"Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland. Wolfram Knauer


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nur noch etwa die Hälfte der Aufnahmen ausmachte, die Musik drumherum also interessanter gestaltet werden konnte.

      Textlich sind die Aufnahmen reine Kriegspropaganda; und es verstört vielleicht am meisten, dass man noch heute beim Anhören zu verstehen meint, wie direkt und unmittelbar Musik Stimmung machen kann. Am harmlosesten wirken da noch die Texte, die einfach nur die Stärke Deutschlands beschwören, gegen das Krieg zu führen einfach keinen Sinn mache, »Tea for Two« etwa aus dem Sommer 1941, das sich auch dadurch auszeichnet, dass es mit dem Thema des »St. Louis Blues« beginnt und der Klarinettist (wahrscheinlich Benny de Weille) im zweiten Teil dieses Parts Klarinettenläufe und -glissandi spielt, die klingen, als habe er viel Barney Bigard gehört. Nach dem Propagandapart steht fast die ganze zweite Hälfte der Aufnahme für einen arrangierten Orchesterchorus zur Verfügung, einschließlich eines weiteren relaxten achttaktigen Klarinettensolos, das bis in den Schlussteil hineinreicht.

      Ende 1940 spielte das Orchester aber auch den originalen »St. Louis Blues« ein, von Anfang an als Parodie, und damit zumindest indirekt an ein Beispiel aus den USA anknüpfend: Schon Glenn Miller hatte W. C. Handys Komposition 1939 in einem Arrangement von Jerry Gray im strammen Marschrhythmus interpretiert. Die Fassung von Charlie and his Orchestra beginnt eher wie eine Art Stomp, dann heißt es: »A Negro from the London docks sings the black-out blues«. Der Text der Parodie bezieht sich jetzt nur noch auf den Kriegskontext, auf die Tatsache nämlich, dass Deutschland gerade 65 Nächte hintereinander Bomben auf London geworfen habe. Nach dem Textteil ist noch ein Klarinettensolo zu hören, für das ebenfalls wahrscheinlich Benny de Weille zuständig war.

      In »You’re Driving Me Crazy« vom Herbst 1940 wettert Schwedler »als Winston Churchill« gegen die Juden, auf die kein Verlass sei, und verdammt den Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan, der den Briten nur Sorge und gewiss nicht den Sieg bringen würde. Irving Berlins »Slumming on Park Avenue« wird 1940 zu »Let’s Go Bombing«, und »Goody Goody« vom Sommer 1941 zu einer Anti-Churchill-Parodie. »Makin’ Whoopee« vom Februar 1942 beginnt mit den Zeilen: »Another war, another profit, another Jewish Business trick! Another season, another reason, for makin’ whoopee!« Und in »You’re the Top« vom August 1942 dichtet der unbekannte Texter Cole Porters sprachwitzige Zeilen in eine Art furchterregendes Nazi-Poem um. Wo Porter die angebetete Liebste mit schönen, wenn auch absurden Kunstwerken und Alltagsgegenständen vergleicht, heißt es jetzt: »You’re the top – you’re a German flyer. You’re the top – you’re machine-gun fire. You’re a U-Boat chap with a lot of pep. You’re grand. You’re a German Blitz, the Paris Ritz, an army van. You’re the Nile, an attack by Rommel. You’re the mile that I’d walk for a Camel. I’m a Soviet check, a total wreck – a fluff! But it’s baby: I’m the bottom you’re the top!« Ja, es mag wie eine Art makabrer Humor wirken, Luftangriffe (»German raid«, »Stuka noise«), die Stimme des deutschen Oberbefehlshabers (»Göring’s voice«) und die Stärke der Nazis (»Nazi might«) als Komplimente an die Liebste zu verstehen, im Propagandaministerium aber war man sich sicher, dass solche Texte, die Lässigkeit, mit der der Sänger die deutsche Überlegenheit suggerieren wollte, genauso wie der schmissige Bigband-Sound einschließlich hinreißender Soli und swingender Riffs ihre demotivierende Wirkung der feindlichen Bevölkerung und Truppen nicht verfehlen würde. Was diese Aufnahmen aber wirklich bewirkten bei denen, für die sie bestimmt waren, lässt sich schwer sagen.

      Schwedler hatte als Kabarettist begonnen, und anfangs kam dieser Kabarett-Charakter in seiner Interpretation, dem steifen, so überdeutlich intonierten Sprechgesang, auch klar hervor. Dann aber waren irgendwann Arrangeure beteiligt, denen es durchaus gelang, die Musik und die Texte zusammenzubinden, interessante Klangfarben einzubauen, die Titel eher wie Schlagerkompositionen zu behandeln (in denen Schwedler mehr sang als deklamierte). »Blue Moon« vom Mai 1942, umgetextet zu »Red Star«, ist eingebettet in ein musikalisch gelungenes Swing-Arrangement, in dem auch die Übergänge zum Vokalchorus interessant bleiben. Und »Hold Tight« vom Februar 1943, umgetextet zu »Red Front«, ist ein musikalisch rundherum stimmiges Bigband-Arrangement mit einem großartigen Trompetensolo, wahrscheinlich gespielt vom aus Sizilien stammenden Nino Impallomeni, und einem exzellent zusammenspielenden Saxophonsatz. Von kabarettartigen Ansätzen über eine plump die Gegner verspottende Botschaft bis hin zu stimmigen Arrangements von musikalischem Eigenwert reichte also die Bandbreite dessen, was da ausgestrahlt wurde. Natürlich erkannte, wer immer das hörte, sofort, dass es sich hier um Propaganda handelte. Aber wie es so ist mit Propaganda, egal ob plump oder subtil: Wenn diese auf Ängste und bereits vorhandene Zweifel trifft … vielleicht wirkt sie dann ja auch tiefer.

