Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente. Thomas Weck
dasselbe wie im Fall der Wertpapierleihe.
2. Wirtschaftliche Funktionen
a) Allgemeines
Wertpapierleihen und Rückkaufvereinbarungen können in vielen Fällen dadurch voneinander unterschieden werden, dass Erstere dem Interesse des Entleihers an einer zeitweiligen Beschaffung von Wertpapieren dienen, Letztere dagegen der Liquiditätsbeschaffung.464 Die Marktteilnehmer sind aber nicht daran gehindert, auch etwa eine Wertpapierleihe nach Bedarf als Kassaverkauf kombiniert mit einem gegenläufigen Termin-Kauf auszugestalten.465
Die Finanzmarktteilnehmer können Wertpapierleihen z.B. einsetzen, um die Abwicklung von Wertpapiergeschäften zu vereinfachen. Das ist etwa der Fall, wenn eine viele verschiedene Positionen haltende Wertpapierfirma Spitzen mit geliehenen Papieren ausgleicht.466 Der Abschluss von Rückkaufvereinbarungen dient häufig Finanzierungszwecken.467 Wertpapierleihen, auch in der Ausgestaltung als Rückkaufvereinbarungen, können aber auch eingesetzt werden, um ähnliche Ziele wie mit Derivatkontrakten zu verfolgen. Hierauf ist im Folgenden näher einzugehen.
b) Spekulativer Einsatz in Verbindung mit Leerverkäufen
Eine besonders wichtige Rolle spielt die Wertpapierleihe im Rahmen von Leerverkäufen (short sales). Diese eröffnen dem Entleiher von Eigen- oder Fremdkapitalinstrumenten die Möglichkeit, von sinkenden Kursen profitieren, indem er die Instrumente in einem ersten Schritt verkauft und in einem zweiten Schritt später zurückkauft, um sie an den Lieferanten zurückzugeben. Leerverkäufe eignen sich damit in besonderer Weise zur Spekulation.
Der Leerverkauf kann entsprechend dem zuvor Ausgeführten als Kassageschäft oder – bei zukünftiger Lieferpflicht zum Terminkurs – als unbedingtes bzw. bedingtes Termingeschäft ausgestaltet sein. In ähnlicher Weise können Transaktionen mit Kreditderivaten und insbesondere mit CDS eingesetzt werden. Denn CDS können ohne Weiteres so strukturiert werden, dass die Unterschreitung eines bestimmten Kurses als Kreditereignis definiert wird und die Differenz vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer ausgezahlt wird.468 Wichtig ist also weniger die tatsächliche Ausgestaltung der Transaktion als vielmehr das wirtschaftliche Ergebnis.
Das entscheidende Merkmal eines Leerverkaufs von Eigen- oder Fremdkapitalinstrumenten ist das fehlende „Eigentum“ des Verkäufers. Der Begriff hat im vorliegenden Zusammenhang – soweit er rechtlich verwendet wird – eine eigene Bedeutung. Im EU-Recht umfasst er gleichermaßen das rechtliche wie auch das wirtschaftliche Eigentum.469 Das wirtschaftliche Eigentum liegt bei demjenigen, der das mit dem Erwerb eines Finanzinstruments verbundene wirtschaftliche Risiko (Marktpreis- bzw. Kursrisiko) trägt.470 Das U.S.-Recht definiert in Bezug auf Leerverkäufe mehrere Fallgruppen, in denen das Eigentum an einem Finanzinstrument anzunehmen ist, d.h. rechtliches Eigentum, unbedingte Kaufverpflichtung, Ausübung eines Wandel- oder Optionsrechts (option/warrant) oder Eintritt der Lieferbedingung über das Finanzinstrument in einem Futureskontrakt.471 Es handelt sich also um Fälle, in denen auch wirtschaftliches Eigentum im Sinne des EU-Rechts naheliegt. Zusätzlich setzt das Eigentum im Sinne des U.S.-Rechts in den genannten Fällen im Grundsatz voraus, dass der Verkäufer über eine Nettokaufposition (net long position) an dem Finanzinstrument verfügt. Bei broker-dealers gibt es jedoch weitergehende Eigentumsfiktionen.472
Ein Leerverkauf ist somit dann zu bejahen, wenn der Verkäufer zum Zeitpunkt des Eingehens der Verkaufsvereinbarung die betreffenden Eigen- oder Fremdkapitalinstrumente nur „geliehen“ hat oder eine Vereinbarung getroffen hat, diese zu „leihen“, um sie bei der Abwicklung zu liefern.473 Dagegen ist ein Leerverkauf zumindest nach EU-Recht zu verneinen, wenn Finanzinstrumente verkauft werden, die im Rahmen einer Wertpapierleihe auf den Entleiher oder im Rahmen eines Rückkaufgeschäfts auf den Käufer/Wiederverkäufer temporär übertragen werden. Denn diese Übertragung ist von vornherein dadurch zeitlich begrenzt, dass sich der Empfänger verpflichtet, die erhaltenen oder entsprechende Papiere nach Ablauf