Die zehn wichtigsten Themen für Bürgermeister. Группа авторов
darf ich Geld in die Hand nehmen, um einen Verein, eine soziale Einrichtung oder ein kommunales Unternehmen zu unterstützen, da sie wichtige Aufgaben in der Gemeinde, Stadt oder Landkreis übernehmen? Zu welchen Bedingungen darf ich ein Grundstück an ein Unternehmen veräußern oder erwerben? Darf ich für ein Unternehmen den Kaufpreis mindern, wenn es sich im Gegenzug verpflichtet, Arbeitsplätze zu schaffen? Um diese oder ähnliche Fragen zu beantworten, müssen sich Bürgermeister nicht mehr nur mit den Vorschriften des Kommunal-, des Haushalts- oder des Steuerrechts auskennen, sondern inzwischen auch mit denen des Beihilferechts der Europäischen Union.
Das Beihilferecht soll die Mitgliedstaaten daran hindern, bestimmten Unternehmen finanzielle Vorteile zu gewähren, die den Wettbewerb im Europäischen Binnenmarkt verfälschen können. Die Idee dahinter ist die Erkenntnis, dass die dafür aufgebrachten Haushaltsmittel für andere staatliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen und dass hierdurch ineffiziente oder unwirtschaftliche Unternehmen zum Nachteil wirtschaftlicher Unternehmen gestützt werden. Staatliche Beihilfen sind daher gemäß Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) grundsätzlich verboten. Doch Beihilfen sind nicht per se „schlecht“: Sie sollen etwa dort gewährt werden dürfen, wo die wirtschaftliche Effizienz der Märkte nicht gewahrt wird, also Waren und Dienstleistungen von Unternehmen nicht in der erforderlichen Qualität oder Quantität angeboten werden. Zur Behebung eines solchen Marktversagens liefern die beihilferechtlichen Vorschriften verschiedene Instrumente, mit deren Hilfe Beihilfen gewährt werden können, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind.
Dieses Kapitel soll die Bürgermeister daher darüber informieren, wie die Beihilfevorschriften funktionieren, wie sie auf kommunale Vorhaben anzuwenden sind und welche Möglichkeiten bestehen, die nicht unerheblichen Risiken zu meistern. Denn ein Verstoß gegen das Beihilferecht kann bedeuten, dass das Vorhaben eingestellt und die bereits erbrachten Leistungen nebst Zinsen zurückgefordert werden müssen. Dass das betroffene Unternehmen dadurch sogar insolvent gehen kann, nimmt das Beihilferecht ausdrücklich in Kauf.
1.1Ausgangsfall
Die Stadtwerke GmbH ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt. Sie versorgt die Stadt nicht nur mit Energie, sondern betreibt auch das Bad, das aus einem Sport- und einem Freizeitbereich besteht. Im Sportbereich des Hallenbades findet insbesondere auch das Schwimmen der Schulen und Vereine statt. Der Sportbereich kann außerhalb der Schwimmzeiten der Schulen und Vereine aber auch von anderen Badegästen genutzt werden. Der Freizeitbereich besteht dagegen aus einem Erlebnisbereich mit Wasserrutschen und aus einer Saunalandschaft. Das Bad wird vornehmlich von Einwohnern der Stadt und der umliegenden Gemeinden genutzt. Allerdings ist das Bad auch für den Tourismus wichtig. Aufgrund der Grenznähe wird das Bad auch von Besuchern des nahegelegenen Mitgliedstaats N besucht.
