Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


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schon wehmütig herbeisehnte. Wimmernd presste der Zwerg die Lider zusammen, während er mit seiner Rechten den Unterarm kurz über dem Stumpf immer stärker umkrallte. Fast sah es so aus, als wolle er sich das schmerzende Gliedmaß herausreißen, um die Pein zu lindern.

      Ephialtes kauerte in der Zwischenzeit noch immer in halb sitzender, halb kniender Position zwischen den Wurzeln der alten Gelbborke, kaum einen halben Steinwurf von ihnen entfernt. Obwohl er den im Flüsterton gehaltenen Gesprächsinhalt der beiden nicht verstanden hatte, machte er sich in einem letzten Anflug von verzweifeltem Erklärungseifer daran, für seine schändlichen Dienste Rechenschaft abzulegen.

      »Ja, es ist wahr. Genau wie Ihr es mir vorgeworfen habt, habe ich unter der Führung von Barmbas dem Albengott Loës gedient, auch wenn ich selbst nicht unmittelbar an der Schlacht beteiligt gewesen bin.« Halt suchend stützte er sich an dem Baum ab und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

      »Doch wie Ihr gerade eben selbst gesagt habt, Hoheit: Alle Zwergenkrieger Mittelbergs sind gegen die Elfen gezogen. Ich will mein Verhalten damit nicht rechtfertigen, doch bedenkt, wie Ihr an meiner Stelle gehandelt hättet. Majestät, wenn all Eure Freunde und Kameraden in den Krieg gezogen wären, wärt Ihr untätig zurückgeblieben und hättet die Strafe der Befehlsverweigerung hingenommen, anstatt für Euer Reich zu kämpfen? Zumindest war es das, was Barmbas uns vorgegaukelt hat.«

      Was den Stimmen von Nubrax und Paro an Kraft gefehlt hatte, schien Ephialtes mit der Seinen doppelt wieder wettmachen zu wollen. Nicht zuletzt, um die Unsicherheit in seinen Worten zu übertünchen. Mit aller Deutlichkeit ließ er seine Worte durch den Wald erklingen, um sichergehen zu können, dass sein Gebieter, der nun nicht mehr ihn, sondern Paro ansah, auch jede einzelne Silbe gut verstand.

      »Inzwischen habe ich jedoch erkannt, dass Barmbas einzig seiner Machtgier frönen wollte. Er hat sich zum obersten Heerführer ausrufen lassen und verkündet, dass die Elfen unsere Reichsgrenzen nicht mehr achten würden und dass sie grundlos unschuldige Minenarbeiter überfallen hätten. Ich schäme mich dafür, dass ich seinerzeit nichts gegen diese – wie mir jetzt endlich klar geworden ist – haltlosen Anschuldigungen unternommen habe. Doch selbst wenn ich mich ihm in den Weg gestellt hätte, was wäre das schon für ein Unterschied gewesen? Ihr wisst selbst am besten, was mit jenen geschieht, die sich Barmbas widersetzen. Viel zu viele sind auf seinen Geheiß schon verbannt oder hingerichtet worden.

      Ich weiß, dass das keine Rechtfertigung für mein Handeln ist. Aber ich möchte versuchen, wenigstens einen Teil meiner Schuld abzutragen, indem ich mich euch beiden anschließe und dazu beitrage, dass Ihr dereinst Euren rechtmäßigen Platz auf dem Throne Mittelbergs einnehmt und den Mörder Eures Vaters seiner gerechten ...«

      Doch weiter kam Ephialtes nicht. Verdutzt unterbrach er sich selbst, als ein splitterndes Knacken zu seiner Linken ertönte. Mit Müh und Not, vor allem jedoch durch den Ansporn, dass Nubrax und Paro ihn noch nicht gänzlich hinter sich gelassen hatten, war es dem einstigen Leibwächter bereits gelungen, einige Schritte weit auf die beiden zuzuhumpeln. Doch kaum, dass der kräftige Zwerg neue Hoffnung gefasst hatte, sah er sich plötzlich einer Gefahr gegenüber, mit der er schon gar nicht mehr gerechnet hatte.

      Einige kurz aufeinanderfolgende und stetig lauter werdende Geräusche, die sich wie das Bersten kleiner Zweige anhörten, ließen ihn und seine Begleiter im ersten Augenblick noch ein größeres Tier vermuten. Doch schon kurze Zeit später schälte sich ein Schatten zwischen den dreieckigen Blättern eines Buschwerkes hervor.

      Wären die Lungen von Nubrax noch in der Lage gewesen, gleichmäßig die feucht-modrige Luft des Waldes einzusaugen, so hätte ihm allerspätestens jetzt der Atem gestockt. Vor Überraschung gab er ein gleichermaßen keuchendes, wie auch pfeifendes Geräusch von sich, bei dem noch ein wenig mehr Blut seinen schmerzenden Hals emporstieg.

      Durch ein kreisrundes Spinnennetz, welches zwischen zwei tief hängenden Astgabeln gewoben war und an dem noch einige Tropfen Morgentau hingen, funkelten ihm zwei nachtschwarze Augen bedrohlich entgegen. Instinktiv wanderte seine Rechte zum Gürtel, wo für gewöhnlich die Axt hing. Doch satt der Waffe bekamen seine Finger nur leere Luft zu fassen.

