Tochter des Ozeans. Leinani Klaas

Tochter des Ozeans - Leinani Klaas


Скачать книгу
dass ständig jemand kam oder ging. Aber vermutlich ist es schon ungewöhnlich. Wir sind da.«

      Jetzt erst bemerkte ich, dass wir direkt vor unserem Haus standen. Ich musste wirklich mehr auf meine Umgebung achten.

      »Also bis morgen dann.«

      Jenna kam auf mich zu und umarmte mich. Ich wollte mich bei ihr bedanken, aber die Umarmung brachte mich durcheinander. Wie gut es tat, umarmt zu werden und Zuneigung zu spüren.

      Ich fühlte wieder eine Wärme in mir aufsteigen, die nichts mit den noch sommerlichen Temperaturen zu tun hatte und schloss die Augen. Und in diesem Moment hasste ich ihn mehr denn je. All das hatte er mir genommen und mein Leben acht Jahre lang zur Hölle gemacht. Die Jahre nach meiner Flucht waren ebenfalls kein Zuckerschlecken gewesen, die Therapien und Gespräche, in denen ich alles noch einmal hatte durchleben müssen, waren beinahe so schlimm gewesen wie die Tat selbst.

      Und doch stand ich hier, war frei und am Leben, ich hatte es geschafft und nichts und niemand würde mir diese zweite Chance kaputtmachen. Auch nicht Delilah! Ich würde sie weitestgehend ignorieren und mich sonst von ihr fernhalten. Ich wollte keinen Stress mehr in meinem Leben. Den versuchte ich hinter mir zu lassen, jetzt war ich an der Reihe mein Leben so zu gestalten, wie ich es wollte.

      Abends im Bett, als nur noch die Leselampe brannte und ich mein Stimmungstagebuch schrieb, kehrten meine Gedanken zu Jenna zurück.

      Ob sie mich jetzt für verrückt hielt? Bestimmt. Besonders normal hatte ich mich schließlich nicht verhalten. So ein Zusammenbruch musste doch seltsam auf sie gewirkt haben. Aber trotzdem war sie nicht von meiner Seite gewichen, hatte mich nach Hause begleitet und sogar mit mir gelacht. Ich hoffte sehr, dass dieses Mädchen meine Freundin werden würde. Aber ich war nicht so gut in Mädchenfreundschaften und wenn ich ehrlich war, kam ich generell nicht besonders gut mit Gleichaltrigen zurecht. In der Psychiatrie hatte ich keine Freunde gehabt. Nur welche, mit denen ich ab und zu mal Karten gespielt hatte.

      Ich war dementsprechend unerfahren auf dem Gebiet und stellte mich sicherlich nicht gerade geschickt an, bei dem Versuch Freunde zu finden. Ich seufzte. Es war schön, jemanden zum Reden und Lachen zu haben und ich wusste, dass ein Teil von mir sich danach sehnte, Freundschaften zu schließen. Der Teil, der nie Liebe und Zuneigung erfahren hatte.

      Während ich versuchte einzuschlafen, kreisten meine Gedanken um Megan und Jenna. Meine vielleicht Freunde. Das Erlebnis am Strand hatte ich so gut wie vergessen und das verdankte ich nur Jenna.

      Ich freute mich sehr drauf, sie wieder in der Schule zu sehen.

      KAPITEL 4

      Uranos - Himmel in Göttergestalt,

      erster Herrscher über die Welt,

      Erstgeborener der Gaia

      Am nächsten Morgen war ich spät dran, da ich vergessen hatte, meinen Wecker zu stellen. Ich war müde und die Panikattacke von gestern steckte mir noch in den Knochen. Außerdem hatte mich in der Nacht ein altbekannter Albtraum geplagt und ich war schweißgebadet aus dem Schlaf erwacht. Delilah war auch nicht besonders hilfreich, sie wartete ungeduldig an der Haustür und tippte nervtötend mit der Schuhspitze auf den Boden, während ich meine Jacke anzog. Was für eine furchtbare Person.

      Als wir im Auto saßen und außer Hörweite ihrer Eltern waren, sagte sie: »Das nächste Mal, wenn du so spät bist, lass ich dich einfach stehen. Dann kannst du schauen, wie du zur Schule kommst. Hörst du?«

      »Mach nur. Aber ich glaube, deine Eltern wären darüber nicht so begeistert.«

      »Drohst du mir?«, fragte sie ungläubig.

      »Du drohst doch mir, Delilah. Glaub bloß nicht, dass ich mich einschüchtern lasse«, fauchte ich.

      Meine guten Vorsätze, sie einfach nicht zu beachten, waren schwerer einzuhalten als gedacht.