des vereinbarten Zeitraums gegen Entgelt auf die Gegenseite zurück zu übertragen.474 Dasselbe gilt für den Verkauf im Rahmen eines Future-Kontrakts oder für einen sonstigen Verkauf von Finanzinstrumenten, die vor dem Verkauf erworben und noch vor Lieferung wieder verkauft werden.475 Auch der Verkauf von Finanzinstrumenten, die aufgrund der Ausübung einer Option oder eines ähnlichen Anspruchs geliefert werden, stellt rechtlich gesehen keinen Leerverkauf dar. Voraussetzung ist aber jeweils, dass die Lieferung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die fälligkeitsgerechte Abwicklung des Geschäfts gewährleistet ist.476 Die Regelungen im U.S.-Recht weichen hinsichtlich der nicht als Leerverkauf anzusehenden Transaktionen und auch hinsichtlich der Vorgaben, inwiefern Leerverkäufe mit Wertpapierleihen verbunden werden können, zum Teil ab.477
Eine Verbindung von Wertpapierleihe und Leerverkauf ist grundsätzlich etwa dann möglich, wenn ein Entleiher ihm überlassene Finanzinstrumente auf den Transaktionspartner eines Leerverkaufsgeschäfts überträgt, um seine Lieferpflicht aus dem Leerverkauf zu erfüllen.478 Bei Wertpapierleihen, die mit Leerverkäufen verbunden sind, kann es zudem dazu kommen, dass rechtliches und wirtschaftliches Eigentum auseinanderfallen.479 Dies wird im EU-Recht etwa dann relevant, wenn beide Parteien der Wertpapierleihe einen (ungedeckten) Leerverkauf tätigen. Dann ist nach der einschlägigen Delegierten EU-Verordnung aufgrund des nationalen Rechts zu bestimmen, wer Eigentümer im Sinne der EU-Leerverkaufsregelungen ist. Die deutsche Rechtslage ist für diesen Fall unklar.480 Im U.S.-Recht werden die sich im EU-Recht stellenden Fragen, soweit ersichtlich, gar nicht diskutiert. Dies mag daran liegen, dass Leerverkäufe dort regulatorischen Beschränkungen unterliegen, die parallele Leerverkäufe beider Parteien einer Wertpapierleihe von vornherein erschweren.
c) Einsatz zur Absicherung oder zur Arbitrage
Wertpapierleihgeschäfte und Rückkaufvereinbarungen können ebenso wie Derivatkontrakte auch zu Absicherungszwecken oder im Rahmen von Arbitragegeschäften eingesetzt werden. So kann sich ein Finanzmarktteilnehmer z.B. Eigen- oder Fremdkapitalinstrumente leihen, um damit die Erfüllung sonstiger Liefer- oder Zahlungsverpflichtungen abzusichern (hedging). Ein Anleger kann sich durch Wertpapierleihe auch Anteile eines bereits gehaltenen Aktienwertes beschaffen und diesen Wert leer verkaufen. Eine solche Transaktion bringt ihn zugleich in eine Verkäufer- (long) und eine Käuferposition (short), sodass für ihn bei identischem Umfang der Positionen der Wertpapierkurs zurzeit des Leerverkaufs eingefroren wird (short against the box).481 In diesem Fall wird die Wertpapierleihe zu Absicherungszwecken mit einem Leerverkaufsgeschäft verbunden.
Des Weiteren können Wertpapierleihen oder Rückkaufvereinbarungen dazu genutzt werden, um Kursdifferenzen zwischen den Aktien- und Terminmärkten auszunutzen. Eine problematische Arbitragestrategie verfolgte mit einer bilanzrechtlichen Zielsetzung bis zur jüngsten Finanzkrise z.B. Lehman Brothers Inc. im Rahmen von so genannten Repo 105-Transaktionen.482
3. Risiken beim Einsatz
Die Risikobeurteilung wird bei Wertpapierleihen und Rückkaufvereinbarungen stark vom wirtschaftlichen Kontext bzw. vom Einsatzzweck der Transaktion beeinflusst. Dabei können auch Folgetransaktionen unter Nutzung der zeitweise überlassenen Finanzinstrumente Bedenken auslösen. Es ist somit zwischen den Risiken der Wertpapierleihe bzw. Rückkaufvereinbarung und den Risiken der damit verbundenen Transaktionen zu unterscheiden.
a) Risiken der Wertpapierleihe/Rückkaufvereinbarung
Wertpapierleihen und Rückkaufvereinbarungen unterscheiden sich in Hinblick auf die damit verbundenen Risiken. Denn zumindest bei unbesicherten Wertpapierleihen trägt allein der Verleiher ein Ausfallrisiko, nämlich das Kreditrisiko des Entleihers. Bei Rückkaufvereinbarungen ist das Ausfallrisiko dagegen grundsätzlich auf beide Transaktionspartner verteilt.483 Sofern diese – wie häufig – die Stellung von Sicherheiten vereinbart haben, können dadurch die Ausfallrisiken aus der eigentlichen Transaktion vermindert werden, je nach Ausgestaltung allerdings