Zweikanalton. Sabina Moser

Zweikanalton - Sabina Moser


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auf den nackten Hintern. Das harte Plastik auf der Haut tat weh, doch waren es die Demütigung und das Ausgeliefertsein, die ich nicht ertrug. Sobald er zu den Hieben ansetzte, war ich nicht mehr da. Ich hörte mich weinen, aber innerlich tauchte ich ab und blieb weg noch für Stunden danach. Ich habe keine Erinnerung daran, wie ich den Rest eines solchen Tages verbrachte. Meine Mutter saß reglos auf einem Stuhl am Küchentisch, bis die Strafe zur Gänze vollzogen war. Als sie einmal versucht hatte einzugreifen, sei mein Vater noch wütender geworden, erklärte sie mir viel später. Dabei hatte ich niemals etwas Schlimmes angestellt, sondern wurde nur für kleine Ausrutscher bestraft oder weil ich sie vertuschen wollte.

      Mit sich selbst kannte mein Vater ebenfalls keine Gnade mehr. Er brach zu einsamen, langen Bergwanderungen auf, im Winter ganz allein zu einer Skitour in unbefahrenes Gebiet. Mitten in der Nacht kam er mit einer ausgekugelten Schulter heim. Meine Mutter und ich hatten den ganzen Abend am Küchentisch auf ihn gewartet, stumm und unfähig, ins Bett zu gehen. Damals spürte ich, dass er bald sterben würde, weil er nicht mehr leben wollte. Er fehlte mir bereits. Vergeblich sehnte ich mich danach, von ihm in den Arm genommen zu werden. Mein Vater war einunddreißig Jahre alt und schrecklich schnell gealtert. Sein Gesicht war ausgezehrt, der Blick abwesend. Eine tiefe Einsamkeit umgab ihn. Früher wurde es heller, wenn er lachte. Jetzt gelang es ihm kaum noch, mir einen Kuss zu geben. Im folgenden Sommer, während meine Mutter und ich in Hamburg Ferien machten, wählte er einen erbarmungslosen Tod. Er erhängte sich im Wald an einem Ast, der eigentlich hätte brechen müssen.

      Ich war acht Jahre alt und kein Kind mehr. Und ich erfüllte den Kosenamen, den mein Vater mir gegeben hatte. Als ich klein war, liebte ich es, auf seinem Schoß zu sitzen, wenn wir gemeinsam „Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein“ sangen. Dabei zog ich „ging allein“ zu einem Wort zusammen. Mein Vater lachte dann und rief: „Mein Gingalein!“

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      „Mein Gingalein“, Mitte November 1962

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      Das frisch vermählte Paar Egid und Elisabeth Moser,

      geborene Grauß, 1884

      Altherrenrunde auf dem Ruadlstall-Bankei,

      Anfang der 1930er-Jahre, ganz rechts Egid Moser

      Aegidius

      Mein Urgroßvater Aegidius Moser kam 1854 als jüngster Sohn eines Bauern in Schwendt bei Kössen in Tirol zur Welt, doch trieb ihn der Jähzorn seines ältesten Bruders, der früh den Hof übernahm, schon als Zwölfjähriger fort von daheim. Er fand Aufnahme bei einem anderen Bauern, der den kräftigen, zupackenden Buben förderte, und so machte Gidi eine Lehre zum Sensenschmied und arbeitete im Sommer nebenbei als Maurer.

      Ebenso wie im Bezirk Kitzbühel wurde im Tiroler Unterland auch in Schwaz und Jenbach seit dem Mittelalter Erzbergbau betrieben, doch als sich dort im 15. Jahrhundert die Silber- und Kupfervorkommen erschöpften, stieß man auf Eisenadern, die der Gegend von Jenbach neuen Aufschwung durch die Herstellung von Sensen bescherten. Die Sensenschmiede Grauß am Kasbach war eine der namhaftesten, denn sie lieferte hochwertige Sensen in die ganze Monarchie, daher war sie auch als Arbeitsplatz begehrt. Hier fand Egid Moser eine Anstellung als Geselle bei dem Meister Bartholomäus Grauß, dessen sechs Söhne alle im Familienbetrieb mitwirkten. Doch nach nicht einmal einem Jahr endete seine Tätigkeit dort mit einem Skandal, und er sollte danach nie wieder als Sensenschmied arbeiten.

      Der Patriarch Grauß lebte mit seiner Familie gleich neben dem Sensenwerk, und so blieb es nicht aus, dass sich die jüngste seiner drei Töchter, die noch unverheiratete Elisabeth, und der junge Schmiedegeselle über den Weg liefen. Egid fand Gefallen an dem Mädchen, das sich weder verwöhnt noch kokett benahm, sondern zu allen freundlich war, dabei durchaus selbstbewusst auftrat und sich für ihre einundzwanzig Jahre ungewöhnlich ernsthaft zeigte. Auf Elisabeth machte der stattliche und geradlinige Bursche ebenfalls Eindruck. Sie verliebten sich ineinander und beschlossen zu heiraten. Doch der Vater hatte für seine Lisl eine bessere Partie im Sinn und verweigerte die Zustimmung, drohte gar, sie zu enterben und davonzujagen, und verbot ihr jeden weiteren Kontakt mit dem jungen Moser. Der packte sein Bündel, nahm Abschied von seiner Liebsten und der Schmiede, verließ Jenbach und machte sich auf die Suche nach einer neuen Heimat.

