Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Holger Dahl
dem ursprünglichen Standort aufweisen muss. Eine Verlegung im selben Haus oder lediglich ein Wechsel der Straßenseite stellt noch keine Verlegung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG dar.43 In der Praxis versucht die Arbeitnehmervertretung in diesen Fällen allerdings regelmäßig, eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung durch weitere, im Zusammenhang mit der Standortverlegung stehende Maßnahmen zu begründen, etwa durch eine angebliche Änderung der Betriebsorganisation. Ob eine solche tatsächlich vorliegt oder es sich – wie häufig – lediglich um Maßnahmen im Zusammenhang mit der Standortverlegung handelt, die die Schwelle zu einer Betriebsänderung noch nicht erreichen, sollte im Einzelfall vor der Standortverlegung genau geprüft werden, um insbesondere Verzögerungen bei der späteren Verlegung des Standorts zu vermeiden.
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Bei Betrieben, die regelmäßig ihren Standort wechseln, wie etwa einem Wandertheater oder einem nicht ortsfesten Jahrmarkt, ist eine Veränderung des Standorts nicht als Betriebsänderung anzusehen, sondern gehört zum regelmäßigen Betriebsablauf. Eine Betriebsratsbeteiligung ist in diesen Fällen nicht erforderlich.44
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Im Falle der Verlegung eines wesentlichen Betriebsteils i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG kommt häufig auch eine Betriebsänderung in der Form einer Betriebsspaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG in Betracht.
3. Zusammenschluss
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Gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG stellt zudem der Zusammenschluss mit anderen Betrieben eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung dar. Ausschlaggebend ist die betriebliche Organisation vor und nach der Umstrukturierungsmaßnahme. Gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen, wie etwa die Fusion mehrerer Unternehmen, stellen keine Betriebsänderungen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG dar.
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Eine Betriebsänderung in Form eines Zusammenschlusses liegt vor, wenn zwei organisatorisch unabhängige Betriebe durch die Umstrukturierungsmaßnahme unter eine einheitliche Leitung zusammengefasst werden, sodass diese anschließend eine betriebliche Einheit bilden.45 Der hierdurch entstehende einheitliche Betrieb kann sowohl einem als auch mehreren Unternehmen angehören, wobei im letzteren Falle ein Gemeinschaftsbetrieb entsteht. Sollte einer der betroffenen Betriebe bestehen bleiben und den anderen Betrieb „aufnehmen“, was in der Praxis der Regelfall sein dürfte, liegt hierin ebenfalls ein mitbestimmungspflichtiger Zusammenschluss i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG.46
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Bei einem Zusammenschluss ist zu beachten, dass die Betriebsräte beider Betriebe zu beteiligen sind. Sollten die von der Umstrukturierungsmaßnahme betroffenen Betriebe demselben Unternehmen angehören, ist dem Arbeitgeber zu raten, die Verhandlungen soweit als möglich mit dem Gesamtbetriebsrat zu führen. Hierdurch werden Widersprüche in den Verhandlungen und Regelungen vermieden, es können unternehmenseinheitliche Regelungen getroffen werden und Verhandlungen sind nur mit einem Gremium erforderlich. Es ist insoweit jedoch zu beachten, dass der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur zuständig ist, sollte eine betriebsübergreifende Regelung zwingend erforderlich sein, die reine Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung aus Sicht des Unternehmers reicht nicht aus.47 In Bezug auf einen abzuschließenden Interessenausgleich ist der Gesamtbetriebsrat nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zuständig, sollte der geplanten Umstrukturierungsmaßnahme ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde liegen.48 Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs folgt nicht automatisch auch seine originäre Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans.49 Das BAG legt bei der Prüfung der Zuständigkeit für einen Sozialplan im Gegenteil einen etwas strengeren Maßstab zugrunde als bei der Prüfung der Zuständigkeit für einen Interessenausgleich. So wird die Notwendigkeit eines einheitlichen, also betriebsübergreifenden Interessenausgleichs von der Rechtsprechung häufiger bejaht als die Notwendigkeit eines einheitlichen, betriebsübergreifenden Sozialplans. Insbesondere ergibt sich die Notwendigkeit eines einheitlichen, betriebsübergreifenden Sozialplans weder allein aus dem Umstand, dass die finanziellen Mittel zum Ausgleich oder zur Abmilderung wirtschaftlicher Nachteile – also das Sozialplanvolumen – von ein und demselben Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden, noch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.50 Es kommt für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für einen Sozialplan vielmehr darauf an, ob die durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile unternehmenseinheitlich oder betriebsbezogen ausgleichbar sind.51 Die Kompensationsregelungen zugunsten der betroffenen Beschäftigten können nur unternehmenseinheitlich getroffen werden, wenn ein genau definiertes Sozialplanvolumen verfügbar ist, über das nicht hinausgegangen werden kann bzw. darf, etwa, um den Erfolg einer Sanierung insgesamt nicht zu gefährden. Insoweit hat der Arbeitgeber also einen gewissen Gestaltungsspielraum. Sollte der Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs und/oder eines Sozialplans nicht originär zuständig sein, bliebe dem Arbeitgeber noch die Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass der Gesamtbetriebsrat durch eine Delegation der Betriebsräte nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BetrVG für zuständig erklärt wird.
