"Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland. Wolfram Knauer


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zu geben.105 Insbesondere der Schlagzeuger, heißt es da, sei zwar »unentbehrlich für die Tanzmusik«, müsse sich aber in der Lautstärke und bei seinen Effekten zurückhalten und auf das Einhalten eines »richtigen Rhythmus« beschränken.

      Man wollte das Volk offenbar mit Nachdruck zur »richtigen« Musik erziehen, denn in derselben Ausgabe findet man einen Artikel des Herausgebers Adalbert Schalin über »Neue Deutsche Tanzmusik« und von Reinhold Sommer einen, in dem er erklärt, wie der deutsche »Tanz der Zukunft« aussehen könne. Es sollte im Februar/März 1934 noch eine weitere Ausgabe des Musik-Echo geben, in dem ein Karikaturist vorhersagt: »1934 wird jeder Kapellmeister größten Wert auf eine kultivierte Konzert- und Tanzmusik legen – ›Det hab’ ich jern.‹«106 Arnd Robert durfte noch einmal den Einsatz des Wah-Wah-Dämpfers in Duke Ellingtons »It Don’t Mean a Thing« erklären,107 doch dann war Schluss. Der jüdische Herausgeber und Besitzer des Schallplattengeschäfts Alberti floh aus Deutschland, und das Musik-Echo musste sein Erscheinen einstellen.

      »Goody Goody« …

      Die Daumenschrauben wurden also angezogen, und in den schriftlichen Angriffen und den vorsichtigen Rückzugsrechtfertigungen der Tanzmusik-Vertreter können wir den schwelenden ästhetischen und kulturpolitischen Kampf gut nachvollziehen. Wie aber sah es mit der Musik aus?

      Anfangs waren es, wie bei Ernst Kreneks Jonny spielt auf, Demonstrationen der Braunhemden oder Stinkbomben im Theater. Peter Kreuder (geb. 1905) konzertierte im Februar 1932 mit seinem 18-köpfigen Jazz-Symphonieorchester in der Münchner Tonhalle mit einem Programm, das Spezialarrangements amerikanischer Jazzschlager enthielt, aber auch eine Komposition von Friedemann Bach, die Kreuder für Jazzgeige, zwei Gitarren und zwei Stimmen arrangiert hatte, sowie Gershwins »Rhapsody in Blue«. Die SA hatte Störaktionen angedroht, und der Völkische Beobachter beschwerte sich nach dem Konzert darüber, »der Dirigent Moritz [!] Kreuder möge sich doch samt seinen Kastratensängern nach Afrika begeben, seine Künste dort zu zeigen, es würde sich aber sicher kein Hottentott finden, ihn dort zu halten«.108

      Am 12. Oktober 1935 sprach der Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky nach einem Entschluss der Intendantentagung in München ein landesweites Sendeverbot für Jazz im Rundfunk aus, oder, um es im Original zu zitieren: »Nachdem wir zwei Jahre lang aufgeräumt haben und Stein an Stein fügten, um in unserem Volke das versammelte Bewußtsein für die deutschen Kulturwerte wieder zu wecken, wollen wir auch mit den noch in unserer Unterhaltungs- und Tanzmusik verbliebenen zersetzenden Elementen Schluss machen. Mit dem heutigen Tag spreche ich ein endgültiges Verbot des Nigger-Jazz für den gesamten deutschen Rundfunk aus.« Drei Jahre später wurde eine Reichsprüfstelle gegründet, die sicherstellen sollte, »ob ein Tanzmusikstück tragbar oder als Jazzmusik abzulehnen ist«.109

      Um den Rundfunkhörern klar zu machen, welche Musik sie auf keinen Fall einschalten sollten, erfand die Reichsmusikkammer das Sendeformat »Vom Cakewalk zum Hot«, das – ähnlich wie wenig später die Ausstellung »Entartete Kunst« – den Hörern die missliebige Musik vor Ohren führen sollte. Die Wirkung war allerdings eher konträr, da etliche Hörer durch solche Aufnahmen überhaupt erst auf den Jazz aufmerksam wurden. Die Musik zur Sendung stammte vom Orchester des Pianisten Erich Börschel (geb. 1907), der nach einer damals nicht unüblichen Karriere zwischen Klassik und Unterhaltungsmusik im Frühjahr 1933 in Königsberg sein eigenes Tanz- und Unterhaltungsorchester gegründet hatte. Wie genau das geklungen hat, was in der Sendung zu hören war, wissen wir nicht, aber der »Wabash Blues«, den Börschel 1935 einspielte, lässt ahnen, dass die Band eine eher klischeehafte Vorstellung von Jazz besaß: Alles ist ausgeschrieben, selbst die als Breaks gedachten Antworten auf das Ensemblethema; scotch-snap-artige Synkopen ersetzen das, was als Offbeat-Phrasierung gedacht war; die Entwicklung des Stücks geschieht nirgends durch solistische Einwürfe, sondern einzig durch die arrangierte Verlagerung der Themenmelodie auf verschiedene Instrumente. Parallel dazu wurde im Rundfunk ein Tanzkapellenwettbewerb ausgerufen, dessen Ergebnisse bei den Hörern allerdings so wenig ankamen, dass Fritz Stege, einer der Mitinitiatoren des Wettbewerbs, schließlich feststellen musste: »Wenn aber eine Einrichtung derart im Volke Wurzeln geschlagen hat wie der Jazz, dann ist es nahezu unmöglich mit Verboten allein Erfolg zu erzielen, wenn man nichts Besseres an die Stelle der Jazzband zu setzen weiß.«110

