ihnen aufdrängen sollte. Da es bei den meisten daheim wenig gab, fürchteten sie, die Gier ihrer Kinder könne sie verraten.

      Hinter unserem Wohnblock stand etwas abgesetzt ein Haus, in dem die Zigeunergroßfamilie der Kogler sesshaft geworden war. Entlang der Ache besaßen sie noch einige Wohnwagen und auf einem Teil des Geländes befand sich eine Halde, wo der Clanchef Schrott sammelte und verkaufte. Bei uns am Hof nannte man sie nur abfällig die „Koarner“. Ich war lange überzeugt, das sei ein Tiroler Ausdruck für „Abschaum“, was auch irgendwie stimmt, bis ich lernte, dass damit eigentlich die Karrner, das fahrende Volk, gemeint waren.

      Die Bewohner der Höglrainsiedlung und die Kogler, die offiziell zur Siedlung gehörten, ignorierten sich gegenseitig, so gut es ging. Die Asphaltstraße rund um die Mietshäuser bildete eine Abgrenzung zum Koglerhaus. Jedes Mal, wenn eines ihrer Kinder unseren Hof betrat, wurde es von unseren Buben mit Steinen verjagt. Wir bekamen auch manchmal eine Ladung ab, wenn wir uns auf ihr Territorium wagten, doch waren sie in der schwächeren Position, denn der öffentliche Weg entlang der Ache führte an ihrem Gebiet vorbei und so konnten sie nur gelegentliche Angriffe lancieren.

      Als ich fünf Jahre alt war, taten sich die Frauen der Höglrainmühle kurz vor Weihnachten zusammen und sammelten Lebensmittel, Kleidung und etwas Geld für eine Frau der Koglersippe, die allein für ihre kleinen Kinder sorgen musste, da ihr Mann gerade im Gefängnis saß. Ich sollte bei der Übergabe der Sachen den Umschlag mit dem Geld überreichen und man schärfte mir ein: „Du musst sagen: alles Gute zu Weihnachten.“ Heimlich genoss ich, unter diesem Vorwand endlich in das verbotene


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