Die Wut wächst. Oskar Lafontaine

Die Wut wächst - Oskar Lafontaine


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voran die USA. Die Verringerung der Waffenproduktion und die Abrüstung bleiben aber die Voraussetzungen eines stabilen Friedens. Dabei muss man mit den Atomwaffen beginnen. Sie sind Waffen mit einem unvorstellbaren Vernichtungspotenzial und wurden bisher von den Vereinigten Staaten in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt. Danach, in der Zeit des Kalten Krieges, kam es zum atomaren Overkill. Jede der beiden Supermächte hatte die Fähigkeit, die jeweils andere mehrfach zu vernichten. In den siebziger Jahren begannen zwischen den USA und der UdSSR die Verhandlungen zum Abbau der Atomwaffen. Es kam zu Vereinbarungen, die Zahl der Atomsprengköpfe zu begrenzen und zu reduzieren. Mit der Umsetzung der Verträge taten sich beide Supermächte schwer. Erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eröffnete sich die Chance auf eine weitere atomare Abrüstung. Im Jahre 2001 kündeten der amerikanische Präsident George W. Bush und der russische Präsident Wladimir Putin an, die Zahl der Atomwaffen weiter zu verringern. Als Bush den Vertrag, der beinhaltete, keine Raketenabwehr aufzubauen, ohne Absprache mit den Verbündeten kündigte, gab es neue Vorgaben. Er stellte in Aussicht, das amerikanische Atomarsenal einseitig von 6000 auf 1700 bis 2200 stationierte Sprengköpfe abzubauen. Im Gegenzug erklärte Putin, Russland werde die Zahl der strategischen Nuklearsprengköpfe auf 1500 bis 2200 verringern.

      Kurz danach setzte das amerikanische Militär aber durch, dass die Atomsprengköpfe nicht verschrottet, sondern »eingelagert« werden. Und als sei das noch nicht genug, wurde im März 2002 ein Pentagon-Papier bekannt, in dem Einsatzoptionen kleiner Atomwaffen erörtert wurden. Auf der Liste der Zielländer standen Iran, Irak, Nordkorea, Libyen, Syrien, China und Russland. Die Russen fühlten sich düpiert und lernten wieder einmal, dass sich das Militär in den USA gegen den Präsidenten durchsetzt. Ein weiteres Beispiel: Auch der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton trat für das Verbot von Landminen ein, aber das Pentagon verhinderte den Beitritt der USA zu einem entsprechenden internationalen Abkommen. Eisenhower hatte Gründe, vor dem militärisch-industriellen Komplex Amerikas zu warnen.

      Unabhängig von den Verhandlungen der Supermächte entwickelten immer mehr Staaten Atomwaffen. Das war unvermeidlich, weil die Politik der jetzigen Nuklearmächte zur Rüstungskontrolle auf einem unüberwindbaren Widerspruch beruht. Sie wollen selbst Atomwaffen behalten, aber anderen Staaten verbieten, derartige Waffen herzustellen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, versteht sich von selbst. Viele Staaten hatten den Atomwaffensperrvertrag nur deshalb unterzeichnet, weil die Nuklearmächte ihnen versprochen hatten, abzurüsten. Im Atomwaffensperrvertrag haben diese sich 1968 verpflichtet, »einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle« abzuschließen. Leider sind die Atommächte vertragsbrüchig geworden und haben damit die weitere atomare Aufrüstung in Gang gesetzt. Es kann keine auserwählten Völker geben, die über Atomwaffen verfügen, während der Rest der Welt auf dieses militärische Drohpotenzial zu verzichten hat. Aus ähnlichen Gründen wurde der Atomteststoppvertrag von einigen Staaten abgelehnt. Aus ihrer Sicht war das Spiel des Atomclubs durchschaubar. Nachdem seine Mitglieder selbst viele Atomversuche durchgeführt hatten, wollten sie es anderen Ländern unmöglich machen, das notwendige Knowhow zur Herstellung der Bomben zu entwickeln. Mit welchem Argument will man aber Staaten wie Indien und Pakistan die atomare Bewaffnung verbieten, wenn die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China weiterhin Atomstreitkräfte besitzen? Ja, selbst die von den Amerikanern so oft an den Pranger gestellten Länder wie der Irak, Nordkorea oder Libyen – die so genannten Schurkenstaaten –, können auf Israel verweisen und mit guten Gründen bei der atomaren Bewaffnung gleiches Recht für alle verlangen. 1981 vernichteten die Israelis mit einem Überraschungsangriff einen irakischen Kernreaktor, der spaltbares Material liefern sollte. Wie selbstverständlich nimmt Israel das Recht für sich in Anspruch, als einziger Staat im Nahen Osten Atomwaffen zu besitzen. Da im Konfliktfall die Atommächte, allen voran die USA, nicht nur ihre überlegenen konventionellen militärischen Fähigkeiten anwenden können, sondern ihre Nuklearmacht immer noch in der Hinterhand haben, setzen sie ihre politischen Ziele durch. Aufstrebende Staaten, die noch keine Atomwaffen haben, werden daher notwendigerweise versuchen, in den Besitz solcher Waffen zu gelangen. Will man diese Kette von atomarer Vor- und Nachrüstung durchbrechen, dann gibt es nur die Möglichkeit der völligen atomaren Abrüstung. In der Zwischenzeit sollten die Nuklearwaffen der Kontrolle der UNO unterstellt werden. Eingefleischte Realpolitiker sehen darin sicher eine weltfremde Träumerei. Aber es gibt nur zwei Wege: Entweder verzichten alle Staaten auf Atomwaffen oder immer mehr Länder werden aus Gründen des Gleichgewichts nuklear aufrüsten. Und wenn viele Staaten über Bomben verfügen, dann werden sie eines Tages auch wieder eingesetzt.

