Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


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      »Nein. Ryu scheint schon einmal etwas von euch gehört zu haben, aber abgesehen von dem, was ihr mir gesagt habt, weiß ich nichts.«

      »Nun, dann lass mich versuchen, dir das Wesentliche zu erklären«, sprach Aaron freundlich, während er sein Fleisch auf einen Stock spießte, um es am Feuer zu rösten.

      »Die Iatas wurden vor über zweitausend Jahren gegründet. Damals war Epsor in viele kleine Reiche zerfallen. Seit dem Tod unseres letzten Königs, vor zwanzig Jahren, scheint dieser Zerfall, zumindest innerhalb der Menschenreiche, erneut einzusetzen. Aber damals war es noch wesentlich schlimmer.

      Du kannst dir sicher vorstellen, dass je mehr Herrscher es gibt, auch immer häufiger Kriege ausbrechen, da sie alle, Menschen, Zwerge und Elfen, nach immer mehr Macht dürsten. Die Geschichte berichtet, dass die alten Rassen der Elfen und Zwerge seinerzeit ebenfalls gespalten waren, und dass sie bei Weitem noch nicht die Reife aufwiesen, die sie heute haben. Ob das stimmt, weiß heute keiner mehr so genau zu sagen, doch angeblich sollen auch die weisesten Völker damals dem Kriegshandwerk häufiger gefrönt haben. Das eigentlich Schlimme daran war, dass sich lange Zeit kein Herrscher über die anderen erheben konnte und die Gewalt darum allgegenwärtig blieb.«

      »Ist das heute nicht immer noch genauso?«, warf Darius ein, dem plötzlich auffiel, dass Mokku erst wenige Wochen zuvor gewarnt hatte, dass der Krieg zweier benachbarter Fürstentümer auch auf ihr neutrales Dorf übergreifen könnte.«

      »Das hat er doch gerade gesagt!«, zischte Ramir besserwisserisch. »Damals war’s aber schlimmer, weil sich im Gegensatz zu heute auch die Elfen, Zwerge und Alben dran beteiligt hatten.

      »Was sind Alben?«, wollte Darius ehrlich interessiert wissen. Die Spitze seines Weggefährten ignorierte er geflissentlich.

      »Das tut jetzt nichts zu Sache«, mischte sich Aaron wieder ein, der mit seiner Geschichte fortfahren wollte. »Vielleicht erkläre ich dir das ein anderes Mal. Jetzt stell dir jedoch bitte einfach vor, dass damals, vor gut zweitausend Jahren, im wahrsten Sinne des Wortes, jeder gegen jeden gekämpft hat. Aus diesem Grund wurde der Orden der Iatas gegründet. Sie sorgten dafür, dass der Einfluss, den alle Kriegsherren auf Epsor haben wollten, gerecht verteilt wurde. Dabei trachteten sie jedoch nicht danach, Geld und Macht aus selbstsüchtigen Gründen anzuhäufen. Deshalb wird bis heute jedem Iatas ein Schwur abverlangt, der ihn daran bindet, stets in Armut zu leben und nicht mehr zu besitzen als er unbedingt braucht. Wir widmen unser Leben nicht den Reichtümern und Gelüsten dieser Welt, sondern dem Streben nach der Perfektion des Kampfes.«

      »Dann ist doch alles gut. Mehr will ich ja schließlich nicht von dir. Bring mir das Kämpfen bei«, startete Darius einen neuerlichen Versuch, in Aarons Gunst zu gelangen. Dennoch wusste er, dass seine Mühen vergeblich waren. »Liegt es vielleicht daran, dass ich zu lange – wie hast du es genannt? – den Reichtümern und Gelüsten dieser Welt gefrönt habe? Ist es, weil ich ein Dieb bin? Das kann ich ändern, du hast vorhin selbst gesagt, dass für mich von nun an ein neues Leben beginnt. Dazu werde ich meinen Teil beitragen, indem ich ab sofort ein ehrenvoller Mensch sein werde.«

      »Ich bitte dich, du hast ein Leben lang unter Kriminellen gelebt und wurdest sogar von ihnen aufgezogen«, schnarrte Ramir, jetzt wieder vollkommen herablassend. »Und nun willst du dich einfach so«, demonstrativ schnippte der junge Mann mit den Fingern, »ändern, das kannst du doch gar nicht, selbst wenn du wirklich wolltest.« Mit einem selbstsicheren Blick lehnte er sich ein wenig zurück und schien die Antwort seines Gegenübers abzuwarten. Doch die blieb aus, denn schon hob Aaron beschwichtigend die Hände und bedeutete Darius zu schweigen. Milde lächelnd schüttelte er den Kopf.

      »Ich bin mir sicher, dass du ein gutes Herz hast, Darius. An deiner bisherigen Lebensweise liegt es nicht, auch wenn ich dir dennoch dringend dazu raten würde, sie zu ändern.«

      »Pah, als würde die Katze das Mausen lassen«, flüsterte Ramir, gerade laut genug, damit man ihn verstehen konnte. Aarons Blick wurde daraufhin etwas strafender, was seinen Schüler endgültig zum Verstummen brachte. Nach einigen Augenblicken, als er sich sicher sein konnte, dass er kein weiteres Mal unterbrochen werden würde, begann der Iatas-Meister weiterzusprechen.

