Von der Kunst Bäume zu pflanzen. Hermine Hackl

Von der Kunst Bäume zu pflanzen - Hermine Hackl


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Kettenreaktion in Gang setzen. Grabherr, der begnadete Kommunikator und beseelte Pflanzenliebhaber, hat seine eigenen Bilder, dies zu erklären: Jede Pflanzenart ist wie ein Buchstabe in der Natur. Diese Buchstaben bilden miteinander Wörter und ganze Sätze. Wer nur einen Buchstaben verändert, kann den Sinn eines Wortes, eines ganzen Satzes, einer ganzen Welt verändern. Alles, was wir tun und denken, ist Teil eines großen Ganzen. Eine zu mechanistische Sichtweise ist allerdings fehl am Platz. Verglichen mit einer Präzisionsmaschine sind die ökologischen Systeme und Funktionsstrukturen „lose Werkel, die scheppern, knirschen und krachen“. Daher sind präzise ökologische Prognosen so schwierig.

      Der zauberhafte Garten von Georg Grabherr im Wienerwald bietet hier ein verblüffendes Beispiel. Ebendort, in diesem „Garten für das 21. Jahrhundert“ steht ein Bambus. Von dieser Pflanze wurden über Generationen hinweg zahllose Klone, sprich Setzlinge, genommen, die eigentlich nicht mehr miteinander verbunden sind. Alle Klone dieser Pflanze, blühen – wie von Zauberhand geführt – überall auf der ganzen Welt exakt zur gleichen Zeit.

      Erst im Laufe des Gesprächs mit dem Wissenschaftler Georg Grabherr ist mir bewusst geworden, wie viele menschliche Züge auch die Pflanzen tragen. Pflanzen stehen genauso in Konkurrenz zueinander wie Menschen und ergehen sich mitunter in brutalen Ausleseverfahren. Wenn sich jedoch die Richtigen am geeigneten Ort treffen, bilden sie friedvolle Gemeinschaften und beschützen und fördern einander. Wo hingegen viele von einer einzigen Art an einem Platz sind, wie es bei Monokulturen der Fall ist, kann sich das Einzelindividuum nur spärlich entfalten. Das geschieht sogar nach einer exakt berechenbaren mathematischen Gesetzmäßigkeit. Wenn jedoch mehrere Arten an einem Ort stehen, ist die gegenseitige Förderung sehr viel wahrscheinlicher und damit das System wesentlich stabiler. Alleine das ist schon ein besonders schlagkräftiges Argument für Artenvielfalt.

      „Die Natur hat ihre eigene Ordnung – und die ist nicht der rechte Winkel“, sagt der Biologe Georg Grabherr. In diesen Worten ist unglaublich viel Liebe spürbar und tiefster Respekt für die Pflanzen, die er ein Leben lang erforscht hat. Es ist fast eine Art Zärtlichkeit, die da mitschwingt, eine Eigenschaft, die man bei Wissenschaftlern wahrscheinlich nur selten vorfindet. Woher kommt diese Zuneigung für sein Wissenschaftsgebiet? Es sind wieder einmal die Zusammenhänge, die persönlichen Umstände, einzelne Begegnungen, welche die Summe des Ganzen ergeben. Da war der vogelkundige Vater, der fachkundige Naturgeschichtsprofessor, das Wiener Ehepaar, das sogar die wissenschaftlichen Pflanzennamen kannte. Da war irgendwann dieses Geschenk, ein Buch über Orchideen, die eigenständige Beschäftigung mit dem neuen Wissen, die Reflexion in der Natur. Mit dem Wissen geht die Faszination einher, die ständig vorantreibt zu noch mehr „wissen wollen“. Je größer das Wissen, umso größer auch die Neugierde, hinter das Wissen zu schauen. Erkenntnis durch Kenntnis. Ideale Bedingungen für ein Wissenschaftlerleben. Mit dem fundierten Wissen und dem wachsenden Verständnis für die Zusammenhänge kommt auch die Bereitschaft, sich für die geliebte Sache einzusetzen. Und so war es dann auch. Ein Leben lang.

      Ein erstes Mal machte der Naturschützer Grabherr im Alter von 16 Jahren von sich reden. Damals machte er die Eingabe für die Unterschutzstellung der „Schmelwiese“ in seiner Vorarlberger Heimatgemeinde Hörbranz. Der besagte Feuchtbiotopkomplex war ein Raritätenkabinett ersten Ranges und ist es heute noch.

      Georg Grabherr ist das jüngste von fünf Kindern. Die meisten Familienmitglieder sind seit Generationen Lehrer. Nur der Vater betreibt eine Schuhmacherwerkstatt im kleinen Ort Hörbranz am Bodensee. Nach dem Krieg ist hochqualitative Handwerkskunst für den Durchschnittsbürger aber nicht leistbar. Die Familie lebt deshalb in bescheidenen Verhältnissen. Auch die Kinder müssen ihren Arbeitsbeitrag leisten. Freiheit, Kindheit, Friede, Abenteuer findet der Familienjüngste in der Natur. „Alles, was im Leben schön ist, hat im Wald stattgefunden“, wird Grabherr später einmal über seine Jugend resümieren. „Die Natur, der Wald lehrt uns Bescheidenheit und Demut.“ Eigenschaften, die auch der hochangesehene Wissenschaftler nicht verloren hat, ja, sie sogar einfordert. Bescheidenheit und Demut führen auch zur Erkenntnis, dass nur ein Leben in Sparsamkeit ein nachhaltiges Leben sein kann. Sparsamkeit bedeutet, alle Güter auf das Notwendige zu reduzieren und damit alle nur erdenklichen Ressourcen zu schonen. „Wenig, aber gut und qualitätsvoll“, ist seine Devise. Die Reduktion auf das Wesentliche bedeutet aber ganz und gar nicht Verzicht auf Genuss. Da würde der Professor nun doch heftig protestieren. Genuss kann aber nur bereiten, was selten und kostbar ist und nicht aus dem Überfluss kommt. Ein logischer Rückschluss, nicht wahr?

