Tochter des Ozeans. Leinani Klaas

Tochter des Ozeans - Leinani Klaas


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unwohl wurde, sondern die Tatsache, dass ich den morgigen Tag mit ihr und ihren Freunden am Meer würde verbringen müssen. Eiskalt zog sich meine Brust zusammen. Das war Panik, davor, dass ihre Freunde genau so liebenswert und freundlich waren wie Delilah.

      Bevor ich etwas sagen oder mich auch nur wehren konnte, hatte sie sich bei mir eingehakt und zog mich über die immer voller werdende Wiese, hinüber zu ihren Freunden.

      Mit festem Griff bugsierte sie mich an den anderen vorbei und zischte durch die Zähne: »Lass die Finger von Grayson oder du wirst es bereuen! Das verspreche ich dir.« Dann wurde ihre Stimme zuckersüß. »Schaut mal, wen ich gefunden habe. Das hier ist meine kleine Adoptivschwester Clara aus England. Wir nehmen sie morgen mit an den Strand. Sie hat noch keine Freunde hier und ist sonst ganz alleine am Wochenende. Der liebe Grayson hat sich schon ein bisschen um sie gekümmert.«

      Mir war bewusst, dass ich sie mit offenem Mund anstarrte, aber ich konnte nicht fassen, was ich da gerade gehört hatte. Das meinte sie doch nicht ernst?

      Ich blinzelte ein paar Mal verdutzt, dann machte ich mich von ihr los. Gerne hätte ich etwas Schlagfertiges erwidert, aber ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Also hielt ich den Mund und lächelte. Die anderen musterten mich abwartend, neugierig, aber keineswegs herablassend.

      Während wir warteten, beobachtete ich Delilahs Freunde unauffällig.

      Sie waren zu sechst, Delilah und Grayson mitgerechnet, drei Mädchen, drei Jungen. Und ich. Das überflüssige fünfte Rad am Wagen.

      Die beiden Mädchen waren sehr hübsch, aber langweilig, Markenklamotten, glatte Haare und perfekte Gesichter, aristokratische Nasen, großgewachsen und dünn. Zu perfekt, zu glatt. Bea und Demi, fiel mir wieder ein.

      Blond und Brünett. Man hätte sie auch Püppchen A und Püppchen B nennen können.

      Dann wanderte mein Blick weiter zu ihren Freunden. Breiter, großer Körperbau, ganz klar Footballspieler. Gut sahen sie aus, Marke Frauenschwarm und das wussten sie, so selbstbewusst und locker, wie sie dastanden. Der Dunkelhaarige fing meinen Blick auf und zwinkerte mir zu. Sein Grinsen war echt und entblößte eine Reihe schneeweißer Zähne. Als ich sein Lächeln nicht erwiderte, wackelte er mit den Augenbrauen und grinste breiter. Meine Mundwinkel zuckten, als er in die Hände klatschte und rief: »Sie kann ja doch lachen!« Dabei klang er so fröhlich und gut gelaunt, dass ich breiter grinste.

      Vielleicht, ganz vielleicht würde der morgige Tag doch nicht ganz so übel werden. Doch noch immer machte ich mir Sorgen um Jenna und Megan, aber wenn ich ehrlich zu mir war, machte ich mir am meisten Sorgen um Jenna. Mir drehte sich der Magen um, wenn ich daran dachte, dass ihr etwas zustoßen könnte. Ich wünschte mir nichts mehr, als sie hier und jetzt zu sehen und zu wissen, dass es ihr gut ging, dass ihr nichts passiert war. Ich kniff fest die Augen zusammen und versuchte das Schicksal zu beeinflussen. Wenn ich jetzt die Augen aufmache, dann steht sie da drüben. Sie wird hier sein, sobald ich die Augen aufmache! Mit klopfendem Herzen öffnete ich erst ein Auge und dann, enttäuscht, das zweite. Keine Jenna … Weit und breit.

      Es dauerte über zwei Stunden, bis der Schulleiter auf der Lichtung erschien und Entwarnung gab. Jenna stieß endlich zu uns als der Regen wieder aufhörte und die Sonne hinter den Wolken hervorbrach. Ich fiel ihr um den Hals, so erleichtert war ich, sie zu sehen. Sie lachte, während sie mich umarmte und an sich drückte. Fast hätte ich sie nicht mehr losgelassen, so gut fühlte es sich an, sie hier zu wissen. Ich atmete erleichtert ihren Duft ein, während ich mein Gesicht immer noch an ihrer Schulter vergrub. Lavendelseife und Meerwasser.

      Doch dann löste ich mich von ihr und lächelte verlegen. Röte hatte sich auf meine Wangen gestohlen und mein Gesicht fühlte sich ganz heiß an. Peinlich berührt über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch schaute ich weg und hoffte, dass ich mich nicht zu unangemessen verhalten hatte. Doch statt über mich zu lachen, ergriff Jenna nur meine Hand, drückte sie und hielt sie auch weiter fest, während wir durch den Wald zurück zur Schule liefen. Ihre Hand in meiner fühlte sich warm und trocken an und gab mir ein sicheres Gefühl. Verwirrt bemerkte ich, dass mein Herz einen Satz machte. Was hatte das zu bedeuten?

