Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Группа авторов

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diene die Referenzarbeit von Ehrenreich (2004), in der die Forscherin die Bedeutung des Auslandsaufenthalts für die Fremdsprachenlehrerbildung unter besonderer Berücksichtigung des Assistant-Jahres mit Hilfe einer Interviewstudie untersucht. Theoretische Vorüberlegungen im Zusammenhang der Aufarbeitung der Fachliteratur bilden die Basis für eine Kriterienmatrix mit entsprechenden Parametern, die die Forscherin bei der tatsächlichen Informantenauswahl leiteten. Auswahlkriterien sind u.a.: Geschlecht, Herkunftsbundesland, Zielland und Ausbildungsphase zum Zeitpunkt der Interviews. Unter Berücksichtigung dieser Matrix konstituiert Ehrenreich im Schneeballverfahren (s. Kapitel 5.2.1) die Stichprobe ihrer Studie, eine Gruppe von 22 Informanten, die zum einen als typisch markierte Fälle gemäß der Kriterien enthält, zum anderen eine maximale Variation der Teilnehmenden innerhalb der Gesamtgruppe abbildet (Ehrenreich 2004: 158f).

      Kimes-Link (2013) untersucht „welche Aufgaben und Methoden Lehrkräfte im englischen Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe bei der Lektüre von Ganzschriften einsetzen und inwiefern diese geeignet sind, die Interaktion zwischen den Lernenden und dem Text sowie die Interaktion innerhalb der Lerngruppe zu intensivieren, gemeinsame Bedeutungsaushandlungen zu initiieren und vertiefte Verstehensprozesse zu begünstigen“ (Kimes-Link 2013: 85). Sie konstituiert theoriegeleitet die Stichprobe ihrer Studie aus insgesamt sieben Kursgruppen gymnasialer Oberstufen, die zum einen unterschiedliche Schul- und Kurstypen repräsentieren, zum anderen ein Spektrum unterschiedlicher literarischer Genres zum Arbeitsgegenstand haben (Dramen, Jugendromane, Romane und Kurzgeschichten).

      A priori vorgenommene, kriterien- und theoriegeleitete Konstruktionen einer Stichprobe werden, wenn es um die konkrete Realisierung des Projekts geht, von drei Aspekten beeinflusst, die letzten Endes den Forschungsprozess beeinflussen und häufig für das Sampling modifizierend wirken. Die Frage, wo und wie Forschende ihre Forschungspartner gewinnen, bringt die Herausforderung auf den Begriff. Da ist zum einen der Aspekt der räumlichen und institutionellen ZugänglichkeitZugänglichkeit. So kann es sein, dass ein räumlich naher und deshalb forschungspragmatisch günstiger Kontext, der für die Bearbeitung der Forschungsfrage zudem sehr vielversprechend wäre, nicht zugänglich ist, weil die gatekeepers unüberwindliche Hürden errichten. Andererseits kann ein räumlich ferner Kontext zugänglich sein, der den Forschenden jedoch einen größeren Zeitaufwand abnötigt und damit den Forschungsprozess erheblich belastet. Damit ist auch der zweite Aspekt angesprochen, nämlich die MachbarkeitMachbarkeit des Projekts. Gerade für Qualifikationsarbeiten, die in der Regel von Individuen und nicht von Forschergruppen geleistet werden und mit oft sehr begrenzten Zeitbudgets auskommen müssen, ist die Frage, was unter den konkreten Bedingungen leistbar ist, von Bedeutung. Machbarkeitsüberlegungen werden deshalb in das Sampling eingehen müssen. Die Kombination von Machbarkeits- und Zugänglichkeitsüberlegungen kann zu einer Ad-hoc-Stichprobe führen, die weniger kriterien- und zielgeleitet, als vielmehr pragmatisch bestimmt ist: Die Forschende wendet sich Personen und Kontexten zu, die zur Verfügung stehen, wie die Untersuchung von Roters (2012: 161–63) verdeutlicht. Roters befasst sich in ihrer explorativen Studie mit dem Konstrukt der Reflexion, das in Diskursen zur Entwicklung von Lehrerprofessionalität als Schlüsselkompetenz markiert wird. Untersuchungsgegenstand sind die Beschreibung und Analyse zweier Lehrerbildungsprogramme und -kontexte einer deutschen und einer US-amerikanischen Universität. Die Auswahl der Stichprobe erfolgte zunächst theoriegeleitet und über umfangreiche Dokumentenanalysen, dann aber nach Kriterien der Zugänglichkeit und Machbarkeit, wobei nicht zuletzt formale und institutionelle Anforderungen bestimmend wirkten.

      Von Relevanz für die Bestimmung der Stichprobe ist schließlich die Bereitschaft der Forschungspartner, sich auf die Belastungen des Forschungsprozesses einzulassen: etwa auf narrative Interviews (Ehrenreich 2004) oder auf Videoaufnahmen im Klassenzimmer (Kimes-Link 2013): „… wie kann [der Forscher] erreichen, dass eine entsprechende Bereitschaft nicht nur geäußert wird, sondern zu konkreten Interviews und anderen Daten führt“ (Flick 2011: 143)?