      Kurze Weltoffenheit: Olympia

      Quasi zeitgleich mit den Versuchen, die Tanzmusik als eine deutsche umzudefinieren und von angeblich fremden und verderblichen Einflüssen zu befreien, beorderte man, wie Peter Köhler, ein Kenner deutscher Jazzgeschichte jener Jahre berichtet, »19 der bekanntesten Kapellmeister nach Berlin. Dort bekamen sie den Auftrag, sich aus Amerika und England die neusten Swing- und Jazztitel zu besorgen.«111 Wie erklärt sich dieser Zwiespalt? Nun, die Olympischen Spiele standen bevor, und Berlin wollte sich – auch musikalisch – als eine weltoffene Metropole darstellen, die London, Paris oder New York in nichts nachstand.

      Teddy Stauffers Original Teddys begannen ihr Engagement im Delphi-Palast am 1. Juli 1936, woran sich Stauffer in seiner Autobiographie erinnert: »Wir kamen einen Monat vor der Eröffnung der Olympischen Spiele an. Die Stadt lebte im Olympiafieber. Unter den Linden, vom Rathaus bis zum Brandenburger Tor, stellten sie schon Fahnenmasten auf. An den Wänden und auf Dächern wurden Scheinwerfer installiert. Im funkelnagelneuen Reichssportfeld wurden die Bänke noch einmal geputzt. Aber nicht nur Sportler, sondern Uniformträger beherrschten das Straßenbild. Jungvolk, Jungmädchen, Hitler-Jugend, Bund Deutscher Mädel, SA, SS, NSKK, NSFK. Es gab nichts mehr, was nicht organisiert und uniformiert war. Wir spielten im Delphi. Das Publikum tobte. Je mehr wir swingten, umso größer war der Beifall. Allerdings bestand unser Publikum aus Zivilisten. Sie machten auf diese Weise deutlich, dass sie mit den Uniformierten nichts zu tun hatten.«112

      Während der Olympischen Spiele von 1936 also ließ das Regime die kulturellen Zügel locker und Musik erklingen, die ansonsten verpönt war. Herb Fleming spielte in der Sherbini Bar, und Bands wie die von Teddy Stauffer und Aage Juhl Thomsen zeigten sich mehr als Jazz- denn als zurückhaltende Tanzorchester.113 Der Saxophonist Teddy Stauffer war 1909 bei Bern geboren worden und hatte in den 1920er Jahren angefangen, in der Schweizer Hauptstadt Jazz zu spielen. 1928 ging er nach Berlin, wo er die Begleitmusik für ein politisch-satirisches Kabarettprogramm besorgte. Bald machten seine Original Teddies Karriere und traten in ganz Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden auf. 1935 ergatterte er ein Engagement in der Bordkapelle für eine Nordlandreise auf der SS Reliance, die am 11. Juni in New York begann und mehrere Monate dauerte. Am 14. Juli 1936 spielte er in Berlin »Goody Goody« ein, das Benny Goodman nicht einmal ein halbes Jahr zuvor aufgenommen hatte und das angesichts des Erfolgs sofort zu Stauffers Titelsong wurde. Tatsächlich sollte man sich Goodmans Originalversion im Arrangement von Henry Woode vor Ohren halten, wenn man Stauffers Interpretation hört. Goodmans Band hat einen antreibenden Drive; das Orchester wird gleich nach dem Thema von der Klarinette des Bandleaders überstrahlt, bevor Helen Ward den Text singt und Goodman zu einem virtuosen Solo als Höhepunkt der Aufnahme ansetzt. Stauffers Fassung ist schon im einleitenden Themenstatement merklich steifer, etwa in den Blechakzenten im letzten Achttakter vor der Modulation zum Gesangsteil. Dieser wird vom Gitarristen und Refrainsänger Billy Toffel ordentlich, wenn auch nicht wirklich glaubhaft übernommen, bevor ein arrangierter Chorus für den Saxophonsatz das Klarinettensolo ersetzt, an das sich beim Vorbild Goodman wohl niemand so recht herantraute. Und dann, in der ersten Hälfte des letzten Achttakters, ist der Arrangeur des Titels, Walter Dobschinski, mit einem kurzen Posaunensolo zu hören, das deutlich aus allem herausragt, was die Band in diesem Titel sonst zu bieten hat: ein selbstsicher-entspanntes Einschleifen in den Ton, ein Bewusstsein dafür, dass swing nicht nur im Setzen der Akzente, sondern auch im Umgang mit dem Sound innerhalb derselben entsteht, ein perfekter Melodiebau und zum Schluss ein leichtes abfallendes Glissando, bei dem man jeden der darin enthaltenen Töne zu hören meint. Vier Takte nur, aber man erkennt in dieser Band, die nach wie vor mit dem so fremden Phänomen des swing zu kämpfen hat, mindestens einen Musiker, der es verstanden hat, der ohrenfällig nicht abliest, sondern seinen Beitrag aus dem Bauch heraus spielt.

      Dobschinski war auf der Nordlandreise ebenfalls in der Band gewesen und hatte in New York den Posaunisten des


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