      »Die Trommel und ihr Rhythmus«

      Es stimmt, für Lutz Templins Orchester spielte die Crème de la Crème der in Deutschland verfügbaren Swingmusiker. Doch waren diese, zumindest in den Propagandaaufnahmen, nur für den professionellen Background verantwortlich und für vereinzelte, immer nur kurze solistische Partien. Was sie wirklich drauf hatten, hört man stattdessen auf Aufnahmen, die ihnen im Rahmen ihrer Arbeit in anderem Umfeld genehmigt wurden – als Tanzorchester Lutz Templin oder insbesondere in kleineren Besetzungen um den Schlagzeuger Fritz Brocksieper, der zwischen 1941 und 1944 um die 30 Titel einspielte, in denen der Bezug auf die afro-amerikanischen Vorbilder nun so gar nicht mehr zu verleugnen war.

      Brocksieper wurde 1912 als Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Griechin in der Türkei geboren und war mit ihnen zum Ende des Ersten Weltkriegs nach München gezogen. In den 1930er Jahren spielte er mit diversen Bands in ganz Deutschland und ging 1939 nach Berlin. Ab Frühjahr 1940 war er Mitglied in Templins Orchester, als solcher wie auch die anderen Musiker der Band als »unabkömmlich« eingestuft worden und damit nicht in Gefahr, eingezogen zu werden. Neben den Aufnahmen von Charlie and his Orchestra ging Brocksieper mit den besten Solisten der Band zwischendurch immer wieder ins Studio und nahm Jazztitel auf, die zum Besten gehören, was in Deutschland in jenen Jahren eingespielt wurde.

      Seine Aufnahmen der Kriegsjahre 1941 bis 1944 stellen vor allem die von ihm bevorzugte kleine Quartettbesetzung heraus. Ob mit Saxophon (Detlev Lais, Teddy Kleindin, Eugen Henkel oder Jean Robert), mit Trompete (Fernando Diaz, Rimus van den Broek oder Nino Impallomeni) oder mit Posaune (Josse Breyre) – gerade diese kleine Besetzung bot den Musikern Gelegenheit, ihr improvisatorisches Können zu zeigen.

      Brocksiepers Tenoristen hatten offenbar alle eine Vorliebe für das Klangideal ihres amerikanischen Kollegen Coleman Hawkins. Diese Vorliebe hört man gleich 1941 bei Detlev Lais. Lais besitzt einen vollen Ton, ist in seinen Phrasen rhythmisch aber oft auch reichlich steif, was besonders im »Brocksi-Foxtrott« vom Oktober 1941 auffällt, den der Schlagzeuger fünf Monate später unter dem Titel »Die Trommel und ihr Rhythmus« noch einmal aufnahm. In der späteren Einspielung spielt Teddy Kleindin zwar technisch nicht so flott wie Lais, swingt aber müheloser. Lais’ Problem liegt vor allem in der Intonation. Sein Sound orientiert sich, wie gesagt, am Klangideal Coleman Hawkins’, in lang gehaltenen Tönen aber – beispielsweise in »So ist es …« vom Oktober 1941 bzw. vom März 1942 – misslingt ihm der dramatische Einsatz des Vibratos, das bei Hawkins und anderen amerikanischen Meistern des Instruments immer auch rhythmisch-swingende Aspekte besaß. Ähnliche Probleme hat anfangs übrigens auch Eugen Henkel. Zumindest in seinen frühen Aufnahmen (»Rampenlicht«, »Habe Vertrau’n«, beide vom August 1942) wirkt sein Vibrato oft zu unkontrolliert eingesetzt. Er spielt schnell, technisch versiert, aber seine Phrasen besitzen kaum melodisches Interesse, wirken wie eingeübte Floskeln, die ohne größeren Sinn für den Gesamtverlauf aneinandergehängt werden. Das wird sich bei ihm in späteren Aufnahmen ändern.

      Das Problem mit dem swing ist übrigens nicht nur eines der Saxophonisten. Fernando Diaz spielt in »Ernst und heiter« vom April 1942 deutlich einstudierte Trompetenphrasen, steht einem Riff-Chorus vor, der rhythmisch etwas misslingt, und zeigt auch ansonsten eine eher unsichere Intonation. Rimus van den Broek ist im Vergleich zu ihm ein erheblich besserer Improvisator. Der Einfluss von Harry James ist beispielsweise in »Mir ist’s so leicht« vom Mai 1942 unverkennbar. Allerdings hat auch er beim Aushalten langer Töne in der Themenexposition zur lyrischen Ballade »Leise klingt’s übers Wasser« vom Mai 1942 Probleme mit dem effektvollen und damit organisch wirkenden Einsatz eines jazz-gemäßen Vibratos. Von den Blechbläsern am hörenswertesten in diesen frühen


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