      Wie mit den Atomwaffen, so verhält es sich auch mit den biologischen und chemischen Waffen. Auch hier wird es keine Weltordnung geben, in der einzelne Staaten diese Waffen besitzen, während andere auf sie verzichten. Ein Chemiewaffenabkommen wurde im Januar 1993 in Paris von 130 Staaten unterzeichnet. Spätestens zehn Jahre, in Ausnahmefällen 15 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages am 29.4.1997, müssen sämtliche Arsenale chemischer Waffen und die entsprechenden Produktionsanlagen vernichtet sein. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen mit Sitz in Den Haag soll die Einhaltung des Vertrages überwachen sowie Kontrollen im militärischen Bereich und bei der chemischen Industrie durchführen. Es ist also möglich, internationale Vereinbarungen abzuschließen, die den Besitz bestimmter Waffen verbieten. Aber die größeren Mächte konnten dieses Abkommen auch deshalb leicht unterzeichnen, weil sie ja immer noch auf die Atombomben zurückgreifen können. Die atomare Abrüstung bleibt die vorrangige Aufgabe der internationalen Politik.

      Für die biologischen Waffen wurde 1972 ein Vertrag unterzeichnet. Er verbietet die Herstellung dieser Waffen und schreibt vor, alle Bestände innerhalb von neun Monaten nach der Vereinbarung zu vernichten. Das Abkommen wurde von 143 Staaten ratifiziert. Nicht unterschrieben haben unter anderem Israel, der Sudan und der Irak. Der Vertrag sieht aber keine ausreichenden Kontrollmöglichkeiten vor. Die Vereinigten Staaten waren trotz ihrer Erfahrungen mit den Anthrax-Anschlägen auch im Jahr 2001 nicht bereit, ein Zusatzprotokoll zu unterschreiben, das es ermöglichte, die Herstellung biologischer Waffen einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen.

      Die USA sind am Beginn des 3. Jahrtausends für die Hälfte der Waffenexporte verantwortlich und liefern an 140 Staaten, von denen 90 Prozent entweder Diktaturen sind oder die Menschenrechte nicht achten. Nicht nur imperiale oder militärische Überlegungen liegen diesen Waffenlieferungen zugrunde. Es geht oft nur ums Geld. Die Waffenproduzenten haben in den Industriestaaten eine starke politische Lobby. Sie schmieren Politiker und Parteien. So wie der Waffenhändler Karlheinz Schreiber in Bonn die politische »Landschaft« pflegte, so gibt es viele Schreibers auf der Welt. Oft sind Politiker selbst in den Waffenhandel involviert. Solche Vorwürfe wurden beispielsweise gegen den ehemaligen argentinischen Präsidenten Carlos Menem erhoben, der deshalb eine Zeit lang inhaftiert war, bis ein mit seinen Günstlingen besetztes Verfassungsgericht die Haft aufhob. Wenn die Politiker selbst nicht beteiligt waren, dann waren manchmal Mitglieder ihrer Familien in dubiose Waffengeschäfte verwickelt, wie die Söhne von Margaret Thatcher und François Mitterand. Würden Waffenexporte verboten, dann bliebe der Menschheit millionenfacher Tod und viel Leid und Elend erspart. Bei der UNO sollte eine Behörde angesiedelt werden, die das Verbot der Waffenexporte überwacht.

      Nach der Auflösung der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges ist tatsächlich die Chance zu einer gerechteren Weltordnung gegeben. Sie kann aber nur genutzt werden, wenn die UNO und ihre Vollversammlung als Vorläufer einer Weltregierung und eines Weltparlaments begriffen werden. Eine neue Weltordnung setzt voraus, dass alle Staaten das von den Vereinten Nationen gesetzte internationale Recht respektieren. UNO-Generalsekretär Kofi Annan reklamiert die Zuständigkeit der Weltorganisation für die Terrorismusbekämpfung. Seine Organisation sei das natürliche Forum, um eine weltweite Koalition zu bilden. Sie allein könne dem langfristigen Kampf gegen den Terrorismus Legitimität verleihen. Da aber nur derjenige etwas durchsetzen kann, der auch über militärische Macht verfügt, muss eine Streitmacht aufgestellt werden, die im Konfliktfall von der UNO eingesetzt werden kann. Sie muss auch über technisch gut ausgerüstete Katastrophenschutzeinheiten verfügen. Als Saddam Hussein den Persischen Golf mit Öl verseuchte, sah die Weltgemeinschaft hilflos zu. Während es Bomber, Raketen und Kriegsschiffe im Übermaß gibt, fehlt es an Geräten, um Leben zu retten und Umweltkatastrophen zu bekämpfen. Weltpolizei kann nur die UNO sein, nicht ein einzelner Staat. Auch die Vereinigten Staaten werden


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