Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz. Jens M. Schmittmann
von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 34. 22 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2020, S. 5. 23 Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2019, S. 11, und Dezember 2020, S. 11.
II. Akteure
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Krisen und Insolvenzen betreffen nicht lediglich den Schuldner selbst, sondern auch eine Vielzahl weiterer Beteiligter. Dabei handelt es sich zum einen um die vom Insolvenzgericht im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren bestellten Personen, die nachstehend im Einzelnen unter Berücksichtigung ihrer verfahrensrechtlichen Stellung erörtert werden, und zum anderen um die sonstigen Beteiligten, also insbesondere die Gläubiger, die anderen Marktteilnehmer, die Presse sowie ggf. sonstige Interessengruppen, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen wird.
1. Gutachter
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Das Insolvenzgericht bestellt nach Eingang eines zulässigen Insolvenzantrags gem. § 5 Abs. 1 InsO regelmäßig einen Gutachter, der beauftragt wird, die nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzgründe zu prüfen, Stellung zur Fortführungsfähigkeit des Unternehmens zu nehmen sowie festzustellen, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist. Bei dem vom Gericht bestellten Gutachter handelt es sich verfahrensrechtlich um einen Sachverständigen.
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Der Gutachter wird lediglich im Innenverhältnis zum Gericht tätig und ist daher nicht Vertreter des Schuldners.
2. Vorläufiger Sachwalter
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Durch das ESUG ist u.a. die vorläufige Eigenverwaltung eingeführt und das Eigenverwaltungsverfahren modifizert worden, um Schuldner zu einer früheren Insolvenzantragstellung zu bewegen.24
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Durch das SanInsFoG erfolgten weitere Änderungen, z.B. ist eine Eigenverwaltungsplanung vorzulegen. Ist die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners (§ 270a InsO) vollständig und schlüssig und sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Punkten beruht, ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellt gemäß § 270b InsO einen vorläufigen Sachwalter. Dies bedeutet zugleich, dass regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bestellt wird. Bestellt das Gericht gleichwohl einen vorläufigen Insolvenzverwalter, sind die Gründe hierfür nach § 270b Abs. 4 InsO schriftlich niederzulegen.
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Einem vorläufigen Gläubigerausschuss ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 270b Abs. 3 InsO), wenn die Kosten der Eigenverwaltung und die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes nicht gedeckt sind oder Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber Pensionszusagen, dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten bestehen oder in den letzten drei Jahren Vollstreckungs- oder Verwertungssperren angeordnet worden sind sowie der Schuldner gegen Offenlegungsverpflichtungen nach dem HGB verstoßen hat. In diesen Fällen erfolgt gem. § 270b Abs. 2 InsO die Bestellung des vorläufigen Sachwalters nur, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.
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Ein vorläufiger Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO.25 Der vorläufige Sachwalter hat somit nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.26
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Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO ist im Rahmen einer vorläufigen Eigenverwaltung gem. Art. 8 SanInsFoG erst in Insolvenzverfahren anwendbar, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind. Auch im Rahmen der Übergangsregelung des § 5 COVInsAG zur Eigenverwaltung und des § 6 COVInsAG zum Schutzschirmverfahren ist bereits die Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO anzuwenden.
3. Vorläufiger Insolvenzverwalter
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Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Zu den Sicherungsmaßnahmen gehört insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) und die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO).
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Ordnet das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot an, wird ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren.27
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Wird kein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet, sondern lediglich ein Zustimmungsvorbehalt, so handelt es sich um einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter.28
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Die Vermögensverwaltung steht einem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter nicht zu, sodass kein Fall von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO vorliegt. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist daher weder berechtigt noch verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu regeln.29
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Auch wenn § 55 Abs. 4 InsO regelt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten, wird der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter dadurch nicht zum Vertreter i.S.v. § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO.30
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Nur soweit der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht ausdrücklich ermächtigt wurde, Masseverbindlichkeiten einzugehen, obliegt ihm insoweit eine Steuererklärungspflicht.31
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Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt wird selbst dann nicht zum Vermögensverwalter i.S.v. 34 Abs. 3 AO oder zum Verfügungsberechtigten i.S.v. § 35 AO, wenn er die ihm vom Insolvenzgericht übertragenen Verfügungsbefugnisse überschreitet und tatsächlich über Gelder des noch verfügungsberechtigten Schuldners verfügt.32
4. Insolvenzverwalter
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Der vom Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ernannte Insolvenzverwalter ist verfahrensrechtlich Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO und hat daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.33
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Der Insolvenzverwalter ist kein Vertreter des Schuldners, sondern sog. „Partei kraft Amtes“.34
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Der Insolvenzschuldner bleibt selbst steuerrechtsfähig, sodass die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters den Schuldner persönlich berechtigen und verpflichten.35
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Der Schuldner bleibt verfahrensrechtlich Beteiligter i.S.v. § 78 AO. Der Schuldner verliert allerdings mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die nach § 79