Die Begleitbeistandschaft. Daniel Rosch

Die Begleitbeistandschaft - Daniel Rosch


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Pflichten gegenüber. In extremis besteht sogar die Möglichkeit, den Muntherrn zu verstossen, wenn er seinen auferlegten Pflichten nicht nachkommt.[92]

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      Die Muntgewalt ersetzt die noch nicht ausgebildete Staatsgewalt[93] und fokussiert die Angehörigen der eigenen Familie und der Sippe. Sie erhält erst in fränkischer Zeit (fünftes bis neuntes Jahrhundert) ansatzweise Gemeinwohlcharakter, indem der König die Muntgewalt im Rahmen seines Stammesverbandes über alle beansprucht, die muntlos geworden sind, vor allem Witwen und Waisen. Aus der Munt bildeten sich sodann staatliche Funktionen aus. Hier finden sich bereits erste Ansätze für die spätere staatliche Obervormundschaft.[94]

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      Ab dem dreizehnten Jahrhundert verstärkt sich die Verlagerung der Hausgewalt von den Rechten zu den Pflichten. Hintergrund dessen ist, dass die alte Familienorganisation mit Hausgewalt und Sippenverband zerbricht. Die Kleinfamilie bleibt übrig. Das Individuum löst sich heraus, und die öffentliche Gewalt beansprucht fortan die Rechte, die dem Sippenverband zugestanden waren.[95] Damit verändert sich auch die Stellung des Vormundes. Die Vormundschaft entwickelt sich immer mehr zur Ersatzvaterschaft:[96] aus Herrschaft wird Fürsorge, aus Recht Pflicht, und der schutzbedürftigen Person wird die Handlungsfähigkeit entzogen; sein Vormund wird gesetzlicher Vertreter.[97] Dadurch wird automatisch auch die Personensorge gestärkt und wichtiger. Die Städte, Landeshoheiten und Grundherrschaften übernehmen aufgrund der theologisch begründeten Fürsorge die Obervormundschaft. Sie organisieren die Aufsicht, die Inventarisierung des Mündelgutes, die Rechnungsablegung, nehmen Beschwerden entgegen und wirken bei wichtigen Massnahmen mit.[98] Die Verantwortlichkeit gegenüber dem fehlerhaften Vormund wird gleichzeitig ausgebaut.[99] Des vormundschaftlichen Schutzes bedürfen in jener Zeit Minderjährige ohne Vater, Frauen, «Narren», «Sinnlose», Geisteskranke, Gebrechliche, Verschwender, Abwesende, Dirnen, vereinzelt auch noch Priester[100] etc.[101] In den ländlichen Territorien entstehen der Obervormundschaft nachgebildete Vormundschaftsämter, die teilweise nach ständischen Gesichtspunkten aufgespaltet waren.[102]

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      Das Vormundschaftsrecht als amtsgebundenes Massnahmensystem unterliegt in der Neuzeit keinem grundlegenden Wandel mehr.[103] Es ist nun stark polizeilich geprägt[104] und setzt deutlich auf Kontrolle bis in die Einzelheiten der Amtsführung. Anzeichen dafür sind die Erweiterung der Entmündigungsgründe, die Heraufsetzung des Mündigkeitsalters bis auf 23 oder 24 Jahre, und die Obervormundschaft, die faktisch eine Polizeiinstanz wird. Polizei- und Verwaltungsrecht des aufgeklärten Absolutismus deuten somit das bisher familienrechtlich geprägte Vormundschaftsrecht zumindest teilweise um.[105]

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      Dieser Tendenz stellt sich zunächst eine naturrechtliche Bewegung entgegen, die im Sinne der Rechtsgleichheit Veränderungen zugunsten von Frauen, ausserehelichen Kindern und anderer Diskriminierungen anstrebt und teilweise auch erwirkt.[106] Die Französische Revolution und insbesondere der davon geprägte Code Civil vermag die Staatsallmacht im Vormundschaftsrecht sodann zu beschränken.[107] Zugleich wird der Code Civil zum Vorbild für andere Länder, auch für einzelne Schweizer Kantone.[108] Der Code Civil, aber auch später das Vormundschaftsrecht des Privatrechtlichen Gesetzbuches für den Kanton Zürich vermögen das Spannungsverhältnis zwischen Familieninteressen und staatlicher Ordnung für diese Zeit auszutarieren.[109]

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      Im 19. Jahrhundert regeln viele Kantone das Vormundschaftsrecht in eigenständigen Erlassen, wobei sich die frankophone Schweiz am Code Civil, der Kanton Bern am österreichischen ABGB orientiert.[110] Gerade die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts steht unter dem Einfluss von liberalen Ideen, wendet sich von der «Reglementierungssucht des Polizeistaates»[111] mehr oder minder ab und verweist den Staat in die Rolle des subsidiären Helfers.[112] Das Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit vom 22. Juni 1881 bringt eine erste Vereinheitlichung mit sich. Art. 5 des Gesetzes legt erstmals die Entmündigungsgründe für die ganze Schweiz fest (Verschwendung, geistiges bzw. körperliches Gebrechen, Misswirtschaft, Strafgefangenschaft, eigenes Begehren). Zudem ist auch eine lediglich teilweise Beschränkung der Handlungsfähigkeit möglich.[113] Folge davon ist, dass mit der Beschränkung der Anzahl der Entmündigungsgründe die persönliche Freiheit faktisch gestärkt wurde, wenn auch der historische Gesetzgeber eher den Rechtsverkehr mit schutzbedürftigen Personen vereinheitlichen und sichern wollte.[114]