      »Der Schamane wird dich nicht ohne Grund ausgewählt haben, und ich vertraue seinem Urteil. Deshalb kannst du dir sicher sein, dass dein bisheriges Leben keinerlei Auswirkungen auf deinen Werdegang haben wird.

      Nein, es liegt viel eher daran, dass ich dich gar nicht ausbilden darf, selbst wenn ich es wollte. Die Ausbildung zum Iatas ist sehr schwer. Bei Weitem nicht alle, die sie beginnen, bringen sie auch zu Ende. Aus diesem Grund darf ein Meister, so wie ich einer bin, immer nur einen Schüler haben. Nur so kann sichergestellt werden, dass ich mein sämtliches Können einzig und allein auf Ramir konzentriere. Bei einem weiteren Schüler müsste ich meine Aufmerksamkeit teilen, dies würde verhindern, dass ich mich jedem von euch ausreichend gut widmen könnte. Sicher, du würdest zu einem sehr viel besseren Kämpfer als du es jetzt bist. Doch zu einem wahren Iatas könnte es dann keiner von euch beiden mehr bringen.« Darius nickte bedrückt. Er hatte schon etwas in dieser Art vermutet, war jedoch nicht minder enttäuscht.

      »Wie lange dauert es denn nun eigentlich, bis man ein vollwertiger Iatas ist?«, fragte er nach einigen Augenblicken und rutschte unruhig auf dem Boden vor dem Lagerfeuer hin und her.

      »Nun ja«, begann Aaron langsam, »das kommt ganz darauf an. Viele Kinder, zumeist aus ärmeren Familien, werden schon in jungen Jahren unserem Orden übergeben. In Baknakaï lernen sie dann von klein auf alles, was sie für das spätere Leben wissen müssen. Mit vierzehn Jahren beginnt für die wenigen Auserwählten dann die eigentliche Ausbildung, in der sie allein mit ihrem Meister durch die Welt ziehen und von ihm lernen. Manche werden jedoch auch erst im Jugendalter von uns entdeckt. So wie du oder zum Beispiel auch Ramir.« Bedeutungsvoll zeigte Aaron auf seinen Schüler, der seinerseits nur knapp nickte und Darius anfunkelte, als wolle er ihm raten, besser nicht nach den Gründen dafür zu fragen.

      »Die Reise durch ganz Epsor dauert dann in etwa zehn Jahre, das schwankt jedoch immer ein wenig«, fuhr der Iatas betont beiläufig fort und schmunzelte über Darius’ verblüfften Gesichtsausdruck.

      »Aber wenn du immer nur einen Schüler haben darfst und die Ausbildung zehn Jahre dauert – die du ja zuvor auch selbst durchlaufen hast ...«, begann der junge Dieb mit in Falten gelegter Stirn und nahm seine Finger zum Zählen zu Hilfe, bis er schließlich verwirrt aufsah und Aaron ungläubig musterte.

      »Ja«, entgegnete dieser und das Lächeln auf seinen Lippen wurde noch etwas breiter, als er förmlich sehen konnte, wie sich die Erkenntnis auf die Züge des Jünglings legte. »Ramir ist mein erster Schüler. Und er wird mein letzter sein. Wir Menschen dürfen in dem Iatas-Orden unser Wissen im ganzen Leben an nur eine einzige Person weitergeben. Bei den Elfen und Zwergen ist es etwas anderes, im Gegensatz zu uns gehören sie, wie du sicher weißt, den langlebigen Geschöpfen dieser Welt an. Deshalb können sie auch noch nach mehreren Jahrhunderten ihr Wissen weitergeben. Ein menschlicher Iatas-Meister hingen darf zu Beginn der Ausbildung nicht über dreißig Jahre alt sein, und wenn Ramir mich dann in zwei Jahren verlässt, bin ich schon ein wenig über dieses Alter hinaus.« Aaron grinste verschmitzt und das flackernde Licht des Lagerfeuers fiel, ob gewollt oder nicht, so auf sein Gesicht, dass die Falten um seine Augen deutlich hervortraten.

      Darius nickte bedächtig und starrte für einige Momente in die Flammen. Es dauerte eine Weile, bis der junge Bandit alles verdaut hatte und jede der vielen Informationen noch einmal im Geiste durchgegangen war.

      »Und mein Meister? Was ist mit ihm, kannst du mir irgendetwas über ihn sagen? Ist er Mensch, Elf oder Zwerg?«

      »Es tut mir leid, Darius, doch das übersteigt mein Wissen«, entgegnete Aaron kopfschüttelnd, während er sich ein Stück von dem leicht angeschmorten Fleisch in den Mund steckte. »Gedulde dich noch ein wenig. In ein paar Tagen wirst du es erfahren.« Wieder konnte Darius nicht viel mehr tun, als dazusitzen, zu nicken und über das eben Gehörte nachzudenken. Die Ungeduld, die er vor einigen Augenblicken noch verspürt hatte, war einer tristen Resignation gewichen, obwohl sich ja eigentlich nichts für ihn geändert hatte.

      Im wahrsten Sinne des Wortes.

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