"Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland. Wolfram Knauer
war ein Monatsengagement in einem Hotel oder großen Ballsaal. Tourneen führten in andere Städte, gern auch durch die Bäder, etwa an der Ostsee. Und auch der Rundfunk sendete regelmäßige Tanzmusikprogramme, die ab Mitte der 1930er Jahre vornehmlich deutsche Ensembles herausstellten.
Jammin’ mit der Goldenen Sieben
Der Trompeter Kurt Hohenberger (geb. um 1915) hatte seine Karriere bei Marek Weber, Dajos Béla und insbesondere Oskar Joost gemacht, mit dem er ab 1933 spielte und der eines der erfolgreichsten deutschen Tanzorchester der Zeit leitete. Vom September 1933 stammt Joosts Aufnahme »Orient Express« mit einem Solo des Xylophonvirtuosen Kurt Engel, ein durchgeplantes Arrangement, in dem einerseits selbst das Posaunensolo deutlich notiert ist, das andererseits mit der Nachahmung von typischen Zuggeräuschen wie dem Rattern der Räder und dem Signal der Dampfpfeife spielt, wie es zur selben Zeit auch Duke Ellington tat (und das schließlich eine kurze, nur leicht verschleierte »Hold that Tiger«-Sequenz aus dem »Tiger Rag« zum Schluss der Aufnahme enthält).
Kurt Hohenberger und sein Solisten-Orchester, um 1937. V. l. n. r.: Kurt Hohenberger, Hans Klagemann, Rudi Wegener, Detlev Lais, Fritz Schultz-Reichel, Ernst Höllerhagen
1934 hatten die Nazis eine Kapelle gebilligt – man mag fast sagen, mitgegründet –, die die Rundfunkhörer davon abhalten sollte, den anglo-amerikanischen Jazz auf ausländischen Sendern zu suchen – etwa im BBC, der jeden Tag pünktlich um 17.15 Uhr (»five fifteen«) die neuesten Hits ausstrahlte, oder auf Kurzwellensendern, in denen man mit etwas Glück die amerikanischen Originale hören konnte.135 Die Goldene Sieben sollte eine Art gemäßigten Swing darbieten, rhythmische, gern auch etwas mitreißende Tanzmusik, die aber die wilderen Exzesse, wie man sie empfand, außen vor ließ. Der Pianist Willi Stech, seines Zeichens Programmleiter des Deutschlandsenders und NSDAP-Mitglied, war zusammen mit dem aus Amerika stammenden, 1932 eingebürgerten Gitarristen Harold Kirchstein Gründer des Ensembles, das sich aus einigen der besten Solisten der großen deutschen Tanzorchester zusammensetzte. Neben Hohenberger gehörten etwa der Klarinettist Franz Thon dazu, der genau wie der Posaunist Erhard Krause und der Geiger Adalbert Luczkowski zuvor im Orchester von Hans Bund tätig gewesen war und der 1936–39 in Teddy Stauffers Saxophonsatz mitwirkte.
Die Goldene Sieben spielte zahlreiche Titel ein und wurde im Rundfunk anfangs als »die neue Tanzkapelle des Deutschlandsenders« angekündigt. 1935 nahm der Sender die Band allerdings aus dem Programm, weil den Verantwortlichen die Musik doch zu amerikanisch klang. Es folgte ein kommerzieller Plattenvertrag mit der Electrola, der die Klausel enthielt, dass das Ensemble nicht öffentlich auftreten durfte. Die Goldene Sieben war im Verlauf der 1930er Jahre auch in Filmen zu sehen und zu hören, insbesondere dann, wenn Teile der Handlung nicht in Deutschland, sondern etwa in New York spielten (etwa Allotria von 1937). Erst mit Kriegseintritt änderte sich das, als dem Regime Besänftigungsfilme wichtiger wurden: Hallo Janine etwa von 1939 mit der Musik von Peter Kreuder (»Musik, Musik, Musik«) und mit Soli des Tenorsaxophonisten Eugen Henkel oder Frauen sind keine Engel von 1942 mit Margot Hielscher und Musik von Theo Mackeben.136
Die Aufnahmen des Septetts wurden oft durch einen Bassisten als achtes Bandmitglied ergänzt, später auch durch geeignete Solisten aus der an professionellen Musikern inzwischen reichen Tanzmusikszene des Landes, den Posaunisten Willy Berking etwa oder die Klarinettisten und Altsaxophonisten Ernst Höllerhagen und Detlev Lais. Die Band spielte Instrumentalarrangements, oft von Georg Haentzschel, der Willi Stech bald auf dem Klavierhocker folgte, begleitete populäre Sänger wie Peter Igelhoff und war in großer Besetzung in einer ganzen Reihe an Spielfilmen zu hören und zu sehen. Die Qualität der Band erkennt man insbesondere in den Instrumentalstücken, in denen ambitionierte Arrangements neben exzellenten Soli zu hören waren.
