Die Begleitbeistandschaft. Daniel Rosch
Somit bedarf es in diesem Bereich neben Kenntnisse des rechtlichen Rahmens viel methodischen Wissens und Erfahrung im Umgang mit Widerstand.[67]
1. Einleitung
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Das revidierte Erwachsenenschutzrecht kann nicht ohne Bezugnahme zum vorrevidierten Recht verstanden und interpretiert werden. Es steht am vorläufigen Ende einer rechtshistorischen Entwicklung, die es zu berücksichtigen gilt. Deshalb wird im Rahmen der Grundlagen auch auf diese rechtshistorische Entwicklung eingegangen. Im Hinblick auf die Begleitbeistandschaft steht gemäss dem Gesetzestext des Art. 393 ZGB die «begleitende Unterstützung» im Vordergrund.[68] Diese Form der Hilfestellung bezieht sich weniger auf vermögensrechtliches und Vertretungshandeln, sondern auf die Personensorge.[69] Deshalb soll auch die rechtshistorische Hinführung unter besonderer Berücksichtigung der Personensorge erfolgen. So wird im Folgenden nach einer kurzen (vorläufigen) Erläuterung des Begriffs der Personensorge in einem ersten Schritt ein kurzer Überblick über die rechtshistorische Entwicklung des Erwachsenenschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Personensorge dargestellt, um in einem zweiten Schritt konkret auf die Entwicklung des Erwachsenenschutzes und insbesondere der Personensorge im 20. Jahrhundert einzugehen. Schließlich werden grundlegende Schlussfolgerungen für die Personensorge im revidierten Recht gezogen.
2. Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung als grundlegende Dreiheit
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Der Begriff «Personensorge» wird im alten und im revidierten Recht unterschiedlich verwendet. Synonym zur Personensorge finden sich die Ausdrücke persönliche Fürsorge, persönliche Betreuung oder persönliche Hilfe. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Personensorge verwendet, zumal dieser auch im Kindesschutz Verwendung findet.[70]
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Die «Zweiheit» Personensorge und Vermögenssorge bzw. zum Teil die «Dreiheit» der Personensorge, Vermögenssorge und der Vertretung sind eine typologische Strukturierungshilfe für Formen der Schutzbedürftigkeit. Sie umschreiben die geschützten Rechtsgüter im Erwachsenenschutz, welche sich in Lehre und Praxis eingebürgert haben. SCHNYDER/MURER weisen in Bezug auf diese «Zwei»- bzw. «Dreiheit» zu Recht darauf hin, dass es letztlich nur ein geschütztes Rechtsgut gibt, nämlich die (schutzbedürftige) Person selbst.[71] Gleichzeitig stellen sie fest, dass Personen- und Vermögenssorge nicht trennscharf unterschieden werden können; es bestünden Wechselbeziehungen.[72] So kann der Abschluss eines Arbeitsvertrages die Personensorge betreffen (Integration in den Arbeitsmarkt), aber auch die Vermögenssorge (Lohnerwerb), und kann gleichzeitig auch Vertretungshandeln sein, soweit der Mandatsträger hier vertretungsweise unterzeichnet. Es handelt sich somit um eine typologische Unterscheidung.
3. Rechtshistorische Entwicklung
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Bereits das römische Recht kannte die Vormundschaft, die tutela. Sie bezog sich entweder auf Frauen, die unabhängig von ihrem Alter nicht unter einer Hausgewalt (patria potestas) oder unter Manus-Ehe standen, oder aber auf Minderjährige, deren männliche Vorfahren verstorben waren. Der Vormund konnte für Kinder im Alter von unter sieben Jahren selbstständig handeln. Kinder ab dem achten Altersjahr bis zur Geschlechtsreife (Mädchen ab zwölf Jahren, Knaben ab vierzehn Jahren), sog. impuberes infantia maiores, konnten hingegen selbstständig Rechtshandlungen vornehmen; die Rechtswirkungen traten aber nur ein, wenn diese zum Vorteil der Kinder gereichten. Andernfalls war die Zustimmung des Vormundes notwendig. Vormund wurde man entweder von Gesetzes wegen oder aufgrund einer testamentarischen Anordnung.[73] Der Vormund hatte über die Personen und das Vermögen eine Schutzgewalt – ähnlich der patria potestas – und somit ein Herrschaftsrecht, das aber durch den Schutzzweck zugunsten des Mündels (pupillus) eingeschränkt war.[74] Sie war treuhänderisch gedacht, und der Tutor hatte kein Recht über Leben und Tod (ius vitae necisque).[75] Die altrömische Vormundschaft gegenüber Minderjährigen war eigen- und fremdnützig zugleich.