Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
Formelle Rechtmäßigkeit
– Zuständigkeit (örtliche, sachliche)
– Verfahren, Form
III. Materielle Rechtmäßigkeit
– Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
– Besondere Verfahrensvorschriften
– Adressatenregelung
– Rechtsfolge, Bestimmtheit, Ermessen und Verhältnismäßigkeit
IV. Ergebnis
Erst die Grundrechtsbetroffenheit erzeugt ein Legitimationsbedürfnis. Liegt ein Grundrechtseingriff nicht vor, handelt es sich um sog. „schlicht-hoheitliches Handeln“. Es bedarf dann keiner gesetzlichen Eingriffsgrundlage. In diesem Fall reicht eine Aufgabenzuweisung aus. Zu prüfen ist dann (nur) die Zuständigkeit (formelle Rechtmäßigkeit). Es ist also zwingend zu klären, ob ein Eingriff vorliegt oder ob (nur) schlicht-hoheitliches Handeln vorliegt.11 Unter formeller Rechtmäßigkeit werden mithin alle rechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Zustandekommens, unter materieller Rechtmäßigkeit die Anforderungen an den Inhalt staatlicher Maßnahmen geprüft. Die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen ermöglicht dabei einerseits eine übersichtlichere Darstellung und trägt andererseits der Tatsache Rechnung, dass Verstöße gegen formelle Vorgaben (Zuständigkeit, Verfahren, Form) im Vergleich zu Verletzungen materiellen, also inhaltlichen Rechts häufig von geringerem Gewicht sind.12
Die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Eingriffsmaßnahme bildet regelmäßig den Schwerpunkt in einer Fallbearbeitung.
I. Prüfung einer Eingriffsmaßnahme ohne Zwang
I. Ermächtigungsgrundlage
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist.
1. Grundrechtseingriff
2. Zielrichtung (präventiv/repressiv)13
3. Ermächtigungsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
a) Örtliche Zuständigkeit
b) Sachliche Zuständigkeit
2. | Verfahren | § 28 Abs. 1 VwVfG NRW: | Anhörung Beteiligter |
3. | Form | § 37 Abs. 2 VwVfG NRW: | Grundsatz: Formfreiheit |
4. | Begründung | § 39 VwVfG NRW: | Begründung des VA |
5. | Ordnungsgemäße Bekanntgabe | § 41 VwVfG : | Bekanntgabe des VA |
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
2. Besondere Verfahrensvorschriften
a) Vorschriften, die bei einzelnen Maßnahmen zu beachten sind14
b) Anordnungsbefugnis
3. Adressatenregelung
4. Rechtsfolge der konkret herangezogenen Ermächtigungsgrundlage
a) Rechtsfolge entspricht der Ermächtigungsgrundlage
b) Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW)
c) Ermessen (§ 3 PolG NRW)
aa) Entschließungsermessen, ggf. Ermessensreduzierung auf Null
bb) Auswahlermessen (§ 3 Abs. 2 PolG NRW)
d) Übermaßverbot; Verhältnismäßigkeit i. w. S. (§ 2 PolG NRW)
aa) Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
cc) Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Angemessenheit)
IV. Ergebnis
Erläuterungen zur Prüfung einer Eingriffsmaßnahme ohne Zwang
zu I.: Ermächtigungsgrundlage
Eingriffsbegriff
Nach einem Einleitungssatz beginnt die Prüfung mit der Feststellung der Grundrechte, in die durch die polizeiliche Maßnahme eingegriffen wird. Häufig greift die Polizei mit ihren Maßnahmen in die Schutzbereiche von Grundrechten ein. Hierfür benötigt sie aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.15 Der Begriff „Schutzbereich“ drückt nicht aus, dass ein bestimmtes, darunter fallendes Verhalten einen absoluten Schutz genießt, sondern dass der Staat zwar in das Grundrecht eingreifen kann, aber hierfür eine Rechtfertigungslast hat.16 Die Schutzbereiche der entsprechenden Grundrechte sind mit (kurzer) Begründung zu benennen. Es ist darauf zu achten, dass alle in Betracht kommenden Grundrechte Erwähnung finden. Nach herkömmlichem Verständnis gehören zum klassischen Eingriffsbegriff die Merkmale der Finalität, der Unmittelbarkeit, der Qualität als Rechtsakt sowie der Durchsetzung mit Befehl oder Zwang. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben sein und zu einer Verkürzung des Schutzbereichs führen.17 Allerdings greift dieser (klassische) Eingriffsbegriff in der heutigen Grundrechtsdogmatik zu kurz, z. B. im Falle einer polizeirechtlichen Observation, die sich als Realakt darstellt. Es bedarf der Erweiterung dieses Eingriffsbegriffs.18 Mithin versteht man unter einem Eingriff jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (sog. Moderner Eingriffsbegriff).19 Mit diesem weiten Begriffsverständnis sollen vor allem mittelbare und auch faktische Eingriffe abgedeckt werden. Diese Begriffe sind aber nicht synonym zu verwenden. Mittelbar ist zunächst nur der Gegensatz zur Unmittelbarkeit, faktisch bedeutet „tatsächlich“ und ist als Gegensatzpaar zur Rechtsförmlichkeit zu verstehen.
Prüfungsreihenfolge: Eingriff20 | |
1. Klassischer Eingriff | a) Verkürzung des Schutzbereichsb) durch staatliches Handeln Kumulativ: Final, unmittelbar, rechtsförmlich, imperativ |
2. Moderner Eingriff | a) Verkürzung des Schutzbereichsb) durch staatliches Handeln Kausalität: Äquivalenz und Adäquanz Alternativ: Final, unmittelbar, rechtsförmlich, imperativ |
Ein Eingriff ist dann zu verneinen, wenn der Betroffene wirksam auf das Grundrecht verzichtet (Grundrechtsverzicht).21 So ist eine Anordnung gem. § 105 Abs. 1 StPO dann entbehrlich,