Obdachlosigkeit in Kommunen. Eugen Ehmann
2.1 Notwendige Unterscheidungen
Zwischen den nur scheinbar identischen Begriffen „nichtsesshaft – wohnungslos – obdachlos“ muss eine Gemeinde sehr genau unterscheiden. Der Grund: Nichtsesshaften muss die Gemeinde nur sehr eingeschränkt helfen, lediglich Wohnungslosen überhaupt nicht, tatsächlich Obdachlosen dagegen immer.
Auch die Begriffe „obdachlos“ und „mittellos“ dürfen nicht vermengt werden. Sicher sind viele Obdachlose auch mittellos – aber keineswegs alle!
Der Begriff „Wohnungsnotfälle“ vermag den Blick für soziale Hintergründe zu schärfen, eignet sich aber nicht als rechtliche Abgrenzung dafür, wann eine Gemeinde eingreifen muss.
Beim Begriff des Obdachlosen denkt man zunächst meist an die im Volksmund so genannten „Penner“ (Landstreicher, Sandler, Tippelbrüder, Berber1), also Personen ohne feste Unterkunft, die von Ort zu Ort ziehen. Gerade diese Personen gelten aber im Rechtssinn normalerweise nicht als obdachlos.2 Zu den Obdachlosen zählt nämlich nur, wer sich um eine dauerhafte Unterkunft bemüht. Genau daran fehlt es beim Nichtsesshaften aber typischerweise. Er gibt sich damit zufrieden, bei Bedarf (etwa in kalten Nächten) kurzzeitig ein Dach über dem Kopf zu haben. Mehr verlangt er gar nicht.
Ein Nichtsesshafter wird erst dann zum Obdachlosen, wenn er glaubwürdig erklärt, dass er die nicht sesshafte Lebensweise aufgeben will und nach einer dauerhaften Unterkunft sucht. Dann muss ihn die Gemeinde an sich, also rein rechtlich gesehen, wie jeden anderen Obdachlosen behandeln und ihn unterbringen. In der Praxis funktioniert das regelmäßig nicht. Meist will ein Nichtsesshafter diese Lebensweise erst beenden, wenn er jahrelang so gelebt hat, sich nur noch schwer in andere Verhältnisse einfügen kann und gesundheitlich angeschlagen ist. Diese Situation verlangt besondere Hilfen, etwa die Unterbringung in einer Wohneinrichtung mit Betreuung. Die Sozialämter vermitteln solche Einrichtungen.3
Nichtsesshaften in akuten Notsituationen (etwa bei starker Kälte) muss die Gemeinde durch eine vorübergehende Unterkunft helfen („Schlafstatt“). Eine solche kurzfristige Notaufnahme etwa in Kälteschutzräumen bei strengem Frost betrifft Personen, die gerade nicht obdachlosenrechtlich unterzubringen sind.4 Obdachlose haben dagegen Anspruch auf ganztägige Unterbringung (→ siehe Teil 3.1.2.1).
Wohnungslos und obdachlos ist nicht dasselbe, obwohl die Begriffe im alltäglichen Sprachgebrauch oft gleichgesetzt werden.5 Wohnungslos ist jeder, der nicht über Räume verfügt, an denen er ein Nutzungsrecht hat und die zum Wohnen (also vor allem zum Aufenthalt, Schlafen, Kochen und Essen) geeignet sind. Wohnungslos können auch Personen sein, die zum Beispiel gefälligkeitshalber von Verwandten oder Freunden aufgenommen wurden. Sie haben zwar keine Wohnung, aber sehr wohl ein Obdach.
Obdachlosigkeit bedeutet dagegen im Ergebnis, dass der Betroffene gegen seinen Willen auf der Straße steht.
Eine bundesweit verwendbare Definition des Begriffes „obdachlos“ findet sich in Ziffer 2.1 der bayerischen Empfehlungen für das Obdachlosenwesen.6
Demnach ist obdachlos, wer
– akut keine Unterkunft hat (Fallgruppe 1),
– vom Verlust seiner gegenwärtigen Unterkunft bedroht ist (Fallgruppe 2),
– lediglich eine menschenunwürdige Unterkunft hat (Fallgruppe 3).
Hinzukommen muss außerdem bei allen drei Fallgruppen, dass der Betroffene diesen Zustand aus eigenen Kräften nicht ändern kann, die Hilfe durch Selbsthilfe also nicht möglich ist.
Die praktische Bedeutung der drei Fallgruppen ist recht unterschiedlich:
Fallgruppe 1 (akutes Fehlen einer Unterkunft) ist nicht allzu häufig. Typisch erscheint dabei der Fall des jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre alt), der bisher bei den Eltern gewohnt hat und nach einem Streit hinausgeworfen wurde.
Fallgruppe 2 (drohender Verlust einer gegenwärtig noch vorhandenen Unterkunft) tritt zahlenmäßig am häufigsten auf.
Standardfall: Nachdem es zu Mietrückständen gekommen ist, klagt der Vermieter beim Amtsgericht erfolgreich auf Räumung der Wohnung. Die Räumung durch den Gerichtsvollzieher steht bevor. Hiervon sind häufig (aber keineswegs nur!) Familien betroffen.7
Fallgruppe 3 (zwar vorhandene, aber menschenunwürdige Unterkunft) tritt am seltensten auf.
Im Einzelfall kann sie aber auch Personen treffen, die kaum je daran denken würden, obdachlos zu werden.
Beispiel
Ein Wohngebäude erweist sich überraschend als asbestverseucht und muss wegen Gesundheitsgefährdung sofort geräumt werden. Solche Fälle sind selbst schon in Villenvierteln vorgekommen. Es ist davon auszugehen, dass sich Villeninhaber durchweg selbst helfen können, eine dort in einem Dachzimmer wohnende Hausangestellte möglicherweise aber nicht.
Keineswegs alle Obdachlose sind auch mittellos! Die Gleichsetzung von „obdachlos“ und „mittellos“ ist unzutreffend. Zu ihr kommt es vor allem deshalb, weil der allgemeine Sprachgebrauch fälschlicherweise den nicht arbeitenden herumziehenden Nichtsesshaften als den typischen Obdachlosen ansieht. Das wurde schon oben kritisiert. Eine solche Vermengung der Begriffe kann für eine Gemeinde finanziellen Schaden nach sich ziehen:
■ Ist ein Obdachloser tatsächlich mittellos, so wird er im Allgemeinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 27 SGB XII) haben. In diesem Fall kann die Gemeinde erreichen, dass ihr der zuständige Sozialhilfeträger die Kosten für die Unterkunft des Obdachlosen erstattet.8
■ Verfügt der Obdachlose dagegen über ausreichende eigene Mittel, wird ihm der Sozialhilfeträger keine Hilfe gewähren. In diesem Fall kann die Gemeinde die Kosten für die Unterkunft nur gegenüber dem Obdachlosen selbst geltend machen. Das sollte sofort geschehen, um Forderungsausfälle zu vermeiden.
In ihrem eigenen Interesse sollte die Gemeinde immer darauf achten, ob der Obdachlose über eigene Mittel verfügt oder nicht. Sonst kann folgende Situation eintreten: Der Sozialhilfeträger verweigert die Übernahme der Kosten. Der Obdachlose wiederum hat die Mittel, über die er beim Eintreten der Obdachlosigkeit noch verfügte, in dem Zeitpunkt, zu