      Elisabeth Grauß war klein von Statur, besaß aber einen starken Willen und trat in Hungerstreik. Ihre hilflose Mutter, die Brüder und Schwestern beschworen den Vater jeden Tag, ein Einsehen zu haben, doch der blieb ebenfalls stur. Als Lisl eine Woche ohne Nahrung verbracht hatte, ging Bartlme Grauß zum Pfarrer, um sich Rat zu holen. Der las ihm die Leviten ob seines unchristlichen Verhaltens und konnte den stolzen Vater umstimmen, in die Vermählung einzuwilligen.

      So heirateten Egid und Elisabeth im Februar 1884 in Kitzbühel, wo sie mit dem Erbe, das ihr nun doch ausbezahlt worden war, ein kleines Gasthaus erwarben und sich als Wirtsleute niederließen. Zur Hochzeit kamen Lisls Mutter, eine Schwester und ihr ältester Bruder als Trauzeuge. Der Vater war bereits verstorben.

      Das „Jägerwirtshäusl“ in der Jochbergerstraße war klein und heruntergekommen und hatte dazu noch einen schlechten Ruf. Aber Elisabeth konnte hervorragend kochen, und bald schon wurde „Zum grünen Jäger“, wie sie ihr Haus nun nannten, ein beliebter Treffpunkt bei Einheimischen. Egid nahm außerdem seine frühere Tätigkeit als Maurer wieder auf und legte bald mit dem Hinterbräustadl für die Familie Reisch, der aus mächtigen Steinquadern gefertigt war und eine neuartige Belüftung des Heus durch kunstvolle Öffnungen in der Ziegelwand vorsah, sein Gesellenstück auch in diesem Gewerbe ab. Einige Jahre später machte er sich als Maurermeister selbstständig. Er besaß großes Talent als Bauunternehmer und erhielt zahlreiche öffentliche Aufträge, die ihn über den Bezirk Kitzbühel hinaus bis in den Salzburger Pinzgau führten. Für Großbauten wie Schulen oder das Kitzbüheler Grand Hotel 1902 holte er Gastarbeiter aus Italien, die von ihren Frauen begleitet wurden, denn ohne Pasta konnten sie nicht arbeiten. Auch die Kitzbüheler kamen in einen besonderen Genuss, wenn die Italienerinnen mit großen Säcken voller Orangen von Haus zu Haus zogen. Schon von weitem hörte man sie laut „Arancini, Arancini!“ rufen.

      Die vielleicht größte bauliche Herausforderung stellte für Egid Moser die Errichtung des Gipfelhauses auf dem knapp zweitausend Meter hohen Kitzbüheler Horn dar. Es wurde großteils aus Quadern des örtlichen Kalksteins gemeißelt, und auch für diese Aufgabe holte mein Urgroßvater italienische Steinmetze und Maurer, die das zusätzliche Baumaterial mit Mauleseln und Haflingern die steilen, schmalen Serpentinen des Hornwegs hinaufschaffen mussten.

      Mittlerweise war nach Tochter Elise auch mein Großvater Aegidius junior geboren worden, und die junge Familie zog in die Villa Moser am Lukasbühel. Dort hatte Egid senior das Lucaspichlgut erworben und eine moderne Villa, bestehend aus drei großen Wohnungen, darauf gebaut. Es war als Alterssitz gedacht. Zwei Stockwerke wurden komplett eingerichtet an Wiener Sommerfrischler und Wintergäste vermietet. Mit dem Umzug verkauften meine Urgroßeltern 1906 auch ihr Gasthaus „Zum grünen Jäger“, doch drei Jahre später wagten sie erneut, einen etwas herabgewirtschafteten Betrieb zu übernehmen, und wurden noch einmal Wirtsleute. Diesmal handelte es sich um das „Badhaus“, ein Gasthaus mit einer über hundert Jahre alten Heilwasser-Badeanstalt, die von eisenhaltigen Quellen gespeist wurde, am südlichen Ortsende an der Jochbergerstraße gelegen, gleich unterhalb vom Lukasbühel. Ihr „Gasthof Bad Kitzbühel“ war mit vierundzwanzig Betten größer als das frühere Haus und erforderte mit der Badeanstalt besondere Kenntnisse und viel mehr Personal. Wieder waren es die gute Küche von Lisl Moser und ihr Gespür für Gastlichkeit, die das „Eisenbad“ bei Kurgästen und Kitzbühelern beliebt machten. Bei der Chefin lernten zahlreiche einheimische Mädchen das Kochen, darunter auch Rosl Kraßnigg, die Tochter des Schuhmachers und Briefträgers, die später einmal den Sohn des Hauses heiraten würde.

      Nach einigen guten Jahren wurde bei der Hochwasser-Katastrophe von 1912 das gesamte Gebiet der Langau überschwemmt, auch das Badhaus und der Gasthof standen unter Wasser. Als sich Egid und Elisabeth im folgenden Jahr entschlossen, ihren Betrieb wieder zu verkaufen,


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