[76] Da der Tutor in seiner Funktion gleichzeitig nächster Erbe war, falls das Mündel innerhalb der Mandatszeit verstarb, verwaltete er das Vermögen zwar primär für das Mündel, sekundär aber auch für sich selbst.[77] In der Republik und der späteren Kaiserzeit verschob sich dieses Verhältnis, indem die Eigennützigkeit zurücktrat und das im öffentlichen Interesse auferlegte Amt im Sinne eines Zwangsdienstes (munus) in den Vordergrund gerückt wurde.[78] Die Herrschaft über die Person trat bald hinter die Pflicht, für Unterhalt und Erziehung besorgt zu sein, dies aber vor allem in finanzieller Hinsicht, indem vorab die hierfür erforderlichen Mittel bereitgestellt werden mussten. Die Durchführung der eigentlichen Erziehung im Sinne der Personensorge wurde weitgehend den Müttern überlassen.[79] Gegen die Handlungen des Vormundes waren zum Rechtsschutz des Mündels diverse Klagen vorgesehen und waren entsprechend den Aufgaben des Vormundes auf die Sorgfaltspflichten im Rahmen der Vermögenssorge ausgerichtet.[80]
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Diese der geltenden rechtlichen Regelung schon relativ nahekommende Normierung[81] galt ganz ähnlich auch für die sog. Pflegschaft (cura oder curatio). Sie findet sich bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. im Zwölftafelgesetz und sieht vor, dass bei Geisteskrankheit und Verschwendungssucht eine solche eingerichtet werden musste. Im Anschluss an die Lex Laetoria (ca. 200 v. Chr.) wird sie auf alle volljährigen, aber gewaltfreien Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht beendet haben (Minores), ausgeweitet. Die Minores sind unter der cura minorum zwar bereits vollumfänglich geschäftsfähig; sofern sie aber Verpflichtungen eingehen, die sich für sie als nachteilig erweisen, können sie diese anfechten und die Rückerstattung schon erbrachter Leistungen verlangen. Rechtsgültig ist eine Verpflichtung nur, wenn der Pfleger (curator) zugestimmt hat. Der Pfleger wird eingesetzt vom Magistrat (Prätor) auf eigenen Antrag des Minor – anfänglich nur im Einzelfall mit beschränktem Aufgabenkreis, später regelmässig und ähnlich einem Vormund mit umfassendem Sorgerecht. Die Zustimmung respektive der Antrag des Minores war seit Diokletian ebenfalls Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massnahme.[82]
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Die Pflegschaft, die den volljährigen Mann betrifft, der nicht mehr unter patria potestas steht, wird als eine Ausnahme angesehen und auf ihren Zweck beschränkt, sodass sie beim Geisteskranken (furiosus) die Person[83] und das Vermögen, beim Verschwender aber nur das ererbte Familiengut betrifft.[84] Hier finden sich somit erste Elemente einer Massschneiderung und der Personensorge.[85] Diese Reduktion des Aufgabenfeldes auf die Zwecksetzung als Handlungen im Interesse des Mündels ist dann auch der massgebliche Unterschied der curatio zur tutela, wird aber von der cura minorum und deren grosser Bedeutung wieder überdeckt.[86]
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Die cura furiosi sieht vor, dass zunächst die gradnächsten Nachkommen (Agnati) und, wenn es keine solchen gibt, die weiteren Angehörigen der patrilinearen Verwandschaft (Gentilen), die Pflegegewalt erhalten. Die Regelung der Berechtigung zur Pflegegewalt deckt sich mit derjenigen der Intestarerbfolge, wodurch die cura furiosi – ähnlich der tutela impuberum – zugleich fremd- und eigennützig ist. So kann der curator auch nicht testamentarisch eingesetzt werden und bedarf stets einer behördlichen Anordnung.[87] Die cura wegen Verschwendung (cura prodigi) setzt – im Unterschied zur cura furiosi – die Entmündigung voraus (interdictio).[88] Neben diesen regelmässig vorkommenden Massnahmen fanden sich im klassischen Recht auch Cura aus besonderem Anlass, wie die sog. cura debilium personarum, z. B. für Stumme, Taube, Gebrechliche etc., die ihre Angelegenheiten nicht ordnungsgemäss erledigen konnten und auf Antrag vom Prätor einen curator erhielten. Eine Einschränkung der Geschäftsfähigkeit trat jedoch nicht ein.[89] Faktisch wurde die Handlungsfähigkeit aber beschränkt.[90]
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Im vorstaatlichen germanischen Recht kommt die Grossfamilie im Rahmen ihrer umfassenden Hausherrschaft (Munt) für die schutzbedürftigen Mitglieder auf.[91] Munt ist etymologisch mit manus verwandt