Die Zukunft ist menschlich. Andera Gadeib

Die Zukunft ist menschlich - Andera Gadeib


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um der Technologie willen ist ein schlechter Berater, wie ich meine. Aber noch konkreter werden wir im Kapitel 3 sehen, wann etwas Neues – sei es Technologie oder nicht – überhaupt erfolgreich sein kann. Dort erkläre ich die 4W-Formel, die ich seit einigen Jahren in der Praxis anwende.

      Insgesamt täte es uns gut, viel mehr in Diskurs zu gehen über »gute und schlechte« Digitalisierung. Und über Werte und Ethik, die als Grundlage wie ein ungeschriebenes Gesetz gelten müssten. Hierzu finden Sie mehr im Kapitel 3: Ethik.

       Der gesunde Menschenverstand

      Auch wenn das Digitale fremdes Terrain für Sie sein sollte, will ich Sie ermutigen, einen Urinstinkt auszupacken: Ihren gesunden Menschenverstand.

      Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Methoden der Marktforschung habe ich in all den Jahren von der Pike auf gelernt, hinterfragt und weiterentwickelt. Dazu gehört, wie man Umfragen plant, durchführt und analysiert. Vor allem die Validität, also die Gültigkeit von Ergebnissen, ist seit jeher ein wichtiger Faktor in meiner täglichen Arbeit. Die Frage, die mich ständig begleitet, lautet: Können die Ergebnisse richtig sein?

      Mit meiner Firma Dialego führen wir für Unternehmen Hunderte, manchmal Tausende von Interviews durch und analysieren diese (übrigens immer anonym). Heraus kommt dann bspw., wie die Menschen zur Digitalisierung stehen. Ein Ergebnis: Im Jahr 2018 sagten die wenigsten, dass sie »sehr offen« (nur 18 %) der Digitalisierung gegenüberstehen, die meisten Menschen waren »eher offen« oder »unentschieden«. Das finde ich plausibel. Mein GMV – gesunder Menschenverstand – sagt: »Das kann gut stimmen«, also veröffentliche ich diese Zahlen auch guten Gewissens. Natürlich muss hinter einer solchen wissenschaftlichen Studie mehr stehen als »nur ein Gefühl«. Die Methodik muss stimmen, die Stichprobe, das Auswertungsverfahren etc. Kunden, die uns beauftragen, vertrauen mir und meinem Team, dass wir das ordentlich umsetzen, und dieses Vertrauen nehme ich sehr ernst.

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      Wie stehen Sie zur Digitalisierung?

      Nichtsdestotrotz spielt der Faktor Mensch eine wesentliche Rolle. Der darf sein Gehirn nutzen und im Kontext seiner Erfahrungen und seines Wissens kritisch auf solche Zahlen schauen. So tue ich es auch bei den eigenen Ergebnissen, selbst wenn ich überzeugt bin, dass die Methode der Untersuchung gut und richtig ist.

      Über die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen wird täglich unser gesunder Menschenverstand geschärft. Er lernt übrigens besser als jede Maschine, womit wir uns noch weiter auseinandersetzen werden. Setzen wir ihn also ein. Neuroplastizität nennen Gehirnwissenschaftler die Fähigkeit des Gehirns, mit jeder neuen Erfahrung, die wir machen, neue Verbindungen auszuprägen. Sie ist damit besonders wichtig für uns Menschen.

       Wenn der GMV Alarm schlägt

      In Zeiten des digitalen Wandels erhöhen sich nicht nur Geschwindigkeit und Taktzahl innerhalb von Unternehmen, sondern gerade auch bei denen, die Nachrichten für Fernsehen, Zeitungen oder digitale Kanäle »produzieren«. Dort werden gerne Studien zitiert, um einer Nachricht mehr Gewicht oder ein Fundament zu geben. Manches Mal aber leider nicht mit wissenschaftlich fundierten Methoden, stattdessen gaukelt man vor, »diese 1000 Interviews sind repräsentativ«. Ich will Sie nicht mit Methodik langweilen, aber mir ist wichtig, dass Sie erkennen, welchen Zahlen Sie trauen können und welchen nicht. Schließlich wollen Sie sich ja ein Bild machen und auf eine Information vertrauen können. Wenn Sie Haltung zeigen, dann auch wohlinformiert.

      Aus dem Unternehmensalltag eines Marktforschers kann ich sagen, dass es Anfragen gibt, die lauten: »Hauptsache, Sie liefern 1000 Interviews oder mehr. Dann ist es repräsentativ.« Genau das ist Quatsch, und ich erkläre Ihnen, warum.