Trotz steigender Umsatzzahlen können die Aufwendungen für die Instandhaltung des Bades und die Aufwendungen für den Betrieb nicht gedeckt werden, sodass die Verluste des Badbetriebs dauerhaft ausgeglichen werden müssen. Da das Bad über ein Blockheizkraftwerk wirtschaftlich mit der Energiesparte der Stadtwerke GmbH verflochten ist, können die Verluste des Badbetriebs im Rahmen des steuerlichen Querverbunds mit den Gewinnen der Energiesparte verrechnet werden, sodass die Stadtwerke nur Steuern auf den um die Schwimmbadverluste reduzierten Gewinn zahlen muss. In den nächsten fünf Jahren wird mit einem Verlustausgleich in Höhe von bis zu 500000 € jährlich gerechnet. Der Bürgermeister der Stadt fragt sich daher, ob er die Verluste des Bades ausgleichen darf. Insbesondere wird von einer Fraktion im Stadtrat die Auffassung vertreten, dass hierdurch gegen das Beihilferecht der Europäischen Union verstoßen wird.
1.2Rechtliche Rahmenbedingungen
Zunächst ist ein Überblick über die beihilferechtlichen Bestimmungen des europäischen Primär- (Verträge der Europäischen Union) sowie des Sekundär- und Tertiärrechts (Verordnungen, Richtlinien, Mitteilungen, Unionsrahmen und Leitlinien) notwendig. Die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Frage, ob eine Beihilfe vorliegt, befinden sich in der primärrechtlichen Regelung des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Diese Vorschrift begründet das grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen:
„Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
Bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist insbesondere die „Mitteilung zum Beihilfebegriff“26 zu beachten, die die wesentlichen Auslegungsmaßstäbe der Europäischen Kommission (nachfolgend: Kommission) für die Frage enthält, ob der Beihilfetatbestand erfüllt wird oder nicht.
Wird der Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, muss die Beihilfe grundsätzlich förmlich bei der Kommission angemeldet („notifiziert“) und von ihr genehmigt werden. Mit dieser „Notifizierungspflicht“ ist das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verbunden, sodass die Beihilfe bis zum Abschluss der Prüfung durch die Kommission nicht gewährt werden darf. Geschieht dies dennoch, kann die Kommission die Zahlung der Beihilfe stoppen und je nach Ergebnis eine Rückzahlung verlangen27. Der Mitgliedstaat hat dann alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtswidrige Beihilfe zurückzufordern. Das Rechtsgeschäft, auf dessen Grundlage eine unzulässige Beihilfe gewährt wurde, wäre im Übrigen gemäß § 134 BGB nichtig28. Nach der Rechtsprechung des EuGH wird sogar die Rechtskraft nationaler Urteile durchbrochen, wenn das Rechtsgeschäft wegen Verstößen gegen das Beihilferecht der Europäischen Union als nichtig anzusehen ist29.
Die Mitgliedstaaten und ihre Untergliederungen müssen aber nicht jede Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV bei der Kommission notifizieren lassen. Sie können auf eine Notifizierung von Beihilfen verzichten, die die Voraussetzungen der sog. Freistellungsregelungen der Europäischen Union erfüllen. Bei diesen Beihilfen wird angenommen, dass sie mit dem Binnenmarkt vereinbar sind, weil sie dazu beitragen, ein Marktversagen zu beseitigen. Besonders praxisrelevant sind die Freistellungsregelungen für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) betraut sind, und die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO)30.
Das Prüfungsschema stellt sich somit wie folgt dar:
1.3Rechtliche Bewertung des Ausgangsfalls
Der Bürgermeister der Stadt möchte mit Hilfe dieses beihilferechtlichen Prüfungsschemas nun ermitteln, ob die Stadtwerke GmbH die Verluste des Bades ausgleichen darf.
1.3.1Beihilfetatbestand
Der Verlustausgleich des Badbetriebs würde nicht dem grundsätzlichen Beihilfeverbot unterfallen, wenn es sich bei ihm bereits nicht um eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt.
1.3.1.1Unternehmen
Beihilferelevant sind zunächst nur Maßnahmen zugunsten von „Unternehmen“. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Unternehmen „eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist dabei „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“31. Es kommt also nicht darauf an, ob die Stadt das Bad in öffentlich-rechtlicher Rechtsform als Regiebetrieb, Eigenbetrieb, Anstalt