      Freudig erregt über seinen Fund verzog der Alb seine porzellanfeinen Züge. Obwohl er lächelte, legte sich seine hohe Stirn angriffslustig in Falten. Um sich gut an die Umgebung des Naoséwaldes anzupassen und besser voranzukommen, war der kräftige Mann, der Nubrax um fast vier Haupteslängen überragte, in eine leichte Lederrüstung gekleidet. Darüber trug er einen weiten, moosgrün gepunkteten Umhang mit einer Kapuze, dessen Saum ihm bis über die Knie reichte. Anders als sein Gegenüber verfügte der Schwarzäugige jedoch auch über eine angemessene Waffe an seiner Seite. Und noch während der Zwergenprinz den Blick auf die lederne Schwertscheide gerichtet hatte, zog der Alb bereits einen breiten Säbel daraus hervor.

      »Joa, ich hab drei von ihnen gefunden! Hol die anderen!«, brüllte der Krieger und taxierte Nubrax weiterhin scharf mit seinen pechfarbenen Augen. Langsam und vorsichtig näherte er sich Paro und ihm über den laubbedeckten Waldboden, der seine Schritte in ein sanftes Nichts abdämpfte. Die Muskeln des Mannes waren sichtlich gespannt und er war bereit, jeden Augenblick den entscheidenden Ausfallschritt zu machen. Sein Rufen war allerdings unnötig gewesen. Schließlich hatte Ephialtes zuvor laut genug gesprochen, um jeden Feind von hier bis Baknakaï auf sie aufmerksam zu machen.

      Schon raschelte es erneut und ein weiterer Alb, kaum dem Kindesalter entwachsen, kam hinter einem Baum zum Vorschein. Auch in seinen Händen blitzte es metallisch auf, als ein einzelner Sonnenstrahl den Weg durch die Baumkronen hinab zur Erde fand. Unstet und panisch wechselte Nubrax’ Blick zwischen den beiden Kriegern hin und her.

      »Was wollt ihr von uns?«, versuchte er zu sagen. Doch selbst wenn die Worte ihm nicht im zugeschwollenen Halse stecken geblieben wären, hätten sie sich nach einem fadenscheinigen Versuch der Zeitschinderei angehört. Das Anliegen der beiden Soldaten war absolut klar.

      Gehetzt sah sich der Prinz in seiner Umgebung um, doch sie waren nach fast allen Seiten hin vom dichten Unterholz eingekesselt. Die einzigen Passagen, die zwischen den mächtigen Laubbäumen und nadelspitzen Dornenfleckenbüschen existierten, wurden von den Alben besetzt gehalten. Vorsichtigen Schrittes und ohne die Zwerge dabei aus den Augen zu lassen, hatten sie einander gegenüber Aufstellung bezogen. Offenbar waren sie nicht gewillt, sofort anzugreifen, sondern wollten ihre Gegner lediglich an der Flucht hindern, bis weitere Verstärkung eingetroffen war.

      Soweit lasse ich es aber nicht kommen, schoss es Nubrax, der sich nun noch nicht einmal mehr die Mühe machte seine Stimme zu erheben, durch den Kopf. Schon hörte er ein neuerliches Knacken und das Geräusch, welches Blätter verursachen, wenn man in großer Eile durch sie hindurchläuft. Krampfhaft überlegte er, wie er Paro und sich selbst retten konnte.

      Wegrennen kam nicht infrage. Ihm wäre es vielleicht, trotz der Luftknappheit in seinen Lungen, aufgrund seiner geringen Körpergröße gelungen, die hochgewachsenen Schwarzaugen im dichten Gestrüpp abzuhängen. Paro, der wie ein nasser Sack auf dem umgestürzten und mit Moos überwucherten Baumstamm hing, hatte allerdings keine Chance zu entkommen. Die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Arm, den er sich schnaubend und mit hemmungslos verweinten Augen eng an den Leib gepresst hielt, schienen seinen gesamten Körper förmlich paralysiert zu haben.

      »Rührt euch nicht vom Fleck und leistet keinen Widerstand!«, richtete sich nun zum ersten Mal einer der Alben, es war der größere, welcher sie zuerst erspäht hatte, an die drei. Seine Stimme war glasklar und klang trotz des schneidenden Untertons erstaunlich friedlich. »Wenn ihr tut, was wir euch sagen, dann hat der Gesunde«, mit einem Wink seines ausgestreckten Schwertes deutete er kurz auf Nubrax, »vielleicht eine Chance zu überleben. Und euch beiden erleichtern wir gnädig den Abgang.« Angriffslustig senkte der Zwergenprinz den Kopf, verengte die Augen zu Schlitzen und biss die Zähne aufeinander.

      Die mangelnde Luft, den einsetzenden Schwindel und den Schmerz in seiner Kehle ignorierte er so gut wie möglich und machte sich bereit, mit geballten Fäusten auf den Alben loszugehen. Seine Muskeln spannten sich, doch urplötzlich nahm er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung von Ephialtes wahr, an den er schon gar keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Die eine Hand fest um seinen Stock geklammert, die andere auf Brusthöhe unter dem Mantel


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