      Genuss und Überfluss. Wissen und Ignoranz. Naturschutz und Naturausbeutung. Die Welt ist mehr denn je von Gegensätzen geprägt. Durch die zunehmende Verstädterung der Bevölkerung war die Naturferne noch nie so groß wie jetzt, aber auch die Natursehnsucht. Wohlmeinende streben aus tiefer Sehnsucht nach Weltverbesserung möglichst ökologische Lösungen an und müssen erkennen, dass ökologische Lösungen oft die meiste Natur „verbrauchen“, wie das etwa beim Heizen mit Holz oder mit anderen natürlichen Brennstoffen ist. Die Menschheit sitzt in ihrem Streben nach wohlmeinender Weltverbesserung oft zwischen allen erdenklichen Stühlen und ist nur schwer in der Lage, die richtigen Wege zu finden. Je präziser die Wissenschaft arbeitet, je genauer die technischen Ergebnisse werden, umso schwieriger wird es, eine Art erträgliches Mittelmaß zwischen Sendungsauftrag und Bequemlichkeit zu finden, das uns alle gerade noch mit gutem Gewissen leben lässt. Für sich diesen Weg zu finden, liegt in der Verantwortung des Einzelnen, aus dieser kann er nicht entlassen werden.

      Faszination und ehrliche Begeisterung, wie sie der Wissenschaftler Georg Grabherr an den Tag legt, sind wohl der effizienteste und – im besten Sinne des Wortes nachhaltigste – Weg, mit Wissen die Herzen zu öffnen. Ich erinnere mich da an einen lauen Spätnachmittag im frühlingshaften Wienerwald. Wir waren gerade mit dem Auto auf der Rückreise von einer forstlichen Tagung. In unseren Köpfen kreisten noch Meinungen und Diskussionsbeiträge. Plötzlich sagt Professor Grabherr: „Bieg dort vorne ab. Ich zeige dir den schönsten Wald der Welt.“ Und tatsächlich. Wenige Schritte von der Straße entfernt, breitete sich im hohen Laubwald ein unendlich weiter Teppich aus, dicht gewebt aus blauen, weißen und gelben Blumen. Das Laub der Buchen und Eichen war jung und grün. Wiedergeburt liegt in der Luft. Von der Donau dringen ganz leise Beweise von naher Zivilisation herauf, die romantische Gemüter auch als Wellenrauschen hätten interpretieren mögen. Noch zwitschern die Vögel aufgeregt durcheinander. Der Weg wird schmäler. Äste liegen über dem scharfen Grad. Niemand stößt sich daran. Nichts ist lebendiger als totes Holz. Georg hebt mit seinem Gehstock vorsichtig einen Stein zur Seite. Leben pur. Ein Grashalm spielt mit dem Wind und bemerkt gar nicht, dass der Wissenschaftler ihn als etwas Besonderes qualifiziert hat. Schleichend wie ein listiger Dieb drängt die Nacht in den Wald. Wenn man den Kopf hebt und nach oben schaut, kann man ganz klar erkennen, dass die alten Baumriesen tatsächlich den Himmel berühren. Sie stehen da und geben Zeugnis einer anderen Zeit. Ihre schwarzen Stämme und Äste stützen das Nachtblau des Himmels. Der Neuntöter hat seinen Gesang beendet. Die Nacht hat jetzt ein leichtes Spiel. Auf den letzten Metern zurück zum Auto wage ich kaum zu atmen, um den Zauber dieses Nachtwaldes nicht zu stören. Ich werde niemals wieder hierher kommen. Geschenke wie diese bekommt jeder Mensch nur einmal im Leben. Doch hier will ich Zeugnis davon geben. Man kann Blumen in einen Garten pflanzen und sich an ihrer Farbenpracht erfreuen. Man kann Studien darüber verfassen und veröffentlichen. Man kann den Menschen aber auch die Liebe zu all dieser Pracht ins Herz pflanzen. Was von alledem wird wohl die Zeiten überdauern?

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      Zur Person: GEORG GRABHERR, geboren 1946 in Bregenz, ist angesehener Vegetations- und Landschaftsökologe und bekannt als „der Naturschutzprofessor“ in Österreich. Von 1986 bis 2011 war er Abteilungsleiter und Universitätsprofessor für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie an der Universität Wien, 2003–2014 Vorsitzender des österreichischen Man and the Biosphere (MAB)-Nationalkomitees der UNESCO (seit 2014 dessen Ehrenmitglied), Mitbegründer von „Global Observation Research Initiative in Alpine Environments“ (GLORIA), in deren Rahmen vegetationsökologische Langzeitstudien zum Nachweis des Klimawandels vorgenommen werden. Er ist Träger des „Österreichischen Naturschutzpreises“ des Naturschutzbundes Österreich, des Vorarlberger Wissenschaftspreises, des Großen Verdienstzeichens des Landes Vorarlberg,


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