Oft ist über die Goldene Sieben zu lesen, sie habe wie eine Parodie des amerikanischen Swing geklungen. Aufnahmen wie »Crazy Jacob« und insbesondere »Quartier Latin« vom Dezember 1939 (in großer Besetzung) lassen relaxt swingende Arrangements erkennen, deren Soloparts sich am Jazzideal amerikanischer Swingbands orientieren, um dann aber immer wieder durchs Arrangement eingefangen zu werden. Der »St. Louis Blues«, im November 1936 eingespielt, wird zu einer Art Arrangement-Studie über ein in der Überbetonung der Rhythmik deutlich als exotisch markiertes Thema, wobei in der Aufnahme vor allem Hohenbergers mit Dämpfern gespieltes Solo herausragt. Tatsächlich zeigen Hohenberger, Höllerhagen, Thon und auch Pianist Haentzschel in diesen Aufnahmen ein enormes Verständnis für das Swingfeeling des amerikanischen Jazz der Zeit. In Aufnahmen wie diesen mag man aus der historischen Entfernung gar nicht mehr verstehen, was denn das Deutsche in solchen Interpretationen gewesen sein soll, klingt die Band doch nicht anders als die amerikanischer Kollegen, und zwar nicht etwa die Sweet-Bands, die in den USA eine Art Easy-Listening-Swing spielten, sondern durchaus wie die großen Swingorchester, wenn auch mit etwas weniger Drive. Mit Kriegseintritt wurde die musikalisch freigeistige und weltoffene Haltung, die in diesen Aufnahmen und Interpretationen durchschien, immer kritischer gesehen. Die letzten Aufnahmen der Goldenen Sieben von 1939 zeigen im Vergleich zu den Einspielungen von 1937 eher brave und schlagerartige Arrangements sowie solistische Partien, die vor allem neue Themen einführen oder die Melodie umspielen. Nachdem Haentzschel die Gruppe verließ, bestand sie noch ein paar Monate, dann löste sie sich auf.
Durch seine Mitwirkung in der Goldenen Sieben gehörte Kurt Hohenberger zu den bekanntesten Trompetern dieser Jahre, und so war es kein Wunder, dass er zusammen mit Carl Hohenberger (seinem Bruder), Karl Kutzer und Erich Puckard beauftragt wurde, die Olympiafanfare vom obersten Podest des Berliner Olympiastadions zu blasen.137 Hohenberger erhielt mit eigener Besetzung ein Engagement im Quartier Latin in der Nürnberger Straße, Ecke Kurfürstendamm in Berlin, in dem sich in jenen Jahren Diplomaten aus allen Ländern trafen.138 Mit dieser Besetzung, die auf dem Label als »Solisten-Orchester vom Quartier Latin« angekündigt wird, ging er auch ins Studio und produzierte einige Titel, die nun wirklich swingten wie wenige zuvor. »You’re Drivin’ Me Crazy« vom Oktober 1937 folgt noch über weite Strecken dem originalen amerikanischen Schlager und enthält Soli von Höllerhagen an Klarinette und Geige sowie vom – deutlich an Earl Hines und Teddy Wilson geschulten – Pianisten Fritz Schulz-Reichel. Dagegen kann »Jammin’« vom Dezember 1937 als Musterbeispiel eines spielerischen Jazz dienen, in dem das Zusammenspiel, das Aufeinanderhören, das Freiraum-Lassen und das Spiel mit dem swing so deutlich im Mittelpunkt stehen, dass man die Aufnahme, wüsste man nicht um ihre Entstehung, vielleicht in dieser Zeit, aber gewiss nicht an diesem Ort vermuten würde, an dem sie entstand: Berlin.
In den ersten Kriegsjahren spielte Hohenberger mit seinem Orchester in der Hauptstadt oder im Rahmen von Wehrmachtstourneen auch im besetzten Holland und Frankreich. Als die Reichsmusikkammer am 1. April 1942 das Deutsche Tanz- und Unterhaltungs-Orchester gründete, damit die deutsche Bevölkerung insbesondere in Kriegszeiten nicht die ausländischen Sender einschaltete, um flotte Tanzmusik zu hören, rekrutierte man etliche Musiker aus Hohenbergers Band. Der Trompeter und Bandleader wurde 1943 eingezogen und landete in Kriegsgefangenschaft, aus der er im Februar 1946 zurückkehrte. Er leitete in den späten 1940er und 1950er Jahren noch einige Tanzkapellen, mit denen er sich unter anderem der Mode südamerikanischer Musik widmete, und zog sich um 1960 aus dem Musikgeschäft zurück.139
Hofkonzert im Hinterhaus
Der Saxophonist und Klarinettist Erhard Bauschke (geb. 1912) stammte ursprünglich aus Breslau, hatte Anfang der 1930er Jahre im Orchester des Geigers und Bandleaders José Wolff gespielt und ab 1934 bei James Kok, einem 1902 in Rumänien geborenen Saxophonisten, der sich seit den späten 1920er Jahren als Leiter von Revue- und Operetten-Orchestern einen Namen gemacht hatte. Seit 1933 hatte Kok ein Engagement im Moka Efti in Berlin-Mitte mit voller Bigband-Besetzung, eine Band, die auf Platten gelegentlich als »James Kok’s Jazz Virtuosen« angekündigt wurde und mit der er so auch terminologisch gegen den Versuch des nationalsozialistischen Regimes rebellierte, dem Jazz den Garaus zu machen. Ein Beispiel nicht nur der Qualität, sondern auch der Individualität des James Kok Orchesters ist der Jazzklassiker »Tiger Rag«, eingespielt im Januar 1935, in dem Koks Band sich etlicher