      Ich biss die Zähne zusammen und gab mein Bestes, meine Emotionen im Zaum zu halten. Zwar ließ ich mich von ihr nicht fertigmachen, aber sie machte mich wütend. Ich knirschte mit den Zähnen, um ihr nicht noch einen patzigen Spruch an den Kopf zu knallen. Plötzlich wehte ein heftiger Windstoß durch das offene Autofenster und brachte Delilahs Frisur durcheinander.

      Sie schaute mich böse an, als wäre es meine Schuld, sagte aber zum Glück nichts mehr. Ich war mir dennoch nicht sicher, ob das Thema schon erledigt war. Delilah war sicher kein Mädchen, das so was auf sich sitzen lassen würde. Sie plante wahrscheinlich schon ihre Rache und leider musste ich eingestehen, dass ich mich auch nicht sehr viel netter verhielt.

      Jenna und Megan waren derselben Meinung, nachdem ich ihnen in Mathe davon erzählte. Megan schien sich allerdings mehr über unsere Auseinandersetzung zu freuen, als sich Sorgen um mich zu machen.

      »Endlich jemand, der ihr die Stirn bietet. Delilah hat es dringend nötig, dass sie mal in ihre Schranken gewiesen wird. Danke, Clara. Du hast ja keine Ahnung, was für eine Genugtuung du mir damit verschaffst.«

      Beim Reden flogen ihre Hände wild durch die Luft und sie unterstrich jedes Wort mit einer Geste, dabei hüpften ihre Locken auf und ab und sie grinste uns breit an. Jenna zuckte nur mit den Schultern, als ich sie verblüfft anschaute, als wollte sie sagen: Tja, so ist sie halt.

      »Versprich mir, dass du ihr eine verpasst, wenn sie dich wieder dumm anmacht. Also verbal meine ich. Natürlich. Du sollst sie ja nicht schlagen. Was macht ihr eigentlich am Wochenende? Meine Eltern schleppen mich wieder zu so einem Guru in die Berge, damit wir unsere Seelen von den Strahlungen reinigen können oder so. Nach dem letzten Mal hatte ich fast eine Woche Verstopfung, hoffentlich passiert das nicht wieder. Das ist echt nervig, kann ich euch sagen. Also nicht die Verstopfung, sondern das Wochenende irgendwo in der Pampa des Tillamook State Forest. Obwohl die Verstopfung auch nervig war.«

      Ich hatte Schwierigkeiten Megans abrupten Gedankensprüngen zu folgen, doch da sie keine Antwort von uns zu erwarteten schien, ließ ich sie weiterreden und meine Gedanken wanderten zu dem seltsamen Ereignis von gestern Nachmittag. Ob da wirklich jemand gewesen war, der mich berührt hatte? Beinahe fühlte ich wieder die Hände auf mir. Es schüttelte mich am ganzen Körper und nur mit Mühe schaffte ich es, nicht die Arme um mich zu schlingen und mich nervös umzusehen. Einerseits hoffte ich, sie mir nur eingebildet zu haben, aber auf der anderen Seite hätte es mir Angst gemacht, wenn meine Fantasie mir so lebhafte Streiche spielen konnte.

      »Alles in Ordnung, Clara?«.

      Jenna berührte mich sanft am Oberarm und ich zuckte erschrocken zusammen. Ohne es gemerkt zu haben, war meine Hand zu meiner Wange gewandert und hatte die Stelle betastet, an der ich gestern vermeintlich eine Berührung gefühlt hatte.

      »Ja, alles gut«, versicherte ich ihr leise, vermied es aber in ihre Augen zu schauen.

      »Kommt, wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät zu Mister Vernon.«

      In den folgenden Tagen hielt ich möglichst viel Abstand zu Delilah und verbrachte die Mittagspausen mit Jenna und Megan. Mein Wunsch schien sich zu erfüllen, denn die beiden ließen sich von meinem oft sehr verschlossenen Verhalten nicht abschrecken und setzten sich im Unterricht immer an die Tische neben mir. Während Megan meistens die Alleinunterhalterin spielte und von ihrer verrückten, alternativen Familie erzählte, lächelten Jenna und ich uns, über den Tisch in der Cafeteria hinweg, an. Zu ihr fühlte ich eine besondere Bindung und war, wegen ihrer ruhigen und einfühlsamen Art, gerne in ihrer Nähe. Manchmal verspürte ich den Wunsch, mich ihr anzuvertrauen, doch dann plagten mich die Zweifel, ob ich sie damit verschrecken würde. Auch vom Meer hielt ich mich fern, denn den Montagnachmittag hatte ich noch nicht ganz verarbeitet und konnte auf weitere Anfälle gut verzichten.

      Ich lernte, las, traf mich hin und wieder mit Megan und Jenna in der Eisdiele im Städtchen und verbrachte ungewöhnlich viel Zeit mit Dan im Garten. Er war richtig naturbegeistert und pflegte im Garten, hinter unserem Haus, besondere Blumenarten und hatte sogar ein kleines Gewächshaus, in dem er gerade versuchte


Скачать книгу