      Ein einfaches Beispiel, bei dem Sie vermutlich die Alarmglocken läuten hören: Stellen Sie sich vor, Sie sollen herausfinden, wie viel Wert die Deutschen ganz allgemein auf Biolebensmittel legen. Sie stellen sich an einem Samstagmorgen vor einen Biomarkt im Ort und fragen dort 30 Menschen, wie sie es mit dem Einkauf von Biolebensmitteln halten. Am Abend führen Sie die gleiche Umfrage vor dem Multiplex-Kino Ihrer Wahl durch und erreichen weitere 30 Personen. Am Sonntag setzen Sie sich in Ruhe hin, nehmen sich Ihre Interviews vor, werten die Antworten aus (wie oft wurde welche Antwort gewählt?) und vergleichen die beiden Gruppen, also Biomarkt- und Kinogänger. Was vermuten Sie? Was kommt raus? Ticken beide Gruppen gleich? Vermutlich nicht. In der Gruppe der Biomarktkäufer erhalten Sie vermutlich 100 % Zustimmung, wenn es um die Wichtigkeit von Biokost geht. Vor dem Kino wird der Wert deutlich niedriger liegen. Angenommen, Sie erwischen vor allem studentische Befragte, werden diese möglicherweise urteilen, dass sie aus Kostengründen eher zu konventionellen Produkten greifen. Welche Antworten sind nun »richtig«? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten: Die Stichproben waren nicht ausgewogen und nicht geeignet, etwa eine Aussage über alle Deutschen zu treffen, schließlich sind Sie allein durch die Ortswahl Ihrer Interviews jeweils auf spezielle Zielgruppen getroffen. Im Kapitel 2 werden wir darauf etwas genauer schauen.

      Mit diesem einfachen Beispiel will ich Sie motivieren, Ihren gesunden Menschenverstand einzuschalten, wenn Sie solche Ergebnisse sehen. Lesen Sie nicht nur die Titelzeile. »Biolebensmittel total angesagt« könnte die Überschrift lauten, wenn ein Artikel über Biokäufer geschrieben wird. Es nützt übrigens wenig, wenn Sie Ihre Freizeit so lange vor dem Biomarkt verbringen, bis Sie 1000 Interviews oder gar 10 000 Interviews durchgeführt haben. Das Ergebnis passt immer noch nur für die Biokäufer. Daraus eine Aussage über die gesamte Bevölkerung abzuleiten wäre schlichtweg falsch. Daran ändert eine große Zahl Befragter gar nichts, sondern nur eine ausgewogene und kontrollierte Rekrutierung der Teilnehmer.

      Lesen Sie also weiter, wenn Sie eine Überschrift sehen. Schauen Sie sich an, was im Detail berichtet wird. Wenn eine Studie zitiert wird, hinterfragen Sie diese kritisch. Eine gute Berichterstattung wird Auskunft darüber geben, wie befragt wurde und wie viele Menschen dahinterstehen. Jeder gute Journalist wird kritisch hinterfragen. Sollten Sie journalistisch tätig sein, dann lassen Sie sich nicht vom Druck im Hamsterrad und der Größe einer Stichprobe leiten, sondern überlegen Sie, was Sie veröffentlichen. Schließlich steht Ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel,8 auch wenn wir in Zeiten des Wandels und hohen Drucks sehen, dass reißerische Meldungen sich besser verkaufen mögen.

      Aber was heißt das nun? Ich meine, Sie sollten Haltung einnehmen. Aus Ihrer Rolle und Verantwortung heraus, sei es als Mutter oder Vater, Arbeitnehmer, Manager, Lehrer, Pfleger, Freund … Seien Sie ehrlich mit sich selbst und fragen Sie sich: Kann das sein? Nehmen Sie sich die Zeit, gründlich zu lesen. Haben Sie diese nicht, dann verbreiten Sie bitte keine Meldung. Vergegenwärtigen Sie sich, dass Ihr Gegenüber Ihren Aussagen vertraut.

      Wir werden uns im Verlauf noch mit der Bedeutung von Marken, bspw. als Absender eines Produkts oder einer Dienstleistung, beschäftigen. Allgemein betrachtet ist jeder Einzelne eine »Marke«, ebenso wie Institutionen. Warum es in Zeiten digital schnell verbreiteter (Falsch-) Meldungen so wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben und die eigene Glaubwürdigkeit und Integrität zu wahren, lesen Sie im folgenden Beispiel.

       Wie eine hochintegre Institution zweifelhafte Statistiken verbreitet

      Während ich dieses Buch schrieb, veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das Ergebnis einer Studie auf Twitter: 25 % der Deutschen können in wenigen Worten erklären, was künstliche Intelligenz (KI) bedeutet. Darunter noch ein lustiges Interaktionselement: eine Umfrage. Twitter ist ein 2006 gestarteter Social-Media-Kanal, auf dem mit 1,8 Millionen deutschsprachigen Nutzerkonten vergleichsweise wenige Nutzer aktiv sind. Sie treffen hier überwiegend »Fachpublikum« wie Journalisten, Politiker und Experten ihres Fachs.

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