      Der Unterricht fiel aus und wir waren alle froh, nach Hause gehen zu können, um zu duschen und was Trockenes anzuziehen.

      Grayson fuhr mich, obwohl Delilah mir angeboten hatte mich mitzunehmen. Ich traute ihr und ihrer falschen Höflichkeit nicht über den Weg und hielt Abstand zu ihr.

      Erst zu Hause unter der Dusche kam mir der Gedanken, dass an der ganzen Sache etwas nicht stimmte.

      Während ich mir das Shampoo aus den Haaren wusch, überlegte ich, wie eine Tsunamiwarnung aufgehoben werden konnte. Entweder es gab einen Tsunami oder eben nicht. Immerhin hatten wir zwei Stunden im Regen gestanden. Zumindest hätte das Meer doch aufgewühlt aussehen müssen. Oder? Aber als wir die Straße zurückgefahren waren, hatten der Strand normal und das Meer ruhig dagelegen. Zu ruhig. Kaum eine Welle hatte sich geregt. Fast wie ein Spiegel.

      In Gedanken versunken putzte ich mir die Zähne und cremte mich ein.

      Als ich barfuß zurück ins Zimmer tapste, kam die Sonne hinter den Wolken hervor und warf einzelne Lichtstrahlen durchs Fenster. Das Licht brach sich am Staub der im Raum tanzte und malte goldene Kleckse an die Wand und auf den Teppich. Blinzelnd hob ich die Hand, um die Augen gegen das Licht abzuschirmen und spähte aus dem Fenster. Hinter dem Nachbarhaus konnte ich das Meer erkennen, endlos weit bis zum Horizont glitzerte es in der Abendsonne. Die in Rotund Goldtöne getauchte Landschaft wirkte märchenhaft verzaubert, der Wind spielte mit den Blättern in den Bäumen und als ich das Fenster öffnete, meinte ich das ferne Rauschen der Wellen zu hören. Nur ins Badetuch gewickelt stand ich da. Eingenommen von dem Moment ließ ich die Eindrücke auf mich wirken.

      Da hörte ich es wieder. Einen Gesang, überirdisch schön, nicht von dieser Welt, fremd und doch so unendlich vertraut, dass es mir im Herzen wehtat und ich ein solches Heimweh verspürte, dass ich die Hand auf die Brust drücken musste, weil ich das Gefühl hatte, auseinander zu fallen.

      Die fremdartigen Töne zogen mich in ihren Bann, mir schien es, als sei ich kurz vorm Ersticken gewesen und könnte jetzt plötzlich wieder frei atmen. Das Lied durfte nicht aufhören, sonst starb ich. Ich wollte der Stimme folgen, ihr entgegenlaufen, wollte alles dafür tun, nur, um sie weiter singen zu hören. Ich musste es. Ich hatte keine Wahl. So fest verankert war dieses Wissen, dass nichts mehr von Bedeutung war. Ich schwebte wie auf Wolken, spürte den Wind in meinem Gesicht und fühlte mich frei, frei, frei…

      »Clara! Was zum Teufel tust du da? Komm da runter! SOFORT« Hände packten mich grob, zerrten an mir, zogen mich fort. Das Lied brach ab und die Stille, die darauf folgte, war so ohrenbetäubend, dass mein Trommelfell fast platzte.

      »NEIN!«, zischte ich laut und schlug nach den Händen. Ich war so wütend und enttäuscht. Was hatten sie getan? Als ich jetzt die Augen öffnete, drehte sich das Zimmer um mich und ich sackte zur Seite. Wieder packten mich die Hände und ich stieß gegen eine breite Brust.

      »Meine Güte, was ist denn los mit dir, Kind?«

      Die Stimme war dicht an meinem Ohr und ich musste den Kopf wenden, um ihren Besitzer zu sehen. Dan! Er starrte mich mit großen Augen an und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich nur ein Badetuch anhatte. Verlegen richtete ich mich auf, zog an dem Tuch und merkte, wie ich rot wurde.

      »Ich… Ich weiß nicht. Tut… Tut mir leid, Dan!«, stotterte ich.

      »Liebes, du wärst beinahe aus dem Fenster gefallen. Im Badetuch! Kannst du mir das bitte erklären?« Mit gerunzelter Stirn schaute er mich an. Sein Blick wirkte ehrlich besorgt.

      »Mir war nur schlecht. Die ganze Aufregung heute in der Schule, das war einfach zu viel. Ich habe keine Luft mehr bekommen und mich aus dem Fenster gebeugt. Tut mir wirklich leid. Das war idiotisch von mir.« Bitte, bitte frag nicht weiter nach.

      »Willst du darüber reden? Ich meine, wenn du angezogen bist? Ich kann uns eine Kanne Tee kochen und wir zwei setzen uns zusammen auf die Terrasse« Sein vorsichtiger Ton, um mich ja nicht zu bedrängen, löste etwas in mir. Ich nickte und brachte ihn damit zum Lächeln.

      »Dann


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