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      Im 20. Jahrhundert treten zu dieser liberalen Haltung noch sozialstaatliche und –politische Ziele hinzu, und zwar gerade dort, wo infolge der Industrialisierung die Familie ihren Aufgaben nicht mehr nachzukommen vermag.[115]

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      Das massgeblich von Eugen HUBER geprägte geltende Zivilgesetzbuch von 1907 basiert im Wesentlichen auf den vor Inkrafttreten des ZGB geltenden kantonalen Ordnungen. Dort finden sich bereits in Bezug auf die Personensorge gerade in den Kantonen Bern und Graubünden entsprechende Bestimmungen, die Gebrechlichen eine anständige Verpflegung und in Graubünden, soweit tunlich, eine heilende Pflege zuteilwerden lassen; zudem sind Verschwender zu einer «verständigen und geordneten Lebensweise anzuhalten.»[116] Die Leistung von Eugen HUBER ist in diesem Bereich insbesondere in «der Sichtung und straffenden Synthese der schier unübersehbaren kantonalen Stofffülle»[117] zu sehen. Dennoch ist das Vormundschaftsrecht durch das neue Zivilgesetzbuch einem inneren Wandel ausgesetzt. Dieser liegt in seiner sozialen Ausrichtung und seiner fürsorgerischen Zielsetzung. Zwar war es im kantonalen Recht bereits so, dass dem Vormund Aufgaben der Personensorge übertragen wurden.[118] Im Kindesrecht hat das ZGB sie aber in den Vordergrund gestellt und erweitert. Diese Tendenz ist auch im Vormundschaftsrecht ersichtlich: Die Formulierung der Entmündigungsgründe zeigt deutlich das verstärkte Bedürfnis nach vermehrter Personensorge.[119] Hintergrund hierfür sind der Wandel in den Wertvorstellungen und die sozialen Umstände, insbesondere die Not in jener Zeit.[120] Dies findet sich im alten Vormundschaftsrecht im Rahmen des Programmartikels von Art. 367 aZGB, aber auch konkretisiert in Art. 406 aZGB, welche die Personensorge auf den Schutzzweck beschränkte.[121] So kann die Aufgabe des Mandatsträgers so weit reichen, dass ihm eine umfassende Betreuung zukommt, welche durchaus vergleichbar mit derjenigen von minderjährigen Personen ist.[122] Im Vergleich zu Normdichte und –gehalt in Bezug auf die Vermögenssorge oder die Vertretung im Rechtsverkehr verbleiben die Bestimmungen über die Personensorge im Zivilgesetzbuch von 1907 dennoch eher bescheiden.[123]

      4. Die behördlichen Massnahmen des früheren Vormundschaftsrechts im Überblick

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      Das Vormundschaftsrecht kannte als Hauptmassnahmen die Beistandschaften, die Beiratschaften, die Vormundschaften und die nicht amts- und personengebundene fürsorgerische Freiheitsentziehung. Anknüpfungspunkt war in Bezug auf die personen- und amtsgebundenen Massnahmen die faktische oder rechtliche Einschränkung der Handlungsfähigkeit, in Bezug auf die fürsorgerische Freiheitsentziehung, die Bestimmung über den Aufenthalt gegen den – allenfalls auch mutmasslichen oder hypothetischen – Willen der betroffenen Person und die Unterbringung in einer geeigneten Anstalt. Diese Bestimmung über den Aufenthalt hat – ähnlich der Begleitbeistandschaft[124] – keine Einschränkung der Handlungsfähigkeit zur Folge, stellt aber dennoch einen massiven Grundrechtseingriff dar. Das Abweichen vom sonst üblichen Anknüpfungspunkt der Beschränkung der Handlungsfähigkeit ist historisch zu erklären. Die fürsorgerische Freiheitsentziehung fand erst 1981 Eingang ins Gesetz; zuvor war die Regelung auf Bundesebene sehr lückenhaft.[125] Ihre Vorläufer sind die kantonal geregelten administrativen Versorgungen. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Eingriffssozialrecht[126] wurde die fürsorgerische Freiheitsentziehung dem Erwachsenenschutz zugeordnet.

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      Die amts- und personengebundenen Massnahmen unterschieden sich dadurch, dass bei den Beistandschaften die Handlungsfähigkeit zwar tatsächlich, aber nicht rechtlich eingeschränkt wird, indem sich die verbeiständete Person die Handlungen des Beistandes anrechnen lassen muss, bei den Beiratschaften diese eingeschränkt und bei den Vormundschaften die Handlungsfähigkeit entzogen wird, wobei die höchstpersönlichen Rechte jeweils im Regelfalle nicht


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