      2 Entscheidungen bei der Datenbearbeitung und Sampling-Strategien

      Auch wenn zunächst entschieden ist, von welchen Personen und Gruppen Daten erhoben werde sollen, ist damit für qualitativ Forschende in der Regel das Sampling nicht abgeschlossen. Nicht nur Forschungsanfänger stehen vor der Herausforderung, die große Datenfülle, die in qualitativen Studien anfallen kann, zu meistern. Dabei stellen sich zwei Fragen. Welche Daten sind für die Beantwortung der Forschungsfrage zielführend, „the real challenge is not to generate enough data, but to generate useful data“ (Dörnyei 2007: 125 [Hervorh. im Original]) und welche Daten sollen in welcher Breite und Tiefe etwa mit Hilfe von Datentriangulation (s. Kapitel 4.4) bearbeitet werden. Entscheidungen sind dann häufig an den Prozess der Datenbearbeitung gebunden, aus dem sich oftmals auch eine weitere Differenzierung der Forschungsfrage(n) ergibt. Die Fälle werden damit schrittweise ausgewählt, Entscheidungskriterium ist ihre Relevanz für die Forschungsfrage und nicht ihre Repräsentativität (Flick 2011: 163). Forschenden stehen eine Reihe von Sampling-Strategien zur Verfügung, zu denen u.a. folgende gehören:1

       Sampling typischer FälleSampling typischer Fälle: Der Forscher, der sich z.B. mit dem beruflichen Selbstverständnis von Englischlehrkräften in der Grundschule befasst, konzentriert sich auf Personen in den Daten, die in Hinblick auf die Forschungsfrage über typische Eigenschaften, Merkmale und/oder Erfahrungen verfügen (weibliche Lehrkräfte mit mehr als drei Jahren Berufserfahrung, die Englisch nicht als Muttersprache mitbringen), auf Personen also, die typisch für die Mehrzahl der untersuchten Fälle sind.

       Sampling maximaler VariationSampling maximaler Variation: Der Forscher interessiert sich besonders für Fälle, die signifikante Unterschiede aufweisen, um die Bandbreite und Variabilität von Erfahrungen der untersuchten Gruppe zu erfassen und dabei mögliche Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

       Sampling extremerSampling extremer Fälle oder abweichender FälleSampling abweichender Fälle: Die Strategie ähnelt der vorangegangenen. Der Forscher fokussiert auf die Extremfälle, z.B. auf Lehrkräfte, die ihr berufliches Selbstverständnis besonders stark mit der Einschätzung ihrer L2-Kompetenz verknüpfen und sich Muttersprachlern besonders unterlegen fühlen. Auch hier könnte von Interesse sein, ob selbst solche Extremfälle Gemeinsamkeiten aufweisen.

       Event-SamplingEvent-Sampling: Diese Sampling-Strategie ist vorwiegend in der Videoforschung vertreten und filtert bestimmte niedrig- oder hochinferente Phänomene (wie Partnerarbeit oder mündliche Fehlerkorrekturen) aus dem Videomaterial heraus. Event-Sampling wird vom Time-Sampling abgegrenzt. Beim Time-Sampling werden Kodierungen in bestimmten Zeitabständen vorgenommen (z.B. alle 2 Minuten) (vgl. Appel/Rauin 2015).

       Sampling kritischer FälleSampling kritischer Fälle: Diese Strategie ist dem Event-Sampling ähnlich. Sie zielt auf Fälle in den Daten, die als zentral für die untersuchten Zusammenhänge gelten können. Schwab (2006), der mit Hilfe einer konversationsanalytischen Longitudinalstudie die Interaktionsstrukturen im Englischunterricht einer Hauptschulklasse untersucht, konkretisiert nach der ersten Durchsicht einer Grobtranskription der Daten die Gesprächspraktik „Schülerinitiative“ als ein kritisches Phänomen und zentrales Element von Schülerpartizipation. 81 dieser kritischen Fälle werden dann im Detail transkribiert und einer differenzierten Analyse unterzogen (Schwab 2006). Die Referenzarbeit von Schwab verdeutlicht, dass Sampling-Prozesse in qualitativen Studien in der Regel offen und iterativ sind, denn die zu untersuchenden Fälle gewinnen oftmals erst im Prozess der Datenbearbeitung an Gestalt: die Grundgesamtheit kann nicht von vorneherein genau bestimmt werden, sondern konstituiert sich durch einen Prozess der sukzessiven Differenzierung bereits gewonnener Erkenntnisse und die daraus folgende, erneute Interpretation der Daten, die u.U. sogar eine weitere Phase der Datengewinnung im Sinne der Forschungsfrage nahe legt. Die Auswahlentscheidungen werden durchgängig von Relevanzkriterien für die Forschungsfrage und durch die bereits formulierten Einsichten und Vermutungen und, nicht zuletzt, durch vorhandene Wissensbestände (Vorwissen, Fachwissen) geleitet.

      Dieses zyklisch voranschreitende Auswahlverfahren wird als Theoretical-Samplingtheoretical sampling bezeichnet und wurde erstmals von Vertretern der empirischer Sozialforschung im Zusammenhang der Grounded TheoryGrounded Theory beschrieben (s. Kapitel 5.3.3). Obwohl der Begriff ursprünglich


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