"Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland. Wolfram Knauer


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auf die Musik, die durchaus nicht für jedermann im Vordergrund stand.

      Die Angst vor schwarzen Menschen

      Menschen mit schwarzer Hautfarbe prägten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht das Straßenbild des Kaiserreichs. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten nur wenige Afrikaner aus den deutschen Kolonien Gelegenheit erhalten, das »Mutterland« zu besuchen.11 Und bis Ende des Ersten Weltkriegs verließen die meisten das Deutsche Reich wieder. 1919 schätzte das Reichskolonialministerium die Anzahl der in Deutschland lebenden Afrikaner aus den ehemaligen Kolonien nur »auf 25 bis 30 Personen«.12 Zur selben Zeit aber traten dunkelhäutige Menschen von anderer Seite in die Lebenswirklichkeit der unterlegenen Deutschen. Im Großen Krieg hatten die Franzosen um die 135 000 Afrikaner aus den französischen Kolonien und noch einmal zwischen 15 000 und 35 000 Soldaten aus Martinique und Guadeloupe gegen die Deutschen eingesetzt, von den US-Amerikanern und von schwarzen Soldaten unter britischer Fahne ganz zu schweigen.

      Im Krieg stellte die deutsche Propaganda schwarze Soldaten rassistisch dar, um an die Ängste einer Bevölkerung zu appellieren, die bislang vor allem »unter sich« geblieben war. Selbst Thomas Mann stimmte bereits 1914 ein, als er es als eine »Beleidigung« bezeichnete, dass die Kriegsfeinde »auf Deutschland Kirgisen, Japaner, Gurka und Hottentotten« losließen.13 Das Wort von der »schwarzen Gefahr« machte die Runde; die Schmähungen waren heftig und zahlreich. Man sah es als Verachtung an, dass die Feinde »Teufel«, »entmenschte Wilde« und »totes Menschengeschmeiß der Wildnisse« einsetzten, und meinte, »nächstens schicke man wohl noch Raubtiere gegen die deutschen Helden«.14 Als nach dem Krieg französische Kolonialtruppen an der Besetzung des Rheinlands sowie des Ruhrgebiets beteiligt waren, verfestigten sich die eh schon vorhandenen rassistischen Vorurteile. Viele in der Bevölkerung empfanden die Anwesenheit afrikanischer Soldaten als »schwarze Schmach«, sie warnten vor Vergewaltigungen, Tropenkrankheiten, der »Mulattisierung europäischer, bislang reinweißer Gebiete«.15 Es gab Broschüren, ja ganze Dissertationen, die sich mit den »gesundheitlichen Auswirkungen der schwarzen Besatzungstruppen« befassten. Frankreich zog seine senegalesischen Truppen im Juni 1920 ab; die meisten der anderen Kolonialsoldaten verließen das Reich bis 1925; 1929 aber waren immerhin noch ca. 1000 schwarze Soldaten in Deutschland stationiert.16

      Um diesen offenen Rassismus insbesondere im Nachkriegsdeutschland muss man wissen, wenn man die Reaktion auf den Jazz hierzulande einordnen will. Die Musik wurde überall in Europa mit einer neugierigen Begeisterung aufgenommen; in Deutschland aber kamen außerdem solche kriegsbedingten Konnotationen hinzu.

      Jazz: Tanz oder Musik?

      Der 1887 in Berlin geborene Journalist und Schriftsteller Franz Wolfgang Koebner beginnt sein Buch Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze von 1921 mit folgenden Worten: »Das dritte Tanzbrevier verdankt sein Entstehen dem Jazz, besser der Jazz Band, denn das, was die Jazz Band spielt, ist meistens ein Shimmy. […] Man tanzt in Europa seit 1917 Jazz. […] Die amerikanischen Truppen, die nach Paris kamen, brachten die Jazz Band, deren im ersten Augenblick grausam rhythmische Melodien musikalisch richtig nur in einer einzigen Schrittart getanzt werden konnten. Bei uns fand der Jazz erst im Dezember 1920 Eingang. Zwar hatten wir schon einmal (im Sommer 1919) eine Jazz Band in Berlin, (eine unserer besten Tänzerinnen, Fern Andra, hatte sie importiert), aber damals war der Boden noch nicht reif. Die wenigen Jazztänzer wurden bestaunt und belacht. 1919 kamen gleich drei Jazz-Bands nach Berlin und fanden bei der großen Zahl der anwesenden Ausländer ›reißenden Absatz‹.«17

      Welche Band die amerikanische Schauspielerin Fern Andra nach Berlin geholt hatte, ist nicht überliefert. Am 12. Dezember 1919 immerhin wurde in Berlin eine der ersten deutschen Schallplattenaufnahmen gemacht, die das Wort »Jazz« im Titel trug. Die Original Excentric Band unter Leitung des wahrscheinlich englischen Bandleaders Frank Groundsell (auf dem Label »Groundzell« geschrieben), der seit 1913 in Berlin lebte, spielte mit ungenannten deutschen und holländischen Mitmusikern den »Tiger Rag. Jazz. One-Step« ein. Die Aufnahme für das Label Homokord folgt zwar der Form des Vorbilds der Original Dixieland Jazz Band, spielt das Stück allerdings in einer Fassung, in der alle Stimmen ausgeschrieben sind und die steife Rhythmik und der ungelenk wirkende Umgang mit den Synkopen eher an die Ragtime-Arrangements erinnern, die bereits seit einigen Jahren in amerikanischen Blaskapellen Mode waren.

