Mütter. Anja Bagus
der Krabbelgruppe
Vorwort
Als ich von meinem Verleger die Idee zur Mütter-Anthologie vorgetragen bekam, da war ich zunächst skeptisch. Ich hatte die Befürchtung, lauter poesiealbumsspruchsüße Geschichten zu bekommen. Das Thema bietet es ja.
Wie geht man heran, an seine eigene Mutter? Oder an sich als Mutter? Da darf man doch nicht dran tasten, oder? Aber ich bin überrascht worden. Ich bin beeindruckt von der Fülle der Möglichkeiten und nun auch reuig: Ich hätte mehr Vertrauen haben sollen.
Es gibt sie, die Künstler, die die vielen Schattierungen jenseits von Schwarz und Weiß, von Süß und Bitter und von Gut und Böse finden und einige davon sind hier versammelt.
Noch bevor ich die Geschichten gesichtet hatte, mussten wir uns um ein Cover kümmern. Das auf den ersten Blick liebliche Design lenkt dann auf den Kochlöffel, mit dem wir Frösche verfüttern.
Der Frosch steht für eine bittere Pille, eine Wahrheit, die wir schlucken müssen, bevor wir gesunden können. Genauso müssen wir als Kinder und Mütter oft bittere Erfahrungen machen. Haben wir das geschluckt und verarbeitet, so können wir es verarbeiten und zu einem Teil von uns machen. Was wir nicht brauchen, scheiden wir aus.
Ich präsentiere also auf dem hölzernen Löffel die unterschiedlichsten Frösche. Einige schmecken nach Nostalgie, andere reizen uns zum Lachen. Einige schmecken nach Tod und Blut. Und andere sind eher wie Glassplitter. Aber sie mundeten mir alle hervorragend und daher habe ich sie ausgewählt.
Guten Appetit!
Anja Bagus, Januar 2016
AXEL HILDEBRAND
geboren 1968 in Berlin. Verbrachte seine Jugend abwechselnd mit Schulbesuch und dem Drehen von Super-8-Filmen. Mitten in einem unerfreulichen Studium der Kommunikationswissenschaften an der TU Berlin begann er sich als Tagelöhner im Filmgeschäft durchzuschlagen. Seitdem dreht er seltsame Kurzfilme und Musikvideos und bereichert regelmäßig das Fernsehprogramm durch seine Drehbücher. Von Krankenhaus bis Krimi. Die vielen Jahre im Mainstream-TV lehrten ihn eines: Manche Ideen gehen einfach nicht. Die sind zu krank. Zu bescheuert. Die passen nirgendwohin. Das werden wir ja sehen, dachte er sich und begann mit der Arbeit an seinem zweiten Buch SOKO Bizarr, das 2017 bei Edition Roter Drache erscheinen wird. 2015 erschien von ihm im gleichen Verlag sein Buch AUSSEN - ASGARD - TAG. Die unverfilmten Drehbücher
von Loki & Thor. © Schwarze Gräfin
Grüner Daumen
(Teil des Buches „SOKO BIZARR“)
Feldsalat geht immer.
Deswegen kommt er in Käthes Buch auch nicht vor. Sie arbeitet jetzt seit 16 Jahren im Gewächshaus und mit Anfängerzeugs gibt sie sich nicht ab. Nicht mehr. Käthe ist inzwischen Expertin für alles, was man hinter Glaswänden ziehen kann – und nach Möglichkeit auch noch über den Winter kriegt. Lebend.
Es ist ihr drittes Buch, in dem sie die Feinheiten beschrieben hat. Die „Kür“ für Hobbygärtner mit Gewächshäusern. Das Fachwissen für die, die mehr wollen. Für die Garten-Gewinner.
Denn kaum jemand verfügt über so viel Erfahrung auf diesem Gebiet.
Was soll man auch machen, wenn man 20 Jahre im Gefängnis verbringen muss?
Käthe sitzt wegen Mehrfachmord. Und eigentlich wollte der Richter ihr noch eine „anschließende Sicherheitsverwahrung“ reindrücken. Also nach der Haft noch in die Klapsmühle. Oder zumindest unter ständige Beobachtung. Sowas machen sie gerne bei Pädophilen. Oder irren Axtmördern. Damit solche Gestalten nie wieder auf freien Fuß kommen. Beruhigt die Bild-Zeitungsleser da draußen total, weil sie sich dann sicher fühlen.
Aber Käthe weiß es besser.
Die, die wirklich gefährlich sind. Die, die morden, wie sie gerade Lust und Laune haben. Die sind sowieso nicht in Haft. Die sind frei und laufen zwischen diesen ganzen, beunruhigten Hosenscheißern rum. Weil solche Täter viel zu gut sind, um sich von den Bullen erwischen zu lassen.
Käthe zählt sich zu dieser Gruppe. Eigentlich. Denn eigentlich hat sie nur Pech gehabt.
Dass irgendeiner von der Umweltbehörde auf dem Grundstück Schadstoffe im Boden gefunden hat. Dass derjenige der Meinung war, man müsse das alles abtragen. 1,5 Meter tief. Die gute, nahrhafte Erde. Einfach ausbaggern und weg. Sondermüll.
Dabei wurde dann ihr erstes Beet gefunden.
Obwohl Käthe zu der Zeit schon gar nicht mehr in dem Haus wohnte. Da hatte sie längst eine Wohnung bezogen. Ohne Garten. Aber dafür mit großem Balkon.
Den hat die Polizei sich dann auch angesehen.
Und das endete mit 20 Jahren Haft. Zum Glück ohne anschließend noch in die Zwangsjacke gesteckt zu werden.
Käthe wird 63 sein, wenn sie raus kommt. Und da meinte der Richter, dass dann keine Wiederholungsgefahr mehr besteht.
Richter haben keine Ahnung.
Jule betritt die Schleuse. Legt Handy und Tablet ab. Nur den kleinen Digitalrecorder haben sie ihr erlaubt. Das ist praktischer, als mitzuschreiben.
Haben das die Kollegen früher wirklich so gemacht? Alles auf einen Block gekritzelt, was die Leute sagen? Wie kann man das später noch entziffern? Jule kann tippen. Aber ihre eigene Handschrift lesen? Lieber nicht.
Leute sagen viel, in Interviews. Die Masse an Worten quatschen leider immer die, die eigentlich nichts zu sagen haben. Interessante Interviewpartner sind eher maulfaul. Denen muss man alles aus der Nase ziehen.
Jule hatte mal einen Rentner, der aus Kartoffeln, Leinöl und Mais Treibstoff für seinen Rasenmäher herstellte. Vier Stunden hatte es gedauert, bis der endlich mal ein paar Details rausrückte.
Jule hofft, dass es heute anders wird.
Käthe