4. Spaltung
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Neben dem Zusammenschluss ist auch die Spaltung eines Betriebs gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG als beteiligungsbedürftige Betriebsänderung zu qualifizieren. Auch hier ist auf die betrieblichen Strukturen abzustellen, allein die gesellschaftsrechtliche Spaltung eines Unternehmens, etwa durch die Gründung eines Tochterunternehmens, fällt nicht unter den Begriff der Betriebsänderung.
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Die Spaltung eines Betriebs setzt voraus, dass durch die Umstrukturierung aus einer organisatorischen Einheit mindestens zwei neue, eigenständige Betriebe entstehen.52 Ob eine solche Spaltung vorliegt, ist ausschließlich aus betrieblicher Sicht zu beurteilen. Eine Betriebsspaltung kann sowohl in einer Auf- als auch in einer Abspaltung bestehen. Während sich die Aufspaltung dadurch kennzeichnet, dass der ursprüngliche Betrieb in zwei eigenständige Betriebe geteilt und damit aufgelöst wird, bleibt der Ursprungsbetrieb bei einer Abspaltung bestehen.53 Da sowohl die Auf- als auch die Abspaltung beteiligungspflichtig sind, kommt der Unterscheidung im Hinblick auf die Betriebsänderung in der Praxis keine große Bedeutung zu. Im Hinblick auf das Schicksal des Betriebsrats ist dies hingegen von erheblicher Bedeutung. Im Falle einer Abspaltung bleibt der Betriebsrat, mit dem die Betriebsänderung in Form der Spaltung verhandelt wurde, für den „Ursprungsbetrieb“, der seine betriebliche Identität behält, im Amt. Sollte eine Aufspaltung vorliegen, verbleibt dem Betriebsrat „nur“ ein Übergangsmandat gemäß § 21b BetrVG für die sodann getrennten Betriebsteile.
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Trotz des fehlenden Erfordernisses der Betroffenheit eines wesentlichen Betriebsteils in § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG im Unterschied zu Nr. 1 und Nr. 2 setzt eine Betriebsänderung im Form der Spaltung voraus, dass der abgespaltene Teil eine eigenständige organisatorische Struktur aufweist.54 Die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG finden für die Qualifizierung der Maßnahme als mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung zwar keine Anwendung. Dennoch muss der abzuspaltende Teil nach der Rechtsprechung des BAG eine wirtschaftlich relevante Größe haben und damit eine „veräußerungsfähige Einheit“ darstellen, damit die Umstrukturierungsmaßnahme als Betriebsänderung zu qualifizieren ist.55
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In Abgrenzung zur Stilllegung eines Betriebsteils wird die betriebliche Tätigkeit eines abgespaltenen Teils nicht beendet, sondern innerhalb einer neuen betrieblichen Organisation fortgesetzt. Eine räumliche Veränderung stellt dabei keine Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsänderung dar, wenngleich diese der Regelfall ist. Eine Betriebsänderung in Form der Spaltung wurde aber etwa auch bei der Übertragung einer Abteilung durch ein neu gegründetes Unternehmen bejaht, obwohl die Abteilung in den alten Arbeitsräumen verblieb, jedoch unter eine neue, eigenständige organisatorische Leitung des neuen Inhabers gestellt wurde.56
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Die Tatbestände der Stilllegung