      Ansonsten wurde Jazz in dieser Frühphase seiner Rezeption in Deutschland – eigentlich in ganz Europa – vor allem als Modetanz wahrgenommen. Die Deutsche Nachrichten-Agentur berichtet am 4. März 1921: »Der Jazz ist der Modetanz von heute, ein Gliederschütteln und Verrenken, wie man es sonst niemals im Tanzsaal sah. Aber es ist Mode, und zwei amerikanische Filmfabriken haben es sich nicht nehmen lassen, Aufnahmen ›erstklassiger Jazz-Paare‹ zu kurbeln, auf daß wir amerikanische ›Culture‹ in vollen Zügen genießen können. […] Damit aber zur Bewegung nicht die Musik fehle, hat eine Berliner Schallplattenfabrik, die Homophon-Kompagnie, eine Anzahl von ›Jazz-Platten‹ hergestellt, die eine zurzeit in Berlin spielende amerikanische Kapelle, ›The Original Picadilly Four-Jazz Band‹, bespielt hat.«18 Diesem ersten Bericht über eine in Deutschland aufgenommene Jazzplatte folgt allerdings gleich die abschätzige Wertung: »Wie man als gesunder Mensch allerdings an dieser Nigger-Instrumenten-Klopferei Gefallen finden kann, ist rätselhaft.« Der Autor klagt resigniert: »Während die Homocord-Platten mit wundervoller deutscher Musik und in blendender technischer Ausführung kaum Käufer finden, ist die Fabrik kaum imstande, der Nachfrage nach ›Jazz-Platten‹ zu genügen. Auch ein Zeichen der Zeit!«19

      Koebner, der diese Meldung durchaus mit einem Kopfschütteln zwischen den Zeilen zitiert, vertritt eine ganz eigene These, wieso der Jazz so erfolgreich geworden sei: »Die Einführung dieser Jazz-Musik wurde insbesondere durch den Umstand begünstigt, daß die Frontoffiziere sich darüber beklagten, daß, wenn sie wieder in ihre Heimat zurückkehrten, die bei ihrem vorigen Urlaub so mühselig erlernten Tanzschritte bereits veraltet seien. Man behauptete nun, daß die Jazz-Kapellen vermöge des von ihnen in so ausgeprägtem Maße gepflegten eigentümlichen Rhythmus ein Erlernen von neuen Schritten unnötig machten, und die Erfahrung lehrt auch tatsächlich, daß die exotische Musik die Stimmung der Tanzpaare so anregt, daß sogar mittelmäßige Tänzer und selbst unmusikalische Menschen, einmal von dem Rhythmus erfaßt, sich außerordentlich schnell in die neuen Tanzarten hineinfinden.«20

      Dieser Musik haftete also offenbar etwas Magisches an, das die Hörer übermannte. Jazz-Bands, zitiert Koebner Hans Siemsen in einem Aufsatz für die Weltbühne, seien im Zeitalter der Prohibition »Musikkapellen, die einen ohne Alkohol besoffen machen«. Siemsen berichtet, wie er 1913 im Luna-Park von Paris bei einer jener damals herumreisenden »Völkerschauen« erlebte, wie er »vor einem Zelt mit Negermusik« den Musikern zuhören musste, nicht weggehen konnte. Er habe beileibe nicht allein dort gesessen. Auch Picasso sei manchmal da gewesen, »eingeschläfert und süß besoffen, wie vor einem Buddha-Bild«. Das, meint er, seien die Ursprünge des Jazz gewesen, eine »Kreuzung zwischen europäischer Tanz- und amerikanischer Neger- und Nigger-Musik«21. Die Kapelle, die Siemsen beschreibt, sieht ganz anders aus als die Jazzband, die wir von später kennen. Klavier, Geige und Bass nennt der Autor, außerdem »Fagott, Klarinetten, Flöten, Becken, Triangel und Trommeln, Banjo, Harmonika und noch eine ganze Reihe namenloser, höchst phantastischer Instrumente, die alle nicht geradezu Musik; sondern mehr so eine Art von musikalischem Geräusch zu machen imstande sind.«22

      Mitreißende, einlullende Rhythmik, seltsame Instrumente, und dann erst die Musik. Seine Beschreibung fasst so treffend die faszinierende Exotik, die Gleichzeitigkeit von Begeisterung und Befremdung, dass man sie einfach zusammenhängend zitieren muss. »Der dicke Mann, der diese Instrumente bedient, das ist der Geist, der gute Geist der Jazz Band. Er bedient sie beileibe nicht alle auf einmal. Er nimmt mal dies, er nimmt mal das. Er hat einen ganzen Tisch mit Instrumenten, und wenn die nicht ausreichen sollten, so hängen auch noch welche an der Wand. Das Klavier und die Geigen spielen ja auch schon einigermaßen – milde gesagt: uneuropäisch. Aber der dicke Mann übertrifft sie alle. Erst gurgelt er auf einem fagottähnlichen Horn eine ziemlich selbständige Baß-Melodie, ohne sich viel darum zu kümmern, was die Andern eigentlich spielen. Aber dann glaubt er, daß an diese Stelle besser eine Flöte paßt, und er legt sein Horn weg und spielt ein bißchen auf der Flöte. Oder er klingelt mit dem


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