Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Holger Dahl
Folgen zu mildern (§ 17 Abs. 2 KSchG). Der Versuch der Einigung reicht aus.71 Anders ist dies beispielsweise in Griechenland. Gibt es keine Einigung der Beteiligten, entscheiden die griechischen Behörden. Diese können die geplanten Entlassungen ganz oder teilweise ablehnen; der Arbeitgeber darf dann die Massenentlassungen ggf. nur in dem durch die Entscheidung der Behörde festgelegten Umfang durchführen.72
bb) Anzeigeverfahren
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Gemäß Art. 3 Abs. 1 MERL hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Die Anzeige muss alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultation der Arbeitnehmervertreter enthalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH knüpft die Massenentlassung an den Kündigungszeitpunkt an,73 weshalb nunmehr die Anzeige dem Zugang der Kündigungserklärung bzw. der zum Aufhebungsvertragsschluss führenden Willenserklärung74 zeitlich vorgeschaltet sein muss.
c) Rechtsfolgen bei Verstößen
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Gemäß Art. 6 MERL haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. Die MERL überlässt damit weitgehend den Mitgliedstaaten die Gestaltung des Verfahrens, mit dem diese sicherstellen, dass die Verpflichtungen der Richtlinie erfüllt werden. Von diesem Umsetzungsspielraum haben die Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht.
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Typischerweise, so etwa in Deutschland75 und Spanien,76 sind die Kündigungen unwirksam, falls der Arbeitgeber gegen Vorschriften des Massenentlassungsverfahrens verstoßen hat. Großbritannien77 und Irland78 gewähren den betroffenen Arbeitnehmern hingegen Abfindungsschutz. In Luxemburg haben die Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen Bestands- und Abfindungsschutz.79 In manchen Ländern, so z.B. in Italien,80 ist die Heilung bestimmter Mängel möglich. Oftmals stellt der Verstoß gegen die Anzeigepflicht bei der Behörde eine Ordnungswidrigkeit dar. In Großbritannien kann ein solcher Verstoß sogar eine Straftat darstellen.81
5. Implementierung der Restrukturierungsmaßnahme
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Nach ordnungsgemäßer Wahrung sämtlicher Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen kann das Unternehmen die Restrukturierungsmaßnahme umsetzen. Liegt beispielsweise ein Betriebsübergang vor, müssen die Arbeitnehmer schriftlich (in der jeweils von der einschlägigen Rechtsordnung vorgesehenen Form) über die Einzelheiten unterrichtet werden. Im Personalabbauszenario muss der Arbeitgeber die beabsichtigten Kündigungen aussprechen. Dabei sind unbedingt die jeweils einschlägigen nationalen Formvorschriften zu beachten. Beispielsweise in Deutschland82 oder Italien83 bedürfen Kündigungen der Schriftform. Diese setzt in der Regel eine eigenhändig unterschriebene Erklärung des Arbeitgebers voraus, eine E-Mail reicht dagegen nicht aus.84 In Luxemburg muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine Kündigung sogar per Einschreibebrief mitteilen.85 Ein Verstoß gegen Formvorschriften hat in der Regel die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.
6. Anschließende Rechtsstreitigkeiten
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Jede Restrukturierungsmaßnahme birgt das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten in sich. Dies gilt in besonderem Maße für Entlassungen.
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In Deutschland können Kündigungsschutzklagen für den Arbeitgeber mit erheblichen Kosten verbunden sein. Dies gilt selbst dann, wenn das Arbeitsgericht die Klage des Arbeitnehmers abweist, da in der ersten Instanz der Arbeitsgerichtsbarkeit im Urteilsverfahren kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes besteht.86 Der Arbeitgeber hat seine Rechtsberatungskosten somit in erster Instanz selbst zu tragen, auch wenn er obsiegt. Umso mehr gilt es, Rechtsstreitigkeiten durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen. Insbesondere ein Sozialplan, der arbeitnehmer- und arbeitgeberseitige Interessen möglichst ausgewogen berücksichtigt, kann das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten reduzieren. In Ländern, die keine dem Sozialplan vergleichbare Vereinbarung kennen, kann der Ausgang eines Rechtsstreits u.a. stark davon abhängen, ob das Gesetz Abfindungsregelungen und ggf. Maximalhöhen vorsieht. Fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, steigt der Verhandlungsspielraum zwischen den Parteien und damit einhergehend auch das Klagerisiko des Arbeitnehmers.
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In solchen Ländern, die Arbeitnehmern kaum Schutzrechte einräumen, wie z.B in den USA, ist das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten weitaus geringer Klagen auf Abfindungszahlungen sind in der Regel aussichtslos.
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Ausschließen lässt sich das Risiko der Klageerhebung gleichwohl nicht. Unternehmen sollten daher bei Restrukturierungsmaßnahmen stets ein gewisses Budget für Rechtsstreitigkeiten in ihre Kalkulation aufnehmen.
7. Schlusswort
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Wenn dieser Beitrag erscheint, wird die Welt vor ihrer größten wirtschaftlichen Herausforderung seit Generationen stehen. In den USA und in Großbritannien haben Unternehmen tausende von Arbeitnehmern „beurlaubt“, in Asien hat eine große Anzahl von Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz verloren. In einer Vielzahl europäischer Länder haben Regierungen lokale Äquivalente zur international bewunderten deutschen Kurzarbeit geschaffen und es so ermöglicht, dass Millionen von Arbeitnehmern bei Verringerung ihrer Arbeitszeit weiterhin ein zwar gekürztes, aber zum Teil staatlich subventioniertes Einkommen erhalten. Sehr viele Unternehmen werden in der zweiten Hälfte des Jahres 2020, spätestens 2021, insbesondere nach Ablauf der kurzfristigen Maßnahmen, darüber nachdenken müssen, welche Arbeitskräfte sie in einer veränderten Welt benötigen Umstrukturierungen werden, egal in welcher Form, unvermeidlich sein. So werden einige global tätige Unternehmen Vermögenswerte oder Geschäftsanteile verkaufen oder auf die Unterstützung von Finanzinvestoren angewiesen sein. Andere Unternehmen werden die Beschäftigungsbedingungen ändern oder sogar Mitarbeiter entlassen. Einige Unternehmen werden auch von der Insolvenz bedroht sein. Hochkarätige juristische Beratung wird weiterhin gefragt sein.
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Ein globales oder europaweites, gerichtsbarkeitsübergreifendes Umstrukturierungsprojekt wirft unweigerlich eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Fragen auf. Viele dieser Themen werden, zumindest bei innereuropäischen Projekten, einem deutschen HR- oder Arbeitsrechtsspezialisten vertraut sein. Zwischen einzelnen Jurisdiktionen bestehen allerdings zum Teil erhebliche Unterschiede in rechtlichen Aspekten, die für die beiden wichtigsten Grundlagen eines Projekts – Timing und Kosten – entscheidend sind. In vielen Ländern, vor allem in Europa, haben die Informations- und Konsultationsprozesse mit den Sozialpartnern, wie Gewerkschaften und Betriebsräten, wesentliche Auswirkungen auf das gesamte Projekt, von der Kommunikations- und Öffentlichkeitsstrategie über die Umsetzung der Maßnahmen bis hin zur Budgetierung der Kostenkalkulation. Um unerwünschte Überraschungen und Hürden zu vermeiden, die schnell unüberwindbar erscheinen und das gesamte Projekt zum Entgleisen bringen können, ist eine strukturierte rechtliche Planung daher unverzichtbar. Auch wenn internationale Umstrukturierungsprojekte zu Beginn abschreckend wirken, können sie sehr wohl – eine gute Umsetzung und Kommunikation vorausgesetzt – zum Erfolg führen und das Unternehmen sowie vertrauensvolle Beziehungen zu den Stakeholdern für die Zukunft stärken.
1 Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Rn. B 2. 2 Vgl. Deinert, RdA 2001, 368, 